Volle Fahrt zur Excellence
50 Jahre SAQ – 25 Jahre EFQM, zwei Jubiläen, die es in sich haben. Das Streben nach Excellence kann Menschen unglaublich produktiv machen, zum Nutzen der Kunden. Und Organisationen auf die Erfolgsspur führen.
Die SAQ hat sich von Beginn an als aktive Partnerin der europäischen Qualitätsszene verstanden. Bereits 1971 wurde sie Vollmitglied der European Organization for Quality (EOQ). 1995 sicherte sie sich offiziell die Vertretung der European Foundation for Quality Management (EFQM) für die Schweiz. Ein Jahr später, 1996, gründete sie gemeinsam mit der heutigen Credit Suisse die Stiftung ESPRIX, die seitdem den jährlichen Swiss Excellence Award, den nationalen EFQM-Preis, vergibt. Und seit 2007 arbeitet unter dem Dach der SAQ mit SwissBEx das nationale Kompetenzzentrum für Business Excellence.
Treibende Kraft hinter diesen Verbandsaktivitäten rund um Business Excellence war der ehemalige SAQPräsident Hans Dieter Seghezzi. Als langjähriges Konzernleitungsmitglied hat er das moderne Qualitätsverständnis bei der Hilti AG Schaan mitgestaltet. Und seit 1988 hat er als Professor der Universität St.Gallen die theoretischen Grundlagen des integrierten Qualitätsmanagements («St. Galler Konzept») entscheidend geprägt. Dank seiner Verdienste gilt Seghezzi auch heute noch mit über 80 Jahren als «Doyen » der Q-Szene und wird mit Ehrenmitgliedschaften nationaler und internationaler Organisationen gewürdigt (siehe Kasten «EFQM – die Spur führt nach Tokio»).
Der Japan-Schock
In den 70er und 80er-Jahren standen die Unternehmen in den USA und Europa buchstäblich unter «Japanschock ». Autobauer wie Toyota und japanische Kamera- und Elektronikhersteller lehrten der Konkurrenz das Fürchten, weil sie mit neuen Methoden kostengünstig und mit hoher Qualität ihre Produkte erfolgreich in die Märkte brachten. Ratlos und irritiert standen die Topmanager im fernöstlichen Wind. Begriffen wie «Lean Production» oder «Kaizen » suchte man durch Besuche vor Ort auf die Spur zu kommen. Und merkte langsam, dass die japanische Unternehmenskultur nicht entfernt zur wissenschaftlichen Betriebsführung eines Frederic W. Taylor passte, die noch immer das Denken westlicher Manager prägte.
Interessanterweise waren es amerikanische Produktionsfachleute, allen voran Dr. W. Edwards Deming (1900–1993) und Joseph Juran (1904–2008), die den Japanern nach dem Krieg die Konsequenzen ständiger Qualitätsverbesserungen nahelegten. Im zeitgemässen Qualitätsmanagement steht der Mensch im Zentrum aller Vorgänge. Das Leitmotiv «Make people before products » wird zur Quelle von Kreativität und Tatkraft. Mit diesem Bezug gilt Ishikawa Kaoru (1915–1989) als Pionier der qualitätsbezogenen Aktivitäten in japanischen Unternehmen (Stichwort «Qualitätszirkel»).
Während amerikanische Unternehmen überraschend rasch, unter anderem auch mit Deming’s Hilfe, aus der Krise heraus ihre japanischen Lektionen lernten und ihre Leaderrolle im Business zurückgewannen, suchte man in Europa lange Zeit vergeblich eine passende Antwort auf die neuen Herausforderungen. Ende der 80er-Jahre aber geschah Aufregendes:
Endlich eine europäische Antwort
Im September 1988 trafen sich 14 CEOs europäischer Unternehmen mit Jacques Delors, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, um einen «letter of intent» für eine europäische Stiftung zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit zu unterzeichnen. Zu dieser «Selbsthifegruppe », wie die kleine Schar illus
Ratlos standen die Topmanager im fernöstlichen Wind.
trer Konzernchefs einmal spöttisch genannt wurde, gehörten neben Umberto Agnelli von Fiat und Horst Hahne von Volkswagen unter anderem die Spitzen von Bosch, Bull Computer und Philips. Aus der Schweiz waren Heini Lippuner von Ciba Geigy, Nestlé mit Oswald Maucher und Fritz Fahrni, der junge CEO der Sulzer AG, dabei.
