Warum pflegen wir die Produktionsfaktoren der Wirtschaft nicht besser?
Was wäre die Wirtschaft ohne die Arbeit der Menschen und ohne die natürlichen Ressourcen aus der Umwelt? Beide befähigen die Wirtschaft zu dem, was sie ist. Beide zu pflegen, bedeutet demnach auch, eine erfolgreiche Wirtschaft überhaupt zu ermöglichen.
Früher galt der Boden im Sinne von Acker- land als erster Produktionsfaktor der Wirt- schaft, als zweiter die Arbeit im Sinne von Tä- tigkeiten der Menschen und als dritter das Kapital, d.h. das Sach- und das Geldkapital. Heute kann man die beiden ersten in einem umfassenderen Sinne verstehen: aus dem Produktionsfaktor Boden wurde der «Pro- duktionsfaktor Umwelt», aus dem Produk tionsfaktor Arbeit der «Produktionsfaktor Mensch».
Produktionsfaktor Mensch
Wenn von Produktionsfaktor Mensch die Rede sein soll, so ist dies nicht negativ zu sehen. Der Mensch ist Nutzniesser der Wirtschaft, andererseits aber durch seine Arbeit auch ein wichtiger Garant dafür. Ohne seine geistigen Fähigkeiten wie z.B. die Innovation oder manuellen Fähigkeiten wie z.B. die Herstellung von Maschinen gäbe es die Wirtschaft nicht, wie sie heute ist. Die Menschen sind als «human resources» eine sehr relevante Quelle des Erfolges einer Wirtschaft. Doch warum pflegen wir die Menschen nicht besser? Die stressbedingten Kosten als Beispiel gehen in der Schweiz jährlich in die Milliarden: Gesundheitskosten und Ausfallkosten (siehe z.B. Berichte des Staatssekretariats für Wirtschaft oder der Uni Zürich). Und jeder fünfte Unfall geschieht infolge Übermüdung (siehe z.B. SUVA-Studie).
Produktionsfaktor Umwelt
Zum Produktionsfaktor Umwelt zählt die Natur mit den Lebensgrundlagen Boden, Wasser und Luft, aber auch die Energie. Aus der Umwelt holt sich die Wirtschaft alle natürlichen Ressourcen («natural resources») wie die Primärenergieträger Wasser, industrielle Rohstoffe, Edelmetalle oder Agrarrohstoffe. Es gibt kein Unternehmen, das nicht irgendwie natürliche Ressourcen nutzt; dies gilt für Industrie- wie Dienstleistungsunternehmen. Doch warum pflegen wir den Produktionsfaktor Umwelt nicht besser? Einerseits beuten wir die Umwelt aus und entnehmen Ressourcen, wie und wann es uns gefällt. Andererseits belasten wir sie mit Emissionen; und vor allem müllen wir alles mit Abfall zu: die Böden, die Weltmeere, die Atmosphäre. Auch hier gehen die Umweltkosten in der Schweiz jährlich in die Milliarden (siehe z.B. Berichte des Bundesamts für Umwelt).
Analogien zwischen Mensch und Umwelt
Es bestehen interessante Analogien bei Problemen des Produktionsfaktors Mensch und bei Problemen des Produktionsfaktors Umwelt. Im Folgenden ein paar Beispiele (mehr dazu in «Wirtschaft zum Wohle aller? Die Kunst liegt im Gleichgewicht», ISBN 978-3- 9521520-3-4):
a) Mensch: Das menschliche Herz-Kreislauf- System kann nicht immer nur produzie- ren. Er braucht auch Ruhezeiten. Missach- tet man diese, kann es kollabieren. Künst- liche Beatmung kann eine lebensrettende Sofortmassnahme sein. Umwelt: In der Schweiz ist Mitte der Achtzigerjahre als Folge des stetig steigenden Produktions- drucks in der Landwirtschaft der Sempa- chersee kollabiert. Alle Fische starben; der See wurde danach jahrelang belüftet und mit Sauerstoff versorgt. Das Ökosystem im Golf von Mexiko ist jetzt daran abzuster- ben, wie damals der Sempachersee.
