Wie verändern sich Organisationen?
Die Arbeits- und Technologiemärkte, die Arbeitswelt generell, ändern sich rapide. Althergebrachte Unternehmenskulturen sind mehr denn je gefordert, gute Mitarbei-tende und Spezialisten zu finden. Jens O. Meissner ist Professor für Organisation und Innovation. Der Koleiter des Zukunftslabors CreaLab und Vorstandsmitglied des «Netzwerks Risikomanagement» führt in neue Arbeitsformen ein.
Am Tag der Schweizer Qualität spricht er über «Veränderungstrends von Organisatio-nen». Worauf könnte der Professor für Orga-nisation und Innovation in Zeiten wie diesen – wo Unternehmen mehr denn je durchratio-nalisiert, Angestellte gleichzeitig vielseitiger, hybrider, mobiler werden – fokussieren?
Prof. Dr. Jens O. Meissner legt an der Hoch-schule Luzern seinen Schwerpunkt auf die Or-ganisationale Resilienz, darauf, wie Organisa-tionen mit Rückschlägen und Krisen produk-tiv umgehen, und dies beispielsweise im Inno-vationsmanagement und ihrer Führungskul-tur berücksichtigen.
Herr Meissner, sind Hierarchien noch zeitgemäss?
Einerseits erlauben die technologischen Ent-wicklungen mehr Optionen in der Gestaltung der Arbeit. Andererseits rücken die digitali-sierten Arbeitsformen das Individuum und seine Bedürfnisse ins Zentrum. Das hat ent-sprechende Auswirkungen auf die Unterneh-mensorganisation; die traditionellen Organi-sationsstrukturen und -lösungen werden in-frage gestellt, die Arbeitnehmenden wie auch die Konkurrenzsituation auf dem Markt ru-fen nach neuen Ansätzen.
Es gibt komplett neue Ansätze eine «Lernende Organisation» ohne Hierarchien einzuführen. Welchen Weg könnte ein Schweizer Unterneh-men ohne viele Personalressourcen beschreiten?
Auch wenn es momentan einen anderen An-schein hat, ist die «Lernende Organisation» aber konzeptionell nichts Neues. Sie stellt die Frage nach einem Dauerthema: Grundsätz-lich ist es notwendig, die Eigeninitiative von
«Die Identifikation mit einer Aufgabe ist das höchste Gut.»
Mitarbeitenden zu fördern. Damit ist jedoch die Führung gefragt, die Balance zwischen Unternehmensvision und Individualität zu verfolgen. Gerade althergebrachte Hierarchi-en bremsen Erfolge aus, weil sie das vernetzte Arbeiten verhindern.
Heute entscheiden sich sogenannte «Hybrid Professionals» meist nur für Jobs, die mit ihrem Sinngefühl übereinstimmen.
Arbeitnehmende von heute ziehen re-gelmässig Nutzen aus weichen Grenzziehun-gen zwischen Unternehmens- und, wenn man so will, Ideologiebereichen. Auch beob-achte ich bei Entscheidungsträgern, dass sie Einsichten, Erkenntnisse, viele Bereiche des eigenen Engagements für das ganze Unter-nehmen einbringen.
Wie überzeugen Sie jedoch finanziell abhängige Arbeitnehmer von dieser «Entscheidungsfreiheit»?
Ich stufe aktuelle Entwicklungen wie die Di-gitalisierung der Wirtschaft revolutionärer ein als die früheren Wirtschaftsumbrüche. In diesem schnellen Wandel kann Routine schnell passé sein. Um Ihre Frage auszufüh-ren:
Per se ist die Identifikation mit einer Ar-beitsaufgabe zugleich das höchste Gut, aber auch die grösste Herausforderung einer Füh-rungskraft, die Unternehmensvision länger-fristig mit Leben zu füllen. Will der Chef ei-nen erfahrenen Angestellten binden, sollte er ihm sicher auch flexible und kombinierbare Vertragsbestandteile anbieten können.
Ebenso gibt es neuartige Ansätze wie ‹Holacracy›, wo Angestellte in hierarchiefrei-eren Unternehmen jeweils in Projektaufträge eingebunden werden.
Das klingt plausibel, doch nicht alle Unter-nehmen arbeiten wie Werbeagenturen. Wie könnte es kleineren KMUs oder NPOs gelin-gen, sich zeitgemässer zu positionieren?
Kleine und Mittelständische trumpfen durch ihre grosse Beziehungsnähe, eine hohe Flexi-bilität und die Bereitschaft, in ihrem spezifi-schen Marktsegment auch global führend sein zu wollen. NPOs sind in der Schweiz zu-dem sehr gut aufgestellt, weil es in der Schweiz einen gesellschaftlich reichen Kon-text für sie gibt.
Beide Organisationstypen sind zeitge-mäss, weil sie dem doch sehr zweifelhaften, rein auf Shareholderprofit ausgerichteten Wirtschaften eine Sinnkomponente entge-gensetzen. Allerdings dürfen KMUs meist noch ihre Haltung zur überbetrieblichen Zu-sammenarbeit optimieren. NPOs haben meist Verbesserungspotenzial an der Flexibi-lität ihrer Strukturen und Abläufe.
Bereits in der Antike wurde ein «System des partiellen Zufalls» bei der Besetzung von Führungsposten praktiziert. –Wie beurteilen Sie, ein Forscher für systemische Innovation, solche Strategien?
Wie Organisationen für die Zukunft die bes- ten Köpfe an die Spitze wählen könnten, weiss eigentlich niemand. In Asien wird ja be- reits auch künstliche Intelligenz an Füh- rungssitzungen konsultiert. Dieses System des Zufalls (ein Teil der Mitglieder wird ge-wählt, der andere Teil zufällig ausgelost) hat meiner Ansicht nach den Vorteil, dass weni- ger Personen an der Spitze einer Organisation stehen, die von Selbstüberschätzung getrie- ben sind. Diese Hybris war schon damals für Unternehmen und Staaten ein Risiko. Der Trend, diesen Zufall mehr und mehr wegzu- rationalisieren, hat ein weiteres Auseinan-derdriften von «oben und unten» in der Ge-sellschaft zur Folge. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die zu beobachten ist.
Welche Systeme oder Führungs-Skills braucht es in dynamischen Organisationen?
Ich bin überzeugt, dass die beschriebene Hy-bridität auf Arbeitsmärkten schliesslich auch ein stimmiges Ganzes bedingt. Allerdings werden in der digitalisierten Welt auch klei-ne charakterliche Gesten immer wichtiger.
Denn während die kleinen Wirtschaftsteilnehmer von Konzernen wie Amazon, Zalando, Alibaba oder Uber weggefegt werden, braucht es dennoch Unternehmen, die auch kleinräumig die Kundenbeziehungen pflegen und Innovationen vorantreiben.