Wieder und neu entdeckt
Triebfeder gelingenden Handelns ist die Bereitschaft, sich selbst in die Pflicht zu nehmen und zu steuern. Konzentriertes Leistungshandeln bringt Erfüllung. Diese Fähigkeit wird als wichtiger persönlicher Wettbewerbsfaktor in der sich rasant verändernden Wirtschaft enorm an Bedeutung gewinnen.
Über dem Hauseingang im Gebälk alter Fachwerkhäuser erinnert gelegentlich noch eine Inschrift an einen dem allgemeinen Denken etwas entrückten Zusammenhang: «Ohne Fleiss von früh bis spät, wird dir nichts geraten. Neid sieht nur das Blumenbeet, aber
Anstrengungenakzeptieren
nicht den Spaten.» Hans Eberspächer, emeritierter Professor für Sportpsychologie an der Universität Heidelberg und ausgewiesener Spezialist in Sachen Selbstmanagement und Leistungsoptimierung, verweist gern auf diesen Satz. Macht der für ihn doch eine Selbstverständlichkeit deutlich, die in unserer Anspruchsund Erwartungsgesellschaft in der notwendigen Klarheit und Konsequenz aus vielen Köpfen verschwunden zu sein scheint: Nicht nachlassender Einsatz ist die Voraussetzung für Erfolg.
Unliebsame Tugenden
«Oder», fragt Eberspächer, «haben Sie in unserer von Sozialneid unterwanderten Gesellschaft in letzter Zeit in irgendeiner Diskussion ein unwidersprochenes Plädoyer für die von Arbeitgebern zunehmend vermissten Eigenschaften Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen gehört?» Disziplin, Fleiss, der Wille, Widerstände zu überwinden und sich dazu ganz selbstverständlich anzustrengen, wer sich heute dafür stark mache, riskiere je nach Publikum mal mehr, mal weniger ausgeprägten Widerspruch. Auf jeden Fall aber Unmutsfalten auf der Stirn des Auditoriums. «Um die in der Regel meist auch mit Verzicht verbundene Akzeptanz der Anstrengung als sich von selbst verstehende Voraussetzung, etwas Angestrebtes oder Erwünschtes zu erreichen», sagt Eberspächer, «könnte es fürwahr besser bestellt sein.»
Heute werde so viel über Glück, Lustgewinn und ein offensichtlich sich quasi von selbst einstellendes gelingendes Leben geschwätzt, meint Eberspächer. Und jeder erhebe den Anspruch darauf, dass man nur noch den Kopf schütteln könne ob solcher Lebens- und Weltfremdheit. Wann, sinniert er, werde endlich erkannt, welche gesellschaftliche wie persönliche Fehlorientierung mit diesem Geschwätz herbeigeredet werde? Und das in einer Welt, die beruflich immer höhere Anforderungen stelle?
Gegen den herrschenden Zeitgeist
Realität sei schon immer gewesen und sei es auch heute noch: Wer ein wie auch immer definiertes glückliches, erfülltes Leben will, hat keinen Anspruch darauf, sondern die Verpflichtung, sich diesem Wunsch entsprechend zu verhalten. «Wenn ich etwas anstrebe, will oder wünsche, dann muss ich zum Motor werden, der mich in Richtung dessen treibt, was ich tatsächlich will, dann muss ich mich dementsprechend ins Zeug legen und durchhalten!» Und das, sagt Eberspächer, «setzt voraus und verlangt, dass ich mich mit klarem Kopf und im vollen Bewusstsein der tatsächlichen Zusammenhänge in Richtung auf das Angestrebte hin steuere und mich nicht von irgendwelchen verschwiemelten zeitgeistigen Vorstellungen leiten, an der Nase herumführen und letztlich in die Irre führen lasse.»
«Mit dem herrschenden Zeitgeist stehe ich auf sehr kritischem Fuss», gibt Eberspächer unumwunden zu. «Mit der in unverantwortlicher Weise herangezüchteten Anspruchsund ‹Steht-mir-zu›-Mentalität unterminieren wir auf höchst gefährliche Art und Weise die Lebenstüchtigkeit », warnt er. «In der globalisierten, auf eine neue industrielle Revolution zusteuernde und sich von Grund auf neu organisierenden Wirtschaft – ein Stichwort nur: Industrie 4.0, die Produktion mit sich selbst organisierenden Prozessen –
Selbst zum Motor werden
verändern sich auch die persönlichen Wettbewerbsbedingungen. Die Erwerbsbevölkerung wächst weltweit. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Arbeitsplätze, die zur Verfügung stehen, aufgrund des technischen Fortschritts tendenziell ab. Die Folge: Der Wettbewerb um einen Arbeitsplatz muss zwangsläufig härter werden. Einsatzbereitschaft und Durchhaltevermögen ohne Flausen im Kopf auf der Basis überlegter Selbststeuerung werden zu entscheidenden Komponenten im zwischenmenschlichen Wettbewerb um die Arbeitsplätze.»