b) Mensch: In unserem Verdauungssystem werden Stoffe zersetzt und in neue Stoffe umgewandelt, die der menschliche Körper braucht und aufnimmt. Muten wir diesem System zu viel «Unverdauliches» zu, ver- sagt es und reagiert mit Verdauungspro- blemen. Umwelt: Stoffe wie z. B. Abfälle liessen wir früher einfach versickern oder vergruben sie. Der Boden kann sie aber nicht verdauen, d.h. abbauen und daraus neue Stoffe für das Ökosystem herstellen. Diese Störungen muss nun die Gesellschaft z.B. im Rahmen von milliardenschweren Altlastensanierungen korrigieren
c) Mensch: Unter Burnout versteht man ein Ungleichgewicht beim Menschen, wenn er zu viele Ressourcen verbraucht und andererseits selber zu wenig Ressourcen dazugewinnt. Dies führt zu einem Defizit an Ressourcen und zu einer Art der totalen Erschöpfung; der Mensch brennt aus. Umwelt: Auch auf der kollektiven Ebene sind wir am Ausbrennen der Erde: Wir entnehmen mehr Ressourcen (z.B. fossile Brennstoffe und Rohstoffe), als die Erde uns geben kann. Der ökologische Fussabdruck ist in vielen Industrienationen grösser als drei Erden.
Wir verstehen weder mit natürlichen noch mit menschlichen Ressourcen «ökonomisch» umzugehen – und dies in einer Welt mit derart vielen Ökonomiespezialisten (-innen)?
Hier kommt die Medizin ins Spiel: Für die Krankheitssymptome der Menschen (z.B. ein Burnout) sind Ärzte zuständig. Die Aufgabe der Medizin ist es, die Menschen zu pflegen und zu heilen; auch um sie nach Krankheit oder Unfall wieder in die Wirtschaftsund Arbeitswelt zu integrieren. Die Medizin wird dadurch zu einem relevanten Bereich des Sozialmanagements: sie pflegt und unterhält den Produktionsfaktor Mensch derart, dass es ihm gut geht.
Es kommt aber auch der Umweltschutz ins Spiel. Er repariert Schäden (z.B. kollabierte Seen, alte Abfalldeponien) und zeigt auf, wie zum Produktionsfaktor Umwelt Sorge zu tragen wäre, derart, dass die Umwelt noch lange als Basis für unser Leben und für die Wirtschaft funktionieren könnte. Dies ist eine andere Sicht, vor allem wenn man den Umweltschutz vom betrieblichen Umweltmanagement zum betriebsübergreifenden Ökosystem-Management weiterdenkt.
Was brauchen wir in Zukunft?
Wir brauchen einen Philosophiewechsel in der Wirtschaft; und zwar in beiden Bereichen des Sozial- und des Umweltmanagements. Werfen wir z. B. einen Blick auf den Ursprung des Produktionsfaktors Boden. Boden galt lange als extensiv zu nutzende Grundlage der Landwirtschaft (siehe z. B. Dreifelderwirt- schaft mit Brachland). Im Rahmen des Fort- schritts musste die Landwirtschaft immer in- tensiver produzieren, bis die Böden ausge- laugt, verdichtet, erodiert oder voller Schad- stoffe waren (oder die Seen kollabierten). Dann erst gab es mit dem Biologischen Land- bau einen Philosophiewechsel: Man begann den Boden zu «pflegen», denn nur ein gepfleg- ter und gesunder Boden kann der Landwirt- schaft eine ökonomische und erfolgreiche Grundlage sein. Analoges gilt für den Produk- tionsfaktor Umwelt und die Gesamtwirt- schaft.
Wir brauchen aber auch einen Füh- rungswechsel in der Wirtschaft: In Zukunft sind Führungskräfte gefragt, welche den Menschen und die Umwelt ins Zentrum stel- len, d. h. auf ein Unternehmen bezogen Sozi- almanagement und Umweltmanagement pflegen, um erfolgreiches Qualitäts- und Ökonomiemanagement überhaupt erst zu ermöglichen. Oder anders gefragt: Was könn- te die Wirtschaft von der Medizin und vom Umweltschutz lernen (siehe Beispiele a-c oben)? Denn es sind die Krankheitssympto- me und die Umweltprobleme, die uns deutli- che Zeichen senden, dass etwas nicht stimmt. Und die steigenden Gesundheits- und Um- weltkosten sind auch ein Fingerzeig. Warum pflegen wir die Menschen und die Umwelt nicht besser, auch zum Wohle der Wirt- schaft?