Zusammenführen, was ein neues Ganzes werden soll
Fusionen und Übernahmen, Mergers & Acquisitions sind an der Tagesordnung. Doch mit einem anderen Unternehmen auf dem Papier zu fusionieren oder es zu kaufen, das ist eine Sache. Eine andere, aus unterschiedlichen Unternehmenskulturen und -selbstverständnissen eine effiziente neue Einheit zu formen.
Dr. Markus Braun, Leiter Business Development und Dozent an der ZHAW School of Management in Winterthur, praktisch und theoretisch vertraut mit dieser Problematik, benennt einige kritische Punkte des Integrationsmanagements.
Herr Dr. Braun, ob Fusion oder Zukauf, die ersten Schritte auf dem Weg zur Zusammenführung, sagen Sie, sind entscheidende Schritte. Worauf ist das Augenmerk zu richten?
Markus Braun: Auf die Integrationsgestaltung und Informationsgestaltung. Der Ablauf der Integration sollte bereits vor dem Vertragsabschluss sorgfältig vorgezeichnet werden. Das ist ein grundlegender Prozess, dem entscheidende Priorität zukommt. Die Informationsgestaltung muss darauf abzielen, die Vision und den erwarteten Mehrwert der Fusion den Belegschaften, den Kunden und Lieferanten einleuchtend, glaubwürdig und nachvollziehbar nahezubringen. Rasch nach allen Seiten Transparenz zu schaffen ist hier das Gebot der Stunde. Basis dafür ist der vorbereitete Plan, wie das Integrationsprojekt aufgesetzt und die Verantwortungsträger in den operativen Schlüsselpositionen bestimmt werden. Bei einer Fusion oder einer Übernahme ist also der unmittelbare und verzugslose Übergang von einem in der Regel hoch vertraulichen, von einem kleinen Team vorangetriebenen Akquisitionsprojekt in die breit abzustützende Integrationsphase besonders anspruchsvoll. Die Phasen der Vertraulichkeit müssen nahtlos in ein offenlegendes, sorgfältig und konsequent durchgeführtes Informationsprojekt übergehen. In der Sache wie im kommunikativen Verhalten
Worauf ist das Augenmerk dabei bevorzugt zu richten?
Das entscheidende Stichwort heisst hier Personal. Gemeinhin werden in der eben beschriebenen Phase bereits in schneller Abfolge in der fusionierten neuen Unternehmenseinheit Entscheidungen bis hinab auf tiefe operative Ebenen getroffen. Das bedeutet: Zum Zeitpunkt der Due Diligence, der Buchprüfung, also vor dem Fusionszeitpunkt muss der Personalaspekt eingehend beleuchtet werden. Die Erfahrung lehrt dabei: Operative Schlüsselpersonen müssen in beide Unternehmen entsandt werden, um Vertrauen zu erarbeiteten und Brücken zwischen den im Normalfall unterschiedlichen Firmenkulturen zu schlagen. Intern unverzichtbar ist, dass ein Geschäftsleitungsmitglied mit einem entsprechenden Steuerungsausschuss im Rücken die Verantwortung für die Integration trägt. Die Integrationsverantwortung muss also «ganz oben» verankert werden, um so weit wie menschlich möglich Irrwege in abnützungsreichen Grabenkämpfen zu verhindern.
Ihre Erfahrung lehrt, Fehler, die am Beginn eines Integrationsmanagements gemacht werden, sind im Nachhinein besonders schwer zu korrigieren. Gibt es Fehler, die besonders ins Gewicht fallen?
Ich verweise auf das eben Dargelegte. Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen. Überlegte Sorgfalt in konsequenten Schritten verhindert nicht, dass auch mal etwas schiefläuft, verringert aber die Wahrscheinlichkeit dafür. Wenn sich Firmen mit einem blossen «Zusammenschmeissen» zufrieden geben, wenn sich eine Integration nicht von Anfang mit Bedacht und Konsequenz an der neuen Unternehmensstrategie orientiert, wird es aller Erfahrung nach schwierig bis gänzlich unwahrscheinlich, die angestrebten Fusionssynergien zu gewinnen. Der Augenblick der Veränderung ist, gemäss dem antiken griechischen Kairos-Begriff, der Schlüsselzeitpunkt. Wird er nicht unverzüglich, überlegt und zielstrebig genutzt, wirkt sich das auf das ganze Projekt nachteilig aus. Um das sicherzustellen ist es erfolgsentscheidend, ein Integrationsprojekt mit den fähigsten und loyalsten Personen zu steuern und, wie gesagt, die Integrationsverantwortung «ganz oben» zu verorten
Integrationsmanagement ist ein Entwicklungsprozess im Werden. Welche «Stellschrauben» müssen dabei besonders im Auge behalten werden?
