Von grösseren und kleineren Dimensio-nen

Die Produktion von Industrieerzeugnissen erlebt derzeit zwei Entwicklungsrichtun-gen: Zum einen steigt der Bedarf an immer grösseren Werkstücken, zum anderen werden Werkstücke immer kleiner und komplexer. Die Produktionsmesstechnik muss sich in beiden Welten bewegen können – und stösst auch mal an Grenzen, wie am 5. September an der Fachtagung Produktionsmesstechnik in Buchs SG zu erfahren war.

Von grösseren und kleineren Dimensio-nen

Im Zweijahresrhythmus findet an der Inter-staatlichen Hochschule für Technik NTB in Buchs SG immer im September die Fachtagung Produktionsmesstechnik statt. Am 5. Septem-ber 2019 konnten nun Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Michael Marxer, der auch durch die Tagung führte, und Thomas Jordi, Präsident der Swiss-mem Fachgruppe Dimensionelle Messtechnik, die als Co-Veranstalterin fungierte, wiederum über 150 Besucher begrüssen, die sich über neue Entwicklungen für die Praxis informieren konnten.

Kalibrierung und Messunsicherheiten
Erster Referent des Tages war Dr. Rudolf Thal-mann vom Eidgenössischen Institut für Met-rologie METAS. Er sprach zum Thema «Über-prüfung und Kalibrierung von optischen Mik-rokoordinatenmessgeräten». Da in immer kleineren Dimensionen gearbeitet wird, müs-sen auch Messgeräte mithalten können. Die Herausforderung besteht darin, dass für deren Kalibrierung immer kleinere Kalibrierkugeln notwendig sind. Hinzu kommt, dass die ISO-Norm 10360 Teil 2 für die Kalibrierung von op-tischen Mikrokoordinatenmessgeräten keine spezifischen Angaben macht. Die METAS hat deshalb u.a. in Zusammenarbeit mit der NTB und Saphirwerk einen neuen Prüfkörper entwickelt mit optisch kooperativen Mikrokugeln zur Überprüfung von bildgebenden Sensoren. Auch eine Auswertesoftware stellt die METAS zur Verfügung, die mit jeder Kalibrierung mit-geliefert wird. Diverse Testreihen ergaben, dass mit diesem Prüfverfahren normkonfor-me Abweichungen und Kenngrössen für Kor-rekturen ermittelt werden können.

 

Was sind Ursachen von Abweichungen bei Messungen? Diese müssen nicht immer beim zu messenden Werkstück zu suchen sein. Auch Messunsicherheiten ausgehend vom Messgerät können dafür verantwortlich sein. Das Referat von Dr. Daniel Heisselmann von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig handelte davon, wie geometri-sche Abweichungen der Messgeräte – mecha-nisch oder thermisch verursacht – die Mess­ ergebnisse beeinflussen und wie sich diese in Messserien berücksichtigen lassen. Er stellte dabei die Messmethode mittels virtuellem Ko-ordinatenmessgerät VCMM vor. Dieses Mess-gerät arbeitet mit dem Prinzip eines digitalen Zwillings: Dem realen Messgerät gegenüber steht ein komplett virtuelles Gerät mit idealen Parametern. Die Messungen erfolgen auf dem realen Gerät und werden am digitalen Zwilling simuliert (Methode der Monte-Carlo-Simulati-on). Die realen und simulierten Messungen werden verglichen und ausgewertet. Aufgrund der daraus abgeleiteten Wertetabellen können die Nutzer dann etwaige Messunsicherheiten in ihren eigenen Messserien berücksichtigen. Allerdings ist eine solche Ermittlung von Mess­ unsicherheiten nach wie vor sehr aufwendig. Entsprechend bestehen derzeit erst fünf DAkkS-akkreditierte Labore.

Präzision in der Produktion
Nicht nur immer kleiner werden die Werkstü-cke, sondern auch ihre Geometrien werden immer komplexer. Über «Hochgenaue 3D-Ver-messung von Präzisionsbauteilen mit digitaler Holografie» sprach Dipl.-Ing. Tobias Seyler vom Fraunhofer Institut für Physikalische Messtechnik IPM. Er zeigte, wie sich mit diesem Verfahren hochgenau zu fertigende Dreh-teile, die in Dieselmotoren eingebaut werden, vermessen lassen. Die Messanordnung – es handelt sich dabei um ein System bestehend aus Kamera, Laserbeleuchtung und Objekti-ven – kann auch direkt in Werkzeugmaschi-nen eingebaut werden. Der Vorteil: Die Mes-sungen können also direkt während des Pro-duktionsprozesses durchgeführt werden. Al-lerdings bedeutet die schwingungsfreie Plat-zierung des Messsystems eine Herausforde-rung. In Zukunft sollen aber auch Messungen in Bewegung oder auch Verzahnungsmessun-gen möglich sein.

 

Noch mehr in die Praxis ging Hanspeter Schlup von Hänggi Stanztechnik in seinem Referat «Koordinatenmesstechnik mit Multi-sensorik im Produktionsalltag am Beispiel komplexer Stanzteile». Besonders erwähnte der Referent die Vermessung von Spritzloch-scheiben für Benzineinspritzsystemen in Mo-toren. Da dort Öffnungen schräg (in einer Neigung von 27 Grad) in Bleche gestanzt wer-den, kommen konventionelle optische Mess-systeme «von oben» an Grenzen. Deshalb wird rechnerisch eine Lochmitte ermittelt und dann das gemessene Lochmuster mit den Daten aus dem CAD abgeglichen. Eben-falls wurde eine sowohl optisch wie auch tak-tile (mittels Fasertaster) Messung von Ventil-körpern im Referat aufgezeigt. Insbesondere ging es dabei um die Vermeidung von Schwingungen.

