Wie die Digitalisierung das Kundenverständnis transformiert
In der Versicherungsbranche gehören die Erwartungen und das Verhalten der Kun-den laut «Branchenkompass Insurance 2017» zu den grössten Herausforderungen. Wie sollte Kundenservice in Zeiten von Chatbots & Co. idealerweise aussehen? Die Studie «Customer Experience in der privaten Vorsorge» zeigt, was Kunden wichtig ist und an welchen Stellschrauben Versicherer noch drehen müssen.
Der aufgeschlossene Mensch erledigt heute alles mobil, digital und bevorzugt über Self-Services. Wieso ewig in der Schlange einer Bankfiliale stehen, wenn wir unseren Zah-lungsverkehr über eine E-Banking-App erle-digen können? Versicherungen schliessen wir über Insurtechs ab, Assekuranz-Start-ups, die auf digitale Technologien setzen. Mit virtuel-len Insurance-Managern wie Feelix, Ted oder Knip koordinieren wir Preis- und Angebots-vergleiche, bis hin zum Vertragsabschluss per App. Oder etwa doch nicht?
«Vertrieb und Beratung werden sich in naher Zukunft besonders stark verändern», ist im «Branchenkompass Insurance 2017» des F.A.Z.-Instituts und der Sopra Steria AG zu lesen. Von kanalübergreifendem Dialog und Kundenkontaktmanagement oder einer individuellen Kundenansprache ist die Rede. Ausserdem sei mit deutlich mehr Videoberatung sowie Versicherungs-Apps zu rechnen. Durch den Einsatz von Chatbots erwarten sich die befragten Versicherungsführungskräfte mehr Effizienz. Welche Faktoren das Kundenerlebnis nun aber konkret positiv beeinflussen, um eine private Rentenversicherung abzuschliessen – damit beschäftigt sich die Namics-Studie «Customer Experience in der privaten Vorsorge». Der Status quo der aktuellen Kundenzufriedenheit ist ernüchternd. Die Befragung von rund 800 Personen zeigt: Sie sind insgesamt zwar zufrieden, aber nicht begeistert von ihren Finanzdienstleistern. Die Beratung würde sich nicht am Kunden orientieren, kritisieren die Studienteilnehmer. 42 Prozent gaben an, dass ihre Versicherung nicht zu ihren Bedürfnissen passt. Ausserdem er-warten Kunden durchgängige Customer Journeys – das heisst eine bruchlose Erfah-rung über alle Berührungspunkte bis zur (Kauf-)Entscheidung.
Verändertes Kundenverhalten
Um nach individuellen Lösungen in puncto Altersvorsorge zu suchen, setzt die Mehrheit heutzutage auf unterschiedliche Quellen: Knapp 70 Prozent informieren sich aktiv über alle Kanäle hinweg und vergleichen verschie-dene Angebote. Dabei spielt klassische Wer-bung ebenso eine Rolle wie verschiedene Online-Kanäle. Diese Art der aktiven Recher-che nimmt mehr und mehr zu; für junge Ziel-gruppen wie die Generation Y oder Z ist sie selbstverständlich. Es gilt also, ein geeignetes Online-Angebot zu schaffen, bei dem der Kunde sich umfassend informieren kann und für seine Bedürfnisse passende Lösungen fin-det. Wer nun aber glaubt, der Berater hätte im Zuge von digitalen Self-Services ausgedient, der irrt!
Kunden wollen weiterhin beraten wer-den – und zwar nicht von Maschinen. Für knapp 76 Prozent der Studienteilnehmer ist es wichtig, mit einem Berater zu sprechen; für rund 51 Prozent ist ein persönliches Gespräch sogar der entscheidende Faktor auf dem Weg zum Vertragsabschluss. Demnach ist die Be-ratung der Dreh- und Angelpunkt der gesam-ten Customer Journey. Die Crux: Sie erfüllt aktuell nicht die Erwartungen der Kunden. Gewünscht ist ein Berater, der ihre Interessen vertritt und die beste Lösung für ihre Bedürf-nisse sucht. Aktuell werden Berater jedoch nicht als vertrauens- und glaubwürdig wahr-genommen – insbesondere, wenn es darum geht, Vorsorgelösungen zu erklären und die aktuelle Vorsorgesituation zu analysieren. Mehr als die Hälfte der Befragten nimmt ihren Berater eher als Verkäufer wahr. Da verwundert es nicht, dass es selten im Gespräch zu einem Vertragsabschluss kommt: Sage und schreibe 72 Prozent fordern Bedenkzeit ein.
