Warum ist Agilität für Unternehmen heute so wichtig?
Dauernd ist die Frage zu hören, was Agilität denn sei und warum diese so wichtig sei. Der Autor hat dazu einen Experten befragt und ein paar deutliche Antworten erhalten.
Dr. Hans-Joachim Gergs, Senior Consultant und Organisationsentwick-ler im Veränderungsmanagement der Audi AG in Ingolstadt und Lehr-beauftragter für Organisational Behavior an der TU München und der Universität Heidelberg, bringt Licht in eine aktuelle Forderung an die Unternehmensführung.
Herr Dr. Gergs, weshalb ist Agilität zum Top-Wort der Unternehmens-führung geworden?
Hans-Joachim Gergs: Weil damit Eigenschaften beschrieben werden, die für die Selbstbehauptung grösserer wie kleinerer Unternehmen im rasant-globalen Marktgeschehen ausschlaggebend sind: Aufgeschlos-senheit für Neues; innovatives Arbeiten durch Abschneiden alter Zöpfe und Schlachten heiliger Kühe im Gewohnten und Herkömmlichen; un-bürokratisches Handeln durch Flexibilität in den betrieblichen Abläu-fen, Handlungs- und Reaktionsweisen. Die von der Digitalisierung an-gestossenen Veränderungen ihrer Aktions-Umwelt fordern von den Betrieben, sich in Angebotsgewohnheiten, Angebotsdarstellung wie der Gestaltung ihrer Geschäftsmodelle vollkommen neuen Spielregeln zu öffnen und denen gemäss zu handeln, eben agil. Und laut Duden heisst das von grosser Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig. Im agilen Unternehmen zeigt sich das durch proaktives und antizipatives = vorausschauendes Denken und Verhalten in der Einstellung auf die Forderungen wie Entwicklungstendenzen des Marktes.
Charakteristisch für ein agiles Unternehmen ist damit?
Mut und Wille, neue Wege in der Betriebsorganisation und der innerbetrieblichen Zusammenarbeit sowie im Marktauftritt zu erproben. Sich gleichzeitig dabei aber davor zu hüten, alles auf einmal auseinanderzunehmen und umzuschmeissen und das Unternehmen dadurch in die Instabilität zu stürzen. Praxisbeispiele zeigen das klar und deutlich, überstürztes «Agilisieren» macht instabil! Und nicht nur das, wo alles auf einmal über den Haufen geworfen wird, heisst das Ergebnis Orientierungslosigkeit. Das gesamte Unternehmen fängt an zu schlingern. Die Belegschaft wird irre. Agilität als definitiv wichtige betriebliche Zielvorstellung wird nicht durch eilige und permanent in sich selbst wieder korrigierte Veränderungsprozesse erreicht, sondern durch eine bewusst laufende betriebliche Selbsterneuerung. Agilität erwächst aus einer Unternehmenskultur, in der die Transformation = Veränderung das Ergebnis einer wachen innerbetrieblichen Aufmerksamkeit in jeder Hinsicht und in allen Belangen ist.
Praktisch bedeutet das?
Eine Belegschaft, die ihr Tun, sei es im Blick auf Kundenkontakte, sei es im Blick auf die Aufgabenbearbeitung, als laufenden Erkenntnis- und Lernprozess versteht und praktiziert. Mit anderen Worten – die alle betrieblichen Aktivitäten beziehungsweise Handlungsschritte stets gedanklich mit der Überlegung verknüpft, was liesse sich einfacher, unkomplizierter, reibungsloser, schneller, kostengünstiger machen. Im Grunde ist es das immerwährende Denken in Verbesserungsvorschlägen, das zu der fortlaufenden betrieblichen Selbsterneuerung beiträgt und diesen Prozess lebendig erhält. Die wache Belegschaft ist das Herzstück der betrieblichen Agilität. Diese Wachheit ist der betriebliche Messfühler in das Geschehen. Sie bringt massgeblich die Erkenntnisse, die dann zu den kontinuierlichen Treibern der betrieblichen Selbsterneuerung werden. Anders ausgedrückt: Eine Belegschaft, die aus diesem Selbstverständnis heraus tagtäglich ans Werk geht, ist die mentale Basis betrieblicher Agilität.
