Weltweite Katastrophen: Beurteilung und Gegenmassnahmen

Extreme Ereignisse fordern ihr Tribut: Mehr als sieben Billionen US-Dollar wirtschaftlichen Schaden und Millionen von Toten ziehen Naturkatastrophen zwischen 1900 und 2015 mit sich. Die aktuelle Bilanz des Geophysikers James Daniell vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) weist mehr als sozioökonomische Indikatoren auf, um in extremen Zeiten ein akkurates Katastrophenmanagement zu führen.

Weltweite Katastrophen: Beurteilung und Gegenmassnahmen

 

 

Die von James Daniell entwickelte Datenbank CATDAT greift auf Indikatoren zurück, die in erster Linie Regierungen und Hilfsorganisationen hilft, eine möglichst präzise Katastrophenbeurteilung durchzuführen. 2016 erhielt Daniell für seine Arbeit eine von drei Doktorandenpreisen des Karlsruher Instituts für Technologie KIT. Bei der Jahresversammlung der European Geosciences Union in Wien kommentierte der Forscher spezifische Schadensereignisse.

 

Demnach gehen ein Drittel des wirtschaftlichen Gesamtschadens zwischen 1900 und 2015 auf das Konto von Flutkatastrophen. Erdbeben verursachen 26 Prozent der Schäden, Stürme 19 Prozent, Vulkanausbrüche machen lediglich ein Prozent aus. «In den vergangenen hundert Jahren haben die wirtschaftlichen Schäden durch Naturkatastrophen pro Jahr – absolut gesehen – zugenommen», sagt Daniell, der am KIT sowohl am Geophysikalischen Institut als auch am Cen – ter for Disaster Management and Risk Reduction Technology CEDIM forscht und John Monash Scholar ist.

 

Während auf den gesamten Zeitraum gesehen Flutkatastrophen die grössten Verursacher wirtschaftlicher Schäden sind, geht in der jüngeren Vergangenheit, seit 1960, mit 30 Prozent der grösste Anteil auf Stürme (und Sturmfluten) zurück. – In Relation zum jeweiligen Wert von Infrastruktur und Gebäuden in einem Land (Bruttoanlagevermögen) nehmen die Schäden allerdings ab.

Teufelskreis von Unterentwicklung
«Grundsätzlich sind weniger entwickelte Länder durch Katastrophen verwundbarer, das heisst, bezogen auf Bevölkerungszahl und Vermögen sind mehr Tote und ein höherer wirtschaftlicher

 

In Relation zum Infrastruktur- oder Gebäudewert nehmen die Schadenssummen ab.

 

Schaden zu befürchten als in besser entwickelten Ländern», so der Geophysiker und Bauingenieur. Ein häufiger Grund sei, dass entsprechende Baurichtlinien nicht umgesetzt würden. Zudem bildeten, wie etwa in Bangladesh, die Küstenregionen die neuralgischen Zentren. Diese sind entsprechend stark besiedelt.

 

Für seine Analysen setzt Daniell auf umfassende sozioökonomische Indikatoren wie

 

  • Bevölkerungsentwicklung
  • Bausubstanz
  • Verbraucherpreisindizes Bruttoinlandsprodukte
  • Kapitalstock
  • Daten zu Nahrungsmittelsicherheit

Um die Entwicklung der sozioökonomischen Verwundbarkeit (Vulnerabilität) im Lauf der Zeit untersuchen zu können, hat er die Schäden auf das Jahr 2015 normalisiert. «Hier zeigt sich der klare Trend, dass viele Länder etwa Gebäude besser gegen Naturkatastrophen schützen; so verringern sie ihr Risiko hoher Schäden », sagt Daniell.

 

Der verbesserte Hochwasserschutz wirke sich deutlich aus, nachdem es zwischen 1900 und 1960 hinweg sehr hohe Schäden vor allem durch Flutkatastrophen gab. Ein deutlicher Rückgang wirtschaftlicher Schäden liesse sich etwa seit 1950 in China und Japan beobachten.