Mehr Vertrauen und Transparenz in der Beratung
Die Studie «Customer Experience in der privaten Vorsorge» empfiehlt: «Die unterschiedlichen Berührungspunkte während der Customer Journey müssen optimiert und vor allen Dingen besser miteinander verzahnt werden. Nur so können Kundenbedürfnisse besser bedient werden.» Diese Berührungspunkte – Marketingexperten sprechen von Touchpoints – sind beispielsweise Auslöser, die das Bedürfnis nach einer privaten Altersvorsorge überhaupt erst wecken. Das kön-nen Freunde oder Bekannte sein, Online-Werbung oder der Steuer berater. Aber auch die simulierte Vorsorgesituation mit einem Online-Rechner oder Vergleichsportale zählen zu diesen Punkten, denen Kunden auf dem Weg bis zum Vertragsabschluss begegnen. Bis hier-hin sind besonders zwei Faktoren elementar: Entspricht die Lösung den Kundenbedürfnissen und besteht ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis? Doch auch das Vertrauen zum Kundenberater spielt eine entscheidende Rolle. Um dieses aufzubauen, muss das Beratungs gespräch vor allem transparent sein: Einerseits möchten Kunden
«Digitalisierte Prozesse sollen die Beratung nicht ersetzen.»
nachvollziehen können, was mit ihren Informationen geschieht und wie deren Verwendung die Auswahl einer passenden Lösung beein-flusst. Anderseits setzen sie voraus, dass der Berater ihnen Kosten von Produkten und seiner Leistung offenlegt sowie Prozesse bis zum Ab-schluss der Konsultation nachvollziehbar gestaltet.
Mit digitalen Hilfsmitteln den Kundenservice verbessern
Neben dem physischen Beratungsgespräch bietet die Digitalisierung zusätzliche Möglichkeiten, dem Kunden eine Vorsorgelösung näher-zubringen. Digitale Hilfsmittel wie Rechner oder andere interaktive Tools können dabei unterstützen, die Beratung strukturierter durch-zuführen. Sie helfen, eine kooperative Situation zu schaffen, in der der Berater eher moderierend agiert und weniger als Verkäufer wahr-genommen wird. Per Video oder Chat kann ein besserer Zugang zum Experten geschaffen werden, um auftretende Fragen während des gesamten Prozesses zu klären – etwa, wenn es nach einem Termin noch Fragen zum Vertrag gibt. Allerdings ist der Weg zu einer orts-und zeitunabhängigen Beratung über Videochat- und Co-Browsing noch lang: Denn aktuell lehnen 45 Prozent der Teilnehmer eine sol-che Beratung ab.
Über Kundenportale können beispielsweise Angebote mit dem Kundenberater ausgetauscht werden. Einen Mehrwert für den Kun-den bieten überdies interaktive Visualisierungen. Sie veranschau lichen, wie sich ändernde Bedürfnisse oder Situationen auf eine Pro-duktlösung auswirken, beispielsweise wenn es darum geht, zu erklä-ren, was eine Frühpension für das Alterskapital bedeutet. Zudem können digitalisierte Prozesse für mehr Kundenzufriedenheit sorgen, beispielsweise wenn es um Schadensmeldungen geht. Bilder oder Videos nach Unfällen sollen per Schaden-App hochgeladen werden und den Aufwand für die Begutachtung reduzieren. Künstliche Intel-ligenz sei indes noch kein Thema laut «Branchenkompass Insurance».
Wichtig beim Einsatz von digitalen Hilfsmitteln: Die angegebe-nen oder über den Kunden bereits bekannten Daten müssen wieder-verwendet werden, um eine Durchgängigkeit zu ermöglichen. Hier-für empfiehlt sich die Verwendung eines Customer-Relationship-Ma-nagement-Systems (CRM) für die Kundenpflege.
Klassische und digitale Beratung kombinieren
Die Studienergebnisse zeigen, dass digitalisierte Prozesse die Bera-tung nicht ersetzen sollen. Für komplexe Produkte wie die private Vorsorge bleibt das persönliche Gespräch nach wie vor ein zentraler Aspekt. Jedoch führen die Digitalisierung und die Bedürfnisse der Kunden dazu, dass eine Vielzahl an Touchpoints für die Customer Journey relevant ist. Diese gilt es als Versicherer miteinander in Ein-klang zu bringen und dabei die Kundenperspektive stets im Auge zu behalten. Klassische Berührungspunkte wie die Beratung bleiben also bestehen, ihre Rolle wird aber die (digitale) Reise eines Kunden
verändern.