Ein Jahr später, fast zeitgleich mit dem Fall der Berliner Mauer, wur-de im Oktober 1989 in Montreux die EFQM von 67 Unternehmenschefs offiziell gegründet. Die Aufgabe lautete: Entwicklung eines europäischen Rahmenwerks für das Qualitätsmanagement, unabhängig von Branche und Unternehmensgrösse. Bereits 1991 wurde das EFQM-Modell als Richtlinie für organisatorische Selbsteinschätzung und als Basis für den European Quality Award (heute EFQM Excellence Award, EEA) vorgestellt. Der Preis wurde 1992 das erste Mal verliehen. Damit hatten die Europäer mit ihren Konkurrenten aus Übersee gleichgezogen: mit dem japanischen «Deming Prize » (seit 1951) und dem amerikanischen «Malcom Baldrige National Quality Award» (seit 1988) sowie den ihnen zugrunde liegenden Modellen der Unternehmensführung.
Wege zur Excellence
2014 feierte die EFQM ihren 25. Geburtstag. In den letzten Jahren wurde das Modell fortlaufend entwickelt und verbessert. Ursprünglich war es von der Philosophie des Total Quality Management (TQM), also einer ganzheitlichen Sicht auf die Organisation, getragen. Auf der Grundlage von Selbst- und Fremdbewertungen (Assessments) sollte es als Werkzeug helfen, Stärken und Verbesserungspotenziale zu ermitteln, um den Geschäftserfolg und die Qualität von Produktion und Dienstleistungen zu verbessern. Bei dieser Zielsetzung ist es seit der Gründung geblieben, ebenso bei der Struktur des Modells mit neun Befähiger- und Ergebniskriterien sowie der RADAR-Logik, die darauf zielt, dass man das, was man macht, auch misst, prüft und daraus lernt, um die nächsten Schritte zu gehen.
Gleichwohl wurden über mehrere Revisionen wichtige neue Akzente gesetzt: 1999 erfolgte die Abkehr vom TQM hin zu «Business Excellence ». Hinter dem Begriff der Excellence steht die Forderung nach einer «überragenden Praxis beim Managen einer Organisation und beim Erzielen von Ergebnissen» (Seghezzi). Und 2010 erfolgte mit dem Begriff der «Nachhaltigkeit» die Annäherung an die Praxis aktueller Unternehmensstrategien: Exzellente Organisationen erzielen dauerhaft herausragende Leistungen, mit denen sie die Erwartungen aller ihrer Interessengruppen, von den Kunden bis zu den Mitarbeitern, erfüllen oder gar übertreffen. «Sustainable Excellence» wird seitdem zur Leitlinie erfolgreicher Organisationen.
Griffige Erfolgsfaktoren
Dabei können sich die Unternehmen an acht Konzepten (siehe Grafik) orientieren, gemeinsam mit den neun EFQM-Kriterien und der RADAR- Logik ergibt das die «Trilogie des Erfolgs». Seitdem sind sich die Experten einig: Das Excellence-Modell der EFQM gilt als eines der besten aller Managementphilosophien. Bei unzähligen Organisationen aller Art und Grösse, von Industriebetrieben bis zu Hotels, Spitälern oder Pflege-, Beratungs- und Bildungsinstitutionen, hat es sich überall in Europa bewährt. Hervorzuheben sind dabei vor allem zwei Ansätze:
1. Wahlfreiheit im Vorgehen: Im Unterschied zu ISO-Zertifizierungen lässt EFQM den Anwendern die Freiheit, das zu tun, was für die Organisation genau das Richtige ist. In Bezug auf die acht Orientierungen trifft jede Firma je nach Situation und Umfeld ihre eigene Auswahl. Eine Gewichtung wird nicht vorgegeben. Der Freiraum für eigene massgeschneiderte Lösungen hat, so Hans Dieter Seghezzi, gute Gründe: «In einem freien Markt hängt die Wettbewerbsfähigkeit primär von einer exzellenten Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern und von einer gezielten Ausrichtung auf die relevanten Anspruchsgruppen ab.» Jede Organisation definiert deshalb selbst, was sie unter Excellence versteht. Aber wie auch immer sie vorgeht, sie kann ihre Entscheidungen auf einer guten Basis von Wissen und den Erfahrungen anderer treffen.