Vorstoss in den Nanobereich
Wie Tagungsleiter Dr. Michael Marxer einlei-tend bemerkte, verliessen die beiden folgen-den Referate den Mikrobereich und stiessen in weit kleinere Dimensionen vor. Dr. Kai Schmidt von der LT Ultra-Precision Technolo-gy GmbH sprach über «Messtechnik im Um-feld der Ultrapräzisionsbearbeitung». In die-sem Umfeld sind Rauheiten im Bereich zwi-schen 1 bis 10 Nanometer nichts Ausserge-wöhnliches. Anwendungen finden sich bei Metall-Optiken, Infrarot-Optiken, astronomi-schen Spiegeln bis hin zu Kontaktlinsen. Ent-sprechend besteht die Herausforderung in den Produktionsprozessen darin, die Fertigungs-unsicherheiten zu minimieren und die Ober-flächengüte und die Formgenauigkeiten zu optimieren. Zum Einsatz kommen hochauflö-sende Messsysteme für die Vermessung von Maschinen und deren Komponenten, von Produkten und der Messtechnik selbst. Als Beispiel zeigte der Referent eine Anwendung im sogenannten Flycutting (Einzahnfräsen).

 

Dort befindet sich ein Interferometer direkt in der Maschine. In der Tat sind In-situ-Messun-gen die Methode der Wahl, weil der Maschine andernfalls Bauteile entnommen werden müssen. In einem Forschungsprojekt von RhySearch unter Beteiligung des PWO wird an Weiterentwicklungen auf diesem Gebiet gear-beitet.

 

Ganz tief im Nanometerbereich beweg-te sich Prof. Dr. Eberhard Manske von der TU Ilmenau in seinem Referat. Darin ging es um Nanopositionier- und Nanomessmaschinen, deren Entwicklung voll im Gang ist. Bis 2025 sollen dimensionelle Messungen bis in den Subnanometerbereich möglich werden. Die technologischen Herausforderungen sind al-lerdings nicht ganz trivial, vor allem im 3D-Bereich. Dort erweist sich die Positionierung in der Z-Achse als Problem. Konkret geht es da um die Minimierung des sogenannten ­Abbe-Fehlers sowie darum, Winkelabwei-chungen der Achsen möglichst nahe null zu halten. Ferner sind hochgenaue Laser, z.B. He-Ne-Faserlaser, notwendig. Aufwendig sind auch die Messanordnungen selbst: Die Wär-meentwicklung muss durch Kühlsysteme kompensiert werden und alle wärmeerzeu-genden Teile müssen möglichst weit weg vom Messtisch liegen. Idealerweise erfolgt die Messung in einer Vakuumkammer, damit der Laser möglichst brechungsfrei arbeiten kann. Nicht zuletzt sind für die Verarbeitung der Messdaten­ – hochgenaue Abbildungen im Umfang von 160 × 109 Pixel umfassen rund 5 Terabyte – grosse Rechnerleistungen not-wendig.

Software ab Stange oder nicht?
Die Perspektive eines Messgeräteherstellers nahm Prof. Dr. Heiko Wenzel-Schinzer von der Wenzel Group GmbH & Co. KG in seinem Vortrag ein. Er vermittelte einige Handlungs-empfehlungen, worauf bei Investitionen in den Messgerätepark bei Messsoftware zu achten ist. Denn je nachdem, wie eine Firma auf-gestellt ist, liegen die Argumente anders: Be-schafft man Messgeräte und Software beim Maschinenhersteller oder bei Drittanbietern? Der Gegensatz von «Best-of-Breed» vs. «All-in-One» steht da im Mittelpunkt der Erwä-gungen. Bei der Software sprechen etwa die Anbindung an verschiedene CAD-Systeme, Maschinen, Taster und Sensoren für den Kauf bei einem Drittanbieter, während die Unter-stützung durch den Hersteller eher für eine «All-in-One»-Lösung spricht. Letzteres kann dann allerdings auch zu einem Lock-In-Effekt führen und damit zu einer Einschränkung der unternehmerischen Flexibilität.

Messtechnik für volle Fahrt
Den Schlusspunkt der Tagung bildete das Re-ferat «Messtechnik im Schweizer Hochge-schwindigkeitszug ‹Giruno›» von Dipl.-Ing. Thomas Legler von Stadler Bussnang AG. Die neuen Zugskompositionen, die auf der neuen Gotthardstrecke durch den Basistunnel einge-setzt werden, sollen die «Flaggschiffe» der SBB bilden. Entsprechend wurde bei deren Kon­ struktion auf zeitgemässes Design und die Er-füllung höchster Ansprüche geachtet. Was der Fahrgast aber nicht zu sehen bekommt, ist die umfangreiche Sensortechnik, welche zur Si-cherstellung der Betriebssicherheit des Zuges und des Fahrkomforts eingebaut werden musste. Speziell erwähnte der Referent etwa das Druckschutzsystem. Dieses sorgt dafür, dass die Druckschwankungen – etwa verur-sacht durch Zugskreuzungen bei hoher Ge-schwindigkeit in Tunnels – für die Fahrgäste keine Komforteinbussen bedeuten.

 

Die Tagung sowie die begleitende Aus-stellung, in der viele namhafte Hersteller ihre Messtechniklösungen präsentierten, erwies sich erneut als Gelegenheit für regen fachli-chen Austausch und Wissenstransfer zwi-schen Forschung und Industrie.

 

 

 

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