Wie werden aus diesen Erkenntnissen neue Angebote? Kontinuierliche betriebliche Selbsterneuerung ist ihrem Wesen nach ein stetes Anfangen durch kritische Wachheit, kein in sich begrenzter Neuanfang. Das gilt auch für die Angebots-/Produktentwicklung. Das heisst, anders als früher beschäftigt sich das agile Unternehmen nicht mehr lange mit der Analyse und der Frage, wie soll es weitergehen und wo dazu am besten anzufangen wäre. Dieses traditionelle Vorgehen wird unter den heutigen, schnelles Erkennen und Reagieren fordernden Bedingungen zu ei-nem riskanten Spiel mit der Zeit. Sich bietende Chancen bleiben nur Chancen, wenn sie aus dem Laufenden heraus genutzt werden – kön-nen. Und wenn dieser Prozess der Chancen-nutzung bereits wieder zur Eruierung zukünf-tig zu verwertender Marktchancen genutzt wird. Natürlich, um sich in diesem zügigen Vorgehen nicht zu vergalop-pieren, braucht es Überwachungs- und Prüfinstanzen, die auf Schritte in die falsche Richtung aufmerksam machen.
Und welche wären das?
Nicht zu lange auseinander liegende Feedbackschleifen, die in die Ent-wicklungsprozesse fest eingebaut werden. Diese Feedbackschleifen sind der analysierende und kontrollierende Blick auf das sich Entwi-ckelnde. Sollen sie ihre Aufgabe erfüllen und definitiv vor falschen Ent-wicklungsschritten warnen, setzt das von oben Fehlertoleranz voraus. Ohne Fehlertoleranz bringt niemand den Mut auf, auf Unstimmigkei-ten beherzt und frei von Risikoängsten hinzuweisen. Nichts lähmt die betriebliche Entwicklungsfreudigkeit so stark, wie die Sorge, eventuell Fehler zu machen und die Angst, gemachte beziehungsweise erkannte Fehler anzusprechen. Und nichts setzt mehr explorative innovative be-triebliche Kräfte frei als Fehlertoleranz. Ein Betrieb erstarrt, werden Irr-tümer oder Fehler automatisch mit Unfähigkeit gleichgesetzt. Grassie-ren in einem Unternehmen Sprüche wie «Wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt» oder «Erst mal abwarten, was von oben gewünscht wird», «Wer sich zuerst bewegt, hat verloren!», dann braucht dieser Betrieb, par-don, eine Gehirnwäsche.
Heisst das indirekt, überzogener Druck und innovative Agilität vertragen sich nicht? Präzis darauf wollte ich hinaus! Die Forderung nach betrieblicher Agilität ist ja nicht allein die Antwort auf die Schnelligkeit und Unberechenbarkeit moderner Märk-te, sondern auch auf den dadurch entstehenden Leistungsdruck, dem Rechnung getragen werden muss. Dieser externe Leistungsdruck sorgt automatisch auch für einen internen Leistungsdruck. Wird dieser un-vermeidliche Druck nun aber noch zusätzlich durch ein exzessiv for-derndes Führungshandeln, wozu übrigens auch realitätsfern absolute Fehlerfreiheit gehört, weiter erhöht, geht das zu Lasten der betriebli-chen Lebendigkeit und Innovationsfreude. Überzogener Leistungs-druck ist aus meiner praktischen Erkenntnis ein ganz gefährlicher Ge-genspieler betrieblicher Agilität. Wird aus einem erfüllten Mehr auto-matisch das nächste Noch mehr, führt das mitten hinein in Ermüdung, Unlust- und weitergehend in Überforderungsgefühle. Kreativität wie Innovationsgeist reagieren hochsensibel auf übermässigen Druck. Ist der Pegel der inneren Anspannung zu hoch, dann blockiert der Mensch. Den agilen Betrieb müssen wir als einen aus sich heraus im positiven Sinne unruhigen Betrieb verstehen. Soll diese positive Unruhe erhalten bleiben, dann verlangt das gerade auch im Führungshandeln ein subti-les Systemdenken. Und Denken im System heisst, vorher die Folgen
von Handlungsweisen zu bedenken.