Wie viel Produktrückrufe kosten
Eine Untersuchung des Versicherungskonzerns Allianz hat die Kosten von Produktrückrufen eruiert. Fazit: Grosse Produktrückrufe verursachen im Schnitt einen Schaden in Höhe von 10,5 Millionen Euro pro Fall - durch "Domino-Effekte" erreichen einzelne Fälle jedoch auch Milliardenhöhe.
Teure Fehler: Ein defektes Pedal führt dazu, dass ein Auto unbeabsichtigt beschleunigt. Die Verarbeitung von schadhaften Erdnüssen verursacht einen branchenweiten Umsatzrückgang von 25%. Jeder dieser Vorfälle löste grosse Produktrückrufe aus, die zu Milliardenverlusten führten. Das produktbezogene Risiko ist eine der grössten Gefahren, mit denen Unternehmen heute konfrontiert sind. Rückrufrisiken haben in den letzten zehn Jahren erheblich zugenommen und das Potenzial für grössere und komplexere Schäden steigt weiter, warnt der Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) in einem neuen Bericht. Die Auswertung von 367 weltweiten Versicherungsfällen zeigt, dass die Automobilindustrie am stärksten von Produktrückrufen betroffen ist, gefolgt vom Lebensmittel- und Getränkesektor.
Steigende Anzahl Produktrückrufe
Die Zahl der Produktrückrufe ist in den letzten zehn Jahren stetig gestiegen. „Wir sehen heute Rekordzahlen bei Rückrufaktionen in Bezug auf Grösse und Kosten“, sagt Christof Bentele, Head of Global Crisis Management bei AGCS. Dazu tragen aus seiner Sicht vielfältige Faktoren bei, darunter eine strengere Regulierung und härtere Strafen, der Aufstieg grosser multinationaler Konzerne und komplexere globale Lieferketten, das wachsende Bewusstsein der Verbraucher, die Auswirkungen des wirtschaftlichen Drucks in Forschung, Entwicklung und Produktion und die zunehmende Bedeutung von Social Media.
Die Studie „Product Recall: Managing The Impact of the New Risk Landscape“ analysiert zwischen 2012 und dem ersten Halbjahr 2017 insgesamt 367 Produktrückrufforderungen aus 28 Ländern in 12 Branchen. Die Hauptursache für Rückrufe sind ein mangelhaftes Produkt oder eine fehlerhafte Ausführung, gefolgt von einer Produktverunreinigung. Die durchschnittlichen Kosten für einen grösseren Rückruf belaufen sich auf über 10,5 Millionen Euro, wobei die Kosten für einige grosse Rückrufe in der letzten Zeit diese Summe bei weitem übersteigen. Über 50% der Schäden sind auf nur zehn Rückrufe zurückzuführen. Der IT-/Elektroniksektor ist laut der AGCS-Schadensanalyse nach der Automobilindustrie und der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie die am dritthäufigsten betroffene Branche.
Automobil-Branche wegen „Domino-Effekt“ mit teuersten Rückrufaktionen
„Automobil-Rückrufe machen über 70% der Summe aller analysierten Schäden aus, was angesichts der jüngsten Rekordaktivitäten sowohl in den USA als auch in Europa wenig überraschend ist. Wir sehen immer mehr Rückrufe mit immer mehr betroffenen Fahrzeugen in der Automobilindustrie“, sagt Carsten Krieglstein, Regional Head of Liability, Central & Eastern Europe, AGCS. „Dazu tragen Faktoren wie anspruchsvollere Technik, verkürzte Produkttestzeiten, Outsourcing von Forschung und Entwicklung und zunehmender Kostendruck bei. Der technologische Wandel in der Automobilindustrie hin zur elektrischen und autonomen Mobilität wird weitere Rückrufrisiken mit sich bringen.“
Bei einer der bis dato grössten Rückrufaktionen in der Automobilbranche wegen defekter Airbags werden wohl 60 bis 70 Millionen Fahrzeuge von mindestens 19 Herstellern weltweit in die Werkstätten zurückgeholt. Die Kosten werden auf fast 21 Mrd. Euro geschätzt. Dieser Fall verdeutlicht den zunehmenden „Domino-Effekt“, der sich auf den Automobilsektor, aber auch auf andere Branchen auswirkt. Da viele gängige Komponenten von vielen Herstellern gleichzeitig verwendet werden, kann ein einziger Rückruf Auswirkungen auf eine ganze Branche haben.
Produktrückrufe im Fokus der Schweizer Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie
Die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie ist der am zweithäufigsten betroffene Sektor, auf den 16% der analysierten Verluste entfallen. Die durchschnittlichen Kosten für einen signifikanten Produktrückruf betragen fast 8 Mio. Euro. Nicht deklarierte Allergene (einschliesslich Fehlbeschriftung von Inhaltsstoffen) und Krankheitserreger sind ein grosses Problem, ebenso wie die Kontamination durch Glas-, Kunststoff- und Metallteile. „Auch in der Schweiz sind Produktmanipulation und Produktrückruf bei unseren Kunden in der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie ein grosses Thema“, erklärt Christoph Müller, der für das AGCS-Geschäft in der Schweiz verantwortlich ist. Die vermehrte Nachfrage nach Versicherungslösungen geht in der Schweiz vor allem von grossen Endkunden aus, die sich gegen Schwierigkeiten Ihrer Schlüssellieferanten absichern möchten. „Ein weiterer Treiber im Markt sind die Schadenerfahrungen der Vergangenheit, die unmittelbar auf Produktrückruf oder Produktmanipulation zurückzuführen sind“, so Müller.
Produkte aus Asien, so die AGCS-Studie, lösen weiterhin eine überproportionale Anzahl von Rückrufaktionen in den USA und Europa aus, was die Verschiebung der globalen Lieferketten nach Osten und die historisch schwächeren Qualitätskontrollen in einigen asiatischen Ländern widerspiegelt. Doch zunehmende Sicherheitsvorschriften und das wachsende Bewusstsein der Verbraucher sorgen dafür, dass die Rückrufaktionen auch in Asien zunehmen.
Frühzeitiges Krisenmanagement als Teil der Unternehmens-DNA
Vorausschauende Planung und Vorbereitung können einen grossen Einfluss auf die Grösse eines Rückrufs und den finanziellen und Reputationsschaden haben. Als Teil eines ganzheitlichen Risikomanagementkonzepts können spezialisierte Produktrückrufversicherungen Unternehmen dabei unterstützen, sich schneller zu erholen, indem sie die Kosten für einen Rückruf, einschliesslich Betriebsunterbrechung, decken. Solche Versicherungen bieten auch Zugang zu Krisenmanagement-Services und spezialisierten Beratern. Diese prüfen die Verfahren eines Unternehmens und unterstützen bei einer Produktkontamination weltweit bei der Zusammenarbeit mit Behörden, Kommunikation, Rückverfolgung von Produkten, sowie Laboruntersuchungen von kontaminierter Ware einschliesslich Genomsequenzierung und DNA-Tests.
„Es wird jetzt viel mehr darauf geachtet, wie Unternehmen mit fehlerhaften oder verunreinigten Produkten umgehen, wie schnell sie reagieren und wie zuverlässig sie in Sachen Produktsicherheit sind. Mehr denn je melden sich auch Verbraucher zu Wort und machen ihre Konsumentscheidungen davon abhängig, wie Unternehmen mit Krisen umgehen. Ein Unternehmen, das Krisenmanagement als Teil seiner DNA versteht, ist weitaus weniger anfällig für einen grossen Skandal“, sagt Bentele.