Wohin die Reise geht
Technologische und weltwirtschaftliche Veränderungen zwingen die Unternehmen in einen brachialen Anpassungswettlauf. Für Thomas Weegen, Geschäftsführer der internationalen Coverdale Unternehmensberatung in München, bewegt sich die Unternehmensführung auf eine alles verändernde Schwelle zu. Was ist zu erwarten? Protokoll eines orientierenden Gesprächs.
Wie stellt sich die Situation der Unternehmen heute dar und welche Realität zeichnet sich am Horizont ab? Mittlerweile eine Plattitüde, dennoch die härteste Bewährungsprobe für das Können des Managements: die rasanten Veränderungen auf den Märkten und in den Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns. «Früher» genügte die nachfolgende Anpassung an Technik, Marktentwicklung und Recht. Heute wird eine präventive, einfühlende Anpassung in den immer dichteren Nebel des Zukünftigen hinein zur conditio sine qua non des Managementhandelns. Und stellt das diesbezügliche Können der Führungskräfte von Minute zu Minute auf neue Proben – und die belastbare innere Einstellung darauf gleich mit.
Global agieren
Kaum noch ein Unternehmen, für das nicht in irgendeiner Weise ein weltweiter Bezugsrahmen gilt. Irgendwie müssen sich inzwischen nahezu alle auf übernationalen, wenn nicht ganz und gar auf globalen Märkten Wettbewerbern stellen, sich ihnen gegenüber behaupten und durchsetzen. Zunehmend mit Produktionsstätten und Vertrieben beziehungsweise nationalen Vertriebspartnern im Ausland. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Führungskräfte: Die Führungsarbeit am heimischen Ort gerät zur Teilzeitbeschäftigung. Im gleichen Masse, wie sie abnimmt, nimmt die Aufgabe zu, Mitarbeiter an mehreren Standorten gleichzeitig zu führen. Und sich mit gemischten Nationalitäten, Mentalitäten sowie fremden Sitten und Gebräuchen auseinander- und ins Benehmen zu setzen. Und das – naheliegend – in verschiedenen Zeitzonen. Was den landläufigen Begriff «Feierabend» für das Management endgültig in den Bereich einer wehmütigen Erinnerung an vergangene Tage befördert.
Immer auf dem Sprung
Anpassung und Anpassung an die Anpassung werden zum unerbittlichen Regenten des zukünftigen Managens. Für nicht wenige kaum denkbar, dass sich dieser Anpassungswettlauf noch weiter intensivieren lässt. Sie werden umdenken müssen. Und dazu ihre – nachvollziehbare – innere Auflehnung dagegen besiegen müssen. Wer als Manager des Zukünftigen nicht ständig innerlich auf dem Sprung ist, darf sich kaum noch Karrierechancen ausrechnen. Die persönliche berufliche Lebensversicherung wird zu einem Gutteil darin bestehen, dafür zu sorgen, nicht atemlos zu werden. Wer versäumt, den Einsatz für die vertraglich vereinbarten Leistungen mit dem Einsatz für die eigene Leistungsfähigkeit von Geist und Körper konsequent zu koppeln, wird kaum besser dotierte Verträge zu sehen bekommen.
Waren Veränderung und Anpassung früher ein eng begrenzter Zwischenschritt zwischen länger anhaltenden Phasen der Kontinuität, werden Veränderung und An
Veränderung wird Dauerzustand
passung morgen und übermorgen zu einem sich permanent selbst überholenden Prozess. Ankommen und Aufbrechen dann noch auseinanderzuhalten, wird kaum noch möglich sein. Geschweige denn dazwischen eine Verschnaufpause einzulegen. Allein schon das über allem hängende Damoklesschwert der zu verarbeitenden, sich laufend ausweitenden Informationsmenge in unheiliger Allianz mit der emporschnellenden Geschwindigkeit aller möglichen Kommunikationskanäle wird ein Verschnaufen verhindern.
Neue Organisationsformen
Es braucht keine hellseherischen Kräfte, um der klassischen, sich nach unten ausfächernden Linienorganisation die Brauchbarkeit für die Wirtschaftswelt von morgen abzusprechen. Sie ist schon längst überholt und steht vor dem baldigen Aus. Für die Bewältigung des Kommenden ist diese Organisationsform zu unflexibel, sind ihre Entscheidungswege zu lang und zu schwerfällig. Werden doch schon heute neben der Linienorganisation in der Matrix Projekte quer zur Linie realisiert. Die Permanentaufgabe «Anpassung und Veränderung» braucht neue (selbst-)adaptive Organisationsformen, die sicherstellen, sich abzeichnende Konstellationen rasch erfassen und darauf reagieren zu können. Das verlangt nach kleinen, schlagkräftigen Einheiten, die – stets mit den Gesamtzielen des Unternehmens im Blick – teilautonom agieren und reagieren.