Sich selbst steuern
Übersetzt ins Persönliche heisst das für Eberspächer: «Sich selbst die Zügel anlegen und sich selbst die Spo-ren geben zu können und sich nicht von Träumereien vom Weg abbringen zu lassen, kurz, sich wirklich selbst steuern zu können, tritt als berufliche Erfolgsvoraussetzung immer klarer und unverzichtbarer neben das fachliche Wissen und Kön-
ZwischenmenschlicherWettbewerb
nen. » Wobei Eberspächer dieses Wissen und Können breiter als im herkömmlichen Sinn fasst. Bei der zukünftigen Beanspruchungsintensität gehört dazu unbedingt auch die Fähigkeit, Anspannung und Entspannung als gleichwertige Komponenten von Leistungshandeln zusammenzuführen, also aus dem Moment heraus zwischen Beschleunigungs- und Entschleunigungsmodus hin- und herschalten zu können. Was die möglichst routinierte Beherrschung einer oder mehrerer Entspannungsstrategien verlange. «Wer die beherrscht, weil bewusst trainiert, erzielt über die Summe im Tagesverlauf einen ganz entscheidenden Vorteil: Durch die Unterbrechung von emotionalen Aufschaukelungseffekten wie Ärger oder Aufregung kann der Tag auf signifikant höherem Regenerationsniveau überstanden werden als im Fall eines Untrainierten», sagt Eberspächer.
Das Vermögen, sich auf diese Weise selbst steuern zu können, sei etwas grundsätzlich anderes und im Wissen um die zukünftig entscheidenden Qualifikationsmerkmale etwas viel Bedeutsameres als vieles von dem Motivationsschnickschnack, um den heute so ein Kult getrieben werde. Wirklich motivieren könne sich ein Mensch nur selbst. Motivation, so werde vielfach fälschlicherweise angenommen, sei reaktiv und nicht selbst initiativ. Geglaubt werde, man könne andere motivieren. Doch genau genommen sei das nicht möglich. «Man kann nur andere dazu anregen, sich selbst zu motivieren. Motivation setzt immer das Engagement, die Eigenleistung des zu Motivierenden voraus.»
Arbeit als zentraler Wert
Die Konsequenz daraus heisst für Eberspächer: «Wir müssen zurück auf den Boden der Tatsachen und Arbeit als zentralen Wert des Lebens und damit auch den Anstrengungscharakter von Arbeit wieder akzeptieren. Und ebenso die enorme Zufriedenheit und Befriedigung wieder entdecken, die sich in einem ganz persönlichen Sinn aus gelungener Anstrengung, aus dem Erkennen der eigenen Leistungsfähigkeit ergibt. Und die sich daraus wiederum ergebende Leistungsschubkraft.» «Die suggerierte Illusion von Arbeit als flippigem bezahltem Tun», so Eberspächer, «verkennt vollkommen den erfüllenden Charakter von Arbeit, aus dem nicht unwesentlich die Kraft zu neuer Anstrengung erwächst. Wer sich von dieser Illusion nicht löst, fügt sich selbst Schaden zu, unnötigen, wie ich meine. Wenn es zur Sache geht, und im globalen Ideen- und Verdrängungswettbewerb wird es zwangsläufig in den Unternehmen immer mehr zur Sache gehen, werden diejenigen die Nase vorn haben, die in der Anstrengung auch das Erfüllende zu sehen vermögen und sich zielbezogen und ablenkungsfest, gleichzeitig aber flexibel und in Alternativen denkend mit Freude an die Arbeit machen können!»
Bei wachsender genereller Handlungsunsicherheit, gleichzeitig aber einem Ansturm von Anforderungen einerseits, Wahlmöglichkeiten und Optionen andererseits, sei die Fähigkeit, sich mit Freude in die Pflicht zu nehmen und sich selbst zu steuern, so etwas wie der persönliche archimedische Punkt belastbarer Handlungsfähigkeit. Unter Qualifikationsgesichtspunkten «wird sich dieses Vermögen mehr und mehr zu einer beruflichen Grundanforderung entwickeln, um unter Unsicherheitsbedingungen auf einem wie auch immer definierten Weg zur Aufgabenerfüllung zu bleiben beziehungsweise ihn aus diversen Varianten herauszuarbeiten».