«Warum wir uns nie ausruhen können …»
Menschen mit Handicaps haben es nicht leicht im Leben. Umso notwendiger sind Institutionen, die sie unterstützen. Die Stiftung die rodtegg (www.rodtegg.ch) ist eine solche – eine, die diese wertvolle Arbeit stetig verbessert.
Die rodtegg in Luzern ist eine private Stiftung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einer körperlichen oder mehrfachen Beein- trächtigung. Sie bietet Schulung, Therapien, Ausbildung, Arbeit, Wohnmöglichkeiten und Beratung mit dem umfassenden Ziel, die Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der ihr anvertrauten Menschen zu fördern. Heute sind es rund 240 Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Erwachsene, wel- che die Angebote der Rodtegg nutzen.
Anspruchsvolle Arbeit
Die Arbeit mit Behinderten ist anspruchsvoll und bringt auch «hinter den Kulissen» viel Aufwand mit. Gesellschaftliche, wirtschaftli- che oder auch politische Entwicklungen gilt es laufend in die operativen Prozesse aufzuneh- men. Ein aktuelles Thema ist etwa die Sexuali- tät von Menschen mit Beeinträchtigungen. Das erste Konzept stammt aus dem Jahre 2007 und wird jetzt der aktuellen Situation entspre- chend angepasst und überarbeitet. Wo in der täglichen Arbeit Veränderungsbedarf gesehen wird (z.B. Nasszellen im Wohnheim, Freizeit- raum), wird das Anliegen umgehend umge- setzt, je nachdem werden dazu Projekte lan-ciert. Die Wirkung der Veränderungen wird mit bestehenden Indikatoren (z.B. Kundenzu- friedenheit) gemessen.
Vielfältige Stakeholder
Qualität wird bei der Rodtegg gross geschrie- ben, um die Vorgaben und Ansprüche der Sta- keholder – etwa der Kanton, die IV, Kranken- versicherer, Schulgemeinden, Eltern, Mitar- beitende, Bewohner/-innen – erfüllen zu kön- nen. 2008 liess sich die Stiftung erfolgreich nach ISO 9001:2000 zertifizieren. Doch damit gab man sich nicht zufrieden: Mit dem EFQM- Modell setzte die Geschäftsleitung auf ein In- strument, um die kontinuierliche Verbesse- rung ganzheitlich angehen zu können. 2013 erfolgte die Anerkennung R4E***. Doch auch diese Auszeichnung soll nur ein Meilenstein auf dem weiteren Weg bleiben: 2018 bewarb die Rodtegg sich deshalb erfolgreich für die Teilnahme am ESPRIX Award for Excellence – ein Schritt, der etwa durch das Auditteam der SQS, das für die ISO-Rezertifizierung (Auf- rechterhaltungsaudit) zuständig war, beson- ders gewürdigt wurde.
Die Arbeit mit Behinderten besser würdigen
Direktorin Luitgardis Sonderegger-Müller sieht die Nomination für den ESPRIX-Award nicht nur als «Lohn» für den betriebenen Auf- wand. Vielmehr will sie damit zeigen, dass die Arbeit in sozialen Institutionen genauso nach unternehmerischen, betriebswirtschaftlichen und qualitätsorientierten Kriterien verläuft wie in der Privatwirtschaft. Vehement wehrt sie sich gegen die Klischeevorstellung, der sie immer wieder begegnet: «Das ist doch schön, mit Behinderten zu arbeiten. Die geben einem doch so viel Schönes und so viel Freude zu- rück.» Das sei nur die halbe Wahrheit: «Wir müssen täglich beweisen, dass wir professio- nell arbeiten, weil wir gegenüber unseren Geldgebern unter einem starken Legitima- tionsdruck stehen», so Sonderegger-Müller. Wie viele andere Institutionen auch arbeitet die Stiftung rodtegg mit klar definierten Pro- zessen. In diesen werden Präzisierungen in Form von Konzepten, Ablaufschemata, Regle- menten und Weisungen vorgenommen. Das ist zuweilen komplex; doch dank der Selbst- bewertung mit dem EFQM-Modell konsta- tierten einige Mitarbeitende am Schluss: «Erst jetzt haben wir den Betrieb richtig kennen- gelernt.»
Im Gespräch: Luitgardis SondereggerMüller, Direktorin
Frau Sonderegger-Müller, Sie haben das EFQM-Modell als Weiterführung der ISO- Zertifizierung im Betrieb eingeführt. Was kann EFQM «besser» als noch ISO 9001:2008? Das EFQM-Modell ist dynamischer und mehr auf kontinuierliche Verbesserungsprozesse fo- kussiert, ja es erlaubt die kontinuierliche Ver- besserung erst. Wir haben denn auch festge- stellt, dass eine Selbstbeurteilung nach dem EFQM-Modell besser möglich ist als nur nach dem ISO-Standard. Wir machen Mitarbeiten- de zu Beteiligten, sie denken mit, geben immer wieder Feedbacks. Dies fördert die Identifizie- rung mit dem Betrieb.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Arbeit mit dem EFQM-Modell?
Sich stetig verbessern zu wollen ist eine Hal- tung, eine Philosophie. An den zweimal jährlich stattfindenden und für alle Mitarbeitenden ob- ligatorischen Haustagungen arbeiten wir regel- mässig daran. Denn das Modell lässt sich nicht «verankern», man muss es auf alle Mitarbeiter- ebenen herunterbrechen. Für jedes Kriterium haben wir deshalb fünf bis sechs Fragen an- schaulich formuliert – Fragen, die sich Mitar- beitende immer stellen sollten, um zu erken- nen, wo die Rodtegg Verbesserungsbedarf hat.
Bis Excellence, also das Ziel, erreicht ist?
Endgültige Excellence lässt sich nicht errei- chen. Denn das Umfeld verändert sich immer weiter. Deshalb bleiben wir stets gefordert, mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Techno- logie und Digitalisierung sind in diesem Zu- sammenhang etwa zu nennen.
Wie stark lassen Sie sich auf dem Weg zur Excellence durch Dritte begleiten?
Den ganzen Prozess liessen wir durch EFQM- Experten begleiten. Die Bewerbungsdoku- mente für die Stufe R4E*** haben wir 2013 aber selbst verfasst – erstaunlicherweise ka- men wir damit sogar durch… Die Nominierung für den Award hätten wir alleine aber wohl nicht geschafft. Immer wieder eine Aussen- sicht zu erhalten erwies sich als sehr wertvoll.
Welches erste Fazit ziehen Sie nun aus dem Bewerbungsprozess?
Schwer zu sagen. Vielleicht eine Erkenntnis: Weshalb können wir uns nie ausruhen?