Fingerspitzengefühl
Mit den tradierten Führungsinstrumenten Befehl, Gehorsam und Kontrolle allein wird eine Führungskraft also kaum noch auch nur in die Nähe ihrer Ziele kommen. Zeigt sich doch schon heute, zu welcher Leistungszurückhaltung und -minderung eine solche «Herr-im-Hause»-Einstellung bei den Belegschaften führt. Und zu welcher verwirrenden operativen Hektik und Überforderung der Führungskräfte. Um in einem undurchsichtigeren, komplexeren Umfeld als heute «ihren Mann stehen » zu können, brauchen sie neben Wissen und Können in verstärktem Masse Fingerspitzengefühl. Niemand in vorgesetzten Positionen wird umhin können, sich vorbehaltloser unter verschiedenen Aspekten mit den vielschichtigen Begriffen Einführungsvermögen und Intuition und ihrem Gebrauch anzufreunden. Die Bereitschaft, neben dem Verstand alle anderen Sinne zu nutzen, um in schwer durchschaubaren Situationen in gemeinsamer Anstrengung aller Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen, wird zu einer der wichtigsten Fähigkeiten von Führungskräften gehören.
Abschied von der Chefattitüde
Zukünftige Entscheidungen werden stärker und stärker in Geahntes und Vermutetes hinein zu treffen sein. Allein das verbietet, sie aus der Chefattitüde in solitärer Allwissenheitsüberzeugung im Alleingang und in Unduldsamkeit von Widersprüchen zu treffen. Intuition in Verbindung mit einer auf Wissen, Können und Fakten gestützten Analysefähigkeit einerseits, unter einfühlendem Einbezug der unterschiedlichen Fähigkeitsspektren und des Know-hows der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter andererseits, das wird in den führenden Positionen zum Ausweis zukunftsorientierter Managementfähigkeit. Und damit der Massstab, der die Spreu vom Weizen scheiden wird. Anstatt selbstherrliche fordert die Bewältigung der Zukunft aufgeschlossene, offen auf ihre Leute zugehende und ihnen zugetane Führungs-
Gemeinsam statt einsam
kräfte. Desgleichen Menschen, bei denen der Gedanke an Widerspruch nach oben nicht automatisch mit dem sterilisierenden Gedanken an beruflichen Selbstmord gekoppelt ist. Und eine betriebliche Bewusstseinskultur, die diesen Mut honoriert – und nicht Anpassung und Nach-dem-Munde- Reden.
Der alte Gedanke des primus inter pares, des Ersten unter Gleichen, wird, wollen sich Unternehmen nicht im Nebel der Zukunft verirren, im zukünftigen Führungshandeln als integrierender wie inspirierender Leitgedanke eine weitaus gewichtigere Rolle spielen (müssen) als heute. Gemeinsam statt einsam, anders als unter diesem Motto wird es schwerlich gelingen, dem äusseren Druck Paroli zu bieten. Die klassische, eher autoritäre und kontrollierende Führungskraft wird ihre Organisation nicht dazu befähigen, noch ein wenig schneller zu lernen und Kommendes wie Auslaufendes rechtzeitig zu erspüren. Ihr Versuch, mit dem immer hektischeren Einsatz längst untauglich gewordener überkommener Führungsmittel die Situation zu packen, erinnert an den Zecher, der auf dem nächtlichen Heimweg den Verlust des Schlüssels bemerkt und im Schein der nächsten Strassenlaterne danach sucht.
Mit Bodenhaftung führen
Der Wille der Führenden und ihr entsprechendes Tun, vorurteilsfrei aktiv zu lernen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dahin zu führen und sie darin zu unterstützen, wird weit über ihre heutige Bedeutung hinaus über Steigen oder Sinken und Leiden oder Triumphieren von Unternehmen entscheiden. Kommendes, Veränderungen vorausschauend zu erkennen und zu managen, erfordert, aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Morgen zu schauen und abfällige Urteile à la «Blödsinn» oder «Sie schon wieder! » aus dem innerbetrieblichen Diskurs zu verbannen. Wo nichts mehr unmöglich ist, darf es auch in der innerbetrieblichen Diskussion nicht das Verdikt «Unmöglich! » geben. Die Kunst zukünftiger Unternehmensführung wird mit darin bestehen, die sich daraus ergebenden Widersprüche und Mehrdeutigkeiten auszuhalten und im abwägenden Gespräch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern daraus Entscheidungen zu synthetisieren sowie Massnahmen auf den Weg zu bringen. Und penibel auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überwachen. Bodenverhaftetes, von Selbstreflexion getragenes solides Führenkönnen wird massgeblich dazu beitragen, dem enormen Leistungs- und Wettbewerbsdruck standzuhalten.