 

Abhängig davon, ob man die Schäden über den Verbraucherpreisindex oder den Baupreisindex auf das Niveau von 2015 anpasst, ergibt sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine weltweite Naturkatastrophen-Schadens-bilanz zwischen 6,5 und 14 Billionen US-Dollar. – Die von Daniell ermittelten sieben Billionen basieren auf der Anpassung über einen Preisindex des Bruttoinlandsprodukts (BIP-Deflator).

 

Bei Katastrophenereignissen geht auch die Forschung von Ober- und Untergrenzen aus.

 

«Oft ist es unmöglich, eine genauere Zahl für ein Ereignis zu erhalten, da Schäden sehr schwierig zu schätzen sind, auch Todeszahlen werden häufig zunächst überschätzt, zum Beispiel beim Erdbeben in Haiti 2010, oder unterschätzt, wie beim Beben in Usbekistan 1966», sagt er und nennt deshalb in seiner Forschung Ober- und Untergrenzen.

Grösster wirtschaftlicher Schaden
Im Hinblick auf den grössten wirtschaftlichen Schaden belegt das Jahr 2011 mit schweren Erdbeben in Japan und Neuseeland den Spitzenplatz: «Mit 335 Milliarden Dollar Direktschäden ist das Tohoku-Erdbeben mit Tsunami und Nuklearunfall am 11. März 2011 bislang die teuerste Naturkatastrophe überhaupt», so Daniell. Bei dem Beben mit nachfolgendem Tsunami starben rund 18 500 Menschen, 450 000 wurden plötzlich obdachlos.

Permanentes Erdbebenrisiko
Die Zahl der Toten durch Erdbeben zwischen 1900 und 2015 liegt nach Daniells Daten bei 2,32 Millionen, der Schwankungsbereich liegt bei 2,18 bis 2,63 Millionen. Weitere Erkenntnisse: Die meisten Toten – 59 Prozent – starben durch zerstörte Backsteingebäude, 28 Prozent durch sekundäre Effekte wie Tsunamis und Erdrutsche. Durch Vulkanausbrüche starben im gleichen Zeitraum 98 000 Menschen (Schwankungsbereich: 83 000 bis 107 000).

 

Verheerende Vulkanausbrüche vor 1900, wie der des Tambora 1815, können jedoch sehr hohe Todeszahlen und weltweite Konsequenzen nach sich ziehen, etwa bezüglich der Nahrungsmittelsicherheit. James Daniells Fazit: «Die absolute Zahl der jährlichen Toten durch Naturkatastrophen ist über die Jahre hinweg leicht gesunken – in Relation zum Bevölkerungswachstum sogar deutlich. Derzeit liegt sie bei etwa 50 000.» Auf den gesamten Zeitraum (1900 und 2015) gesehen, starb die Hälfte aller Opfer durch Flutkatastrophen. Dank besserer Vorbereitung und Analysen nimmt dieser Anteil mehr und mehr ab. Seit 1960 nehmen jedoch Erdbeben wieder einen grösseren Anteil ein mit rund 40 Prozent. Verglichen mit der weltweiten Sterberate sei die Rate der Todesopfer durch Naturkatastrophen relativ konstant geblieben. Das stärkste historisch dokumentierte Erdbeben in der Schweiz mit einer Magnitude von ungefähr 6.6 ereignete sich 1356 in Basel. Derartige Ereignisse sind innerhalb von 1500 Jahren etwa einmal zu erwarten. Etwa alle 8 bis 15 Jahre kommt es zu einem Erdbeben mit einer Magnitude von mindestens 5. Grössere Erdbeben mit einer Magnitude von 6 oder mehr kommen in der Schweiz alle 50 bis 150 Jahre vor. Zwar sehr selten, können sie aber vielerorts und jederzeit geschehen.

 

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