Die Stellschraube «Vision», die Frage also: Was wollen wir und wie wollen wir was? Genauer: Welche Ziele sollen angesteuert werden? Welche Wettbewerbsposition soll erreicht werden? Überlegt werden sollte dabei auch: In welchen eventuell neuen Märkten wollen wir uns etablieren? Die Stellschraube «Auswahlprozess des Personals für die Schlüsselpositionen». Die faire und rasche Etablierung dieses Personenkreises sorgt dafür, die verständliche Unruhe in den Belegschaften in Grenzen zu halten. Eine Überlegung in diesem Zusammenhang sollte auch sein, das Integrationsmanagement für eine Performance-Transformation im neuen Unternehmen durch die Berufung von Nachwuchsmanagern in wichtige Positionen zu nutzen. Eine sozusagen übergeordnete Stellschraube ist ein präzises Integrationsmonitoring, um den Gang der Dinge im Griff zu behalten. Eine häufig übersehene Stellschraube für den erfolgreichen Integrationsprozess ist der respektvolle Umgang mit den zwangsläufigen Gewinnern und den Verlierern der Reorganisation. Fest steht, nur innerlich überzeugte Mitarbeiter führen «die Sache» zum gewünschten Erfolg. Wie letztlich bei allem, was mit Management zu tun hat, ist kluge Führung das Öl im Getriebe, das allem anderen voran den Verschleiss in jeder Hinsicht am wirkungsvollsten vorbeugen und damit die Effizienz der neuen Unternehmenseinheit am besten wahrscheinlich machen kann.
Bekanntlich steckt der Teufel im Detail und sorgt dafür, dass sich die Dinge auf einmal vollkommen anders entwickeln als gedacht und geplant. Gibt es vorausschauende Steuerungsmassnahmen, die davor schützen?
Eine Fusion ist ein, entschuldigen Sie, ein verdammt komplexes, von allerlei Unwägbarkeiten begleitetes Unterfangen. Überraschungen aller Schattierungen gehören einfach dazu. Blauäugigkeit nach dem Motto «Alles wird gut!» hat also die Qualität eines Sargnagels. Soll heissen: Die unverzichtbare Steuerungsmassnahme ist ein professionelles, aber nicht verbissenes Projektmanagement. Auch Umwege führen zum Ziel, sofern das Ziel klar ist. Die vielgerühmte Flexibilität nach dem alten lateinischen Motto «Fortiter in re, suaviter in modo» = «Stark in der Sache, milde in der Art» ist diesbezüglich kein schlechtes Motto. Also: Projektphasen definieren, Zwischenziele setzen und anpassungsbereit sein, gleichwohl aber zügig in der Sache voranschreiten. Und Integrationsmonitoring, den Prozess sorgfältig im Auge behalten.
Wo sich etwas ändern soll und muss, blühen die Gerüchte. Heissester Ort im Verschmelzungsprozess ist immer die Gerüchteküche. Das wirft die Fragen auf: Wie damit umgehen?
Offensiv! Gerüchte gehören bei einem Integrationsvorgang schlicht und einfach dazu! ABER: Sie lassen sich in Grenzen halten, indem anständig informiert und erkennbar überlegt und zügig entschieden wird. Undurchsichtigkeit und Wankelmut sind das beste Gerüchtefutter. Gleichwohl, bei allem Bemühen, es allen recht zu machen, ist dieser Wunsch auch hier ein Ding der Unmöglichkeit. Wichtig ist das Bewusstsein: Die Belegschaften sind in einem Fusionsprozess verunsichert, dem muss Rechnung getragen werden. Zum Beispiel dadurch, dass glaubwürdige Entscheidungsträger mit Leistungsausweis in die Schlüsselpositionen berufen werden; dass keine halbherzigen, sondern in sich stimmige, nachvollziehbare Sachentscheidungen getroffen und begründet werden. Stimmigkeit wie Glaubwürdigkeit im Persönlichen wie Sachlichen und eine Kommunikation «auf Augenhöhe» sollten die Wegweiser im Umgang mit Gerüchten sein. Für mich heisst das diesbezügliche Zauberwort: Mitnehmen! Überrumpeln, hinters Licht führen, im Unklaren lassen verboten!
Ganz harter Knackpunkt im Integrationsprozess sind die doppelt vorhandenen Positionen mit der dahinter stehenden Frage: Wer geht, wer bleibt? Welche Kriterien greifen hier?
Im Blick auf die Führungspositionen im fusionierten Unternehmen sind, wie schon angedeutet, die Kriterien fachliches Können, integrative Fähigkeiten und menschliche Loyalität. Das sind die drei entscheidenden Massgrössen für die neuen Führungskräfte im fusionierten Unternehmen. Die allseits bekannten «Lautsprecher» sind mit Vorsicht zu betrachten. Sich in den Vordergrund spielen zu können, ist nicht zwangsläufig ein Kennzeichen von Qualität. Analytische Fähigkeiten, Weitblick, mitnehmende Schaffenskraft, die Bereitschaft, zuzuhören und sich auch beraten zu lassen, das sind im hoch komplexen Geschehen einer Fusion die benötigten zielführenden persönlichen Qualitäten von Führungskräften. Dringend abzuraten ist von einem Auswahlverfahren mit Doppelbesetzung in Schlüsselpositionen, also einem «on-the-job»-Ausscheidungsrennen. Ein solches «Duell» weist erfahrungsgemäss weniger die wirklich Besten als die besten Selbstdarsteller aus. Eine direkte Konkurrenzsituation von Führungskräften in der gleichen Organisationsbox befördert viel mehr den individuellen Positionsbezug als das wirkungsvolle und integrative Handeln zugunsten des fusionierten Unternehmens. Und wenn etwas bei der heutigen Arbeitsbelastung und Wettbewerbssituation gefragt ist, dann sind es Könner und keine Experten für Schaumschlägerei.
Zum Weiterlesen:
Stephan Bergamin/Markus Braun: M&A: Erfolg dank Integrationsmanagement. Verlag Neue Zürcher Zeitung (NZZ Libro), Zürich 2015, 135 Seiten, CHF 51.