Hannes und die innovative Spesenregelung
In Hannes’ Unternehmen gilt nach wie vor etwas als besonders gute Innovation, wenn gespart wird. Ursprünglich hat er zwar mal gelernt, dass «Innovation» von «Neuerung» oder «Erneuerung» kommt. Aber der Zeitgeist lehrt eine innovative Interpretation: «Innovation» wird heute ziemlich direkt mit «Sparmassnahmen» übersetzt.
Die HR-Abteilung wurde angehalten, auf das zweite Semester hin neue Vorschläge zu erarbeiten. «Innovatives Spesenmanagement» lautet der Arbeitstitel. Das dem Substantiv vorangestellte Adjektiv of-fenbart sich erwartungsgemäss als: «Wo kann man die Sparschraube noch etwas stärker anziehen?» Jahrelang galt die Devise «an den Punk-ten zu sparen, wo es niemandem weh tut, aber viel bewirkt». Heute hat sich der Paradigmenwandel unausgesprochen und schleichend zu «Dort sparen, wo es weh tut, aber nichts bringt» vollzogen.
Im Detail sieht das eindeutig aus
Heute kam die konkrete Weisung, dass innovative Ideen in der Spe-senregelung und -entschädigung umgesetzt werden. Davon ist Han-nes’ Abteilung stark betroffen. Seine Montageleiter installieren die produzierten Maschinen ja meistens auswärts beim Kunden. Das kann schon mal recht weit weg sein.
Da ist das verrechenbare Mittagessen noch das Kleinste. In Zu-kunft wird die Mittagessens-Entschädigungspauschale auf unter 10 Franken zusammengestrichen und nur noch in Notfällen ausbezahlt. Als Notfall wird definiert, wenn zwischen dem Kundenauftrag «Komm zu mir» bis zur Abreise weniger als eine Stunde vergeht. Steht mehr Zeit zur Verfügung, können neu im Personalrestaurant Lunch-pakete abgeholt werden. Die Aussendienstler erhalten dort ihren Jutesack mit einer Semmel, einer vakuumverpackten Bockwurst oder Servela und einem Schokoriegel. Im Winter gibt’s wegen der Vitamine noch einen Apfel dazu. Wasser für die mitgelieferte, leere Petflasche kann sich jeder in der Toilette selbst abfüllen.
Da liegt doch einiges drin, geschweige denn bei Auswärtsüber-nachtungen. Die Zeiten von 4-Sterne-Hotels mit Frühstück sind so-wieso schon längst vorbei. Jetzt wird auch das Frühstück gestrichen. Jeder erhält einen Wasserkocher mit auf den Weg, womit er sich ei-nen Pulverkaffee selbst zubereiten kann. Übernachtungsmöglich-keiten sind bei Privatanbietern über Airbnb.com zu suchen. Emp-fohlen werden Übernachtungen mit Familienanschluss, damit mit dem Kinderhütedienst ein Teil des Übernachtungsentgelts abver-dient wird.
Auch die Reise wird innovativ entschädigt
Dass sich die Reisen auf die unvermeidbaren beschränken sollen, liegt auf der Hand. Dass man Fahrgemeinschaften bildet, war schon immer vorgeschrieben. Hier liegt kaum mehr Potenzial drin. Am ehesten noch, indem für die Reise diejenigen Tage ausgesucht werden, an de-nen Rückenwind herrscht. Damit kann locker pro 100 Kilometer rund 0,02 Liter Treibstoff eingespart werden.
«Übernachtungsmöglichkeiten sind bei Privatanbietern über Airbnb.com zu suchen.»
Flugreisen gibt es nur noch mit Billiganbietern. Ein Mitarbeiter ist damit beschäftigt, in Tageszeitungen diejenigen Airlines ausfindig zu machen, die kurz vor dem Nachlass stehen. Bei denen sind Preis-verhandlungen oft erfolgversprechender als bei der hoheitlichen Lufthansa oder deren Tochtergesellschaft Swiss.
Alles in allem wird festgehalten, dass die Arbeitszeit, die für die Mehrarbeit im Rahmen der neuen innovativen Spesenregelung an-fällt (Flugpreisverhandlungen, Lunchpakete richten, Kinder im Airbnb hüten usw.), ausschliesslich in Daunen ausbezahlt wird, mit denen eine Decke gefüllt werden soll, die mittelfristig die Airbnb-Übernachtungen ablösen wird. Innovation ist ja immer auch ein Blick in die Zukunft …