2. Assessments: Dazu trägt in erster Linie das umfassende System der Bewertung bei. Der Einstieg beginnt mit einer Selbstbewertung. Mithilfe des Modells und der RADAR- Methode lassen sich die zentralen Stärken und mögliche Defizite der Organisation erkennen, daraus einzelne Verbesserungsbereiche ableiten und entsprechende Programme und Projekte zur Umsetzung auf den Weg bringen.
Neben den Self Assessments profitieren die Unternehmen von sogenannten «site visits» oder Fremdbewertungen. Externe ausgewiesene Assessoren prüfen die Ergebnisse der Selbstbewertung direkt vor Ort. Ihre Feedback-Berichte werden sehr geschätzt: «Dies hat uns ermöglicht, die eigene Sicht durch die Aussensicht gespiegelt zu erhalten
Vergleich mit den Besten
und einen Abgleich dieser beiden Sichten vorzunehmen», meint Stephan Baer, Präsident der BAER AG und ESPRIX-Preisträger 2007. «Externe Sicht macht den Kopf frei», ist auch Peter Staub, Chef der mit Excellence- Preisen überhäuften pom+ Consulting AG aus Zürich, überzeugt, weil «die externe Sicht auf uns und ein Vergleich mit den besten Mitbewerbern und dem Markt Bestandteil unserer Benchmarking- Strategie ist».
Einig sind sich alle Anwender in der positiven Wirkung der Assessments. Hervorgehoben wird vor allem der Lerneffekt. Wer für seine Kunden Topleistung erbringen will, schätzt den Kreislauf des Lernens, der mit den Diagnosen und Bewertungen auf EFQM-Basis beginnt und in einen Lernprozess von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der Führungskräfte mündet.
Die Messlatte liegt hoch
Nicht jeder Neueinsteiger in EFQM will sich um einen Award, sei es ESPRIX oder EFQM Excellence Award (EEA), bewerben. Das ist noch immer ein sehr anspruchsvolles Ziel, das einen langen Atem oft über Jahre hinweg und ein konsequentes Engagement erfordert. Die Härtetests einer Bewerbung sind kein Zuckerschlecken. 2012 blieb das Podest beim ESPRIX-Forum für Excellence im KKL Luzern sogar leer, kein Unternehmen schaffte den Sprung nach oben, weder als Finalist noch als Preisträger oder gar Award-Winner. Doch das war eine Ausnahme. Eher düster sieht aus Schweizer Sicht die Bilanz beim EEA aus: Als bisher einzige Organisation gewann 2001 die Zahnarztpraxis Dr. Harr der Frenkenklinik Gruppe aus Niederdorf den begehrten Award, als Prize- Winner konnten sich 2003 und 2004 die Winterthurer Gebäudetechniker der Hunziker Partner AG feiern lassen und zuletzt schaffte 2012 die pom+ Consulting AG vom Technopark Zürich ebenfalls die europäische Prize-Winner-Auszeichnung – alles Klein- und Mittelbetriebe. Die Abstinenz von Schweizer Industrieunternehmen gibt im Unterschied zur EEA-Präsenz der Konkurrenten in Europa zu denken.
Nicht jeder Neueinsteiger will sich um einen Award bewerben.
Der weiche Einstieg
Auch innerhalb der EFQM wird seit Jahren diskutiert, ob das Modell der Business Excellence nicht zu komplex und zu aufwendig sei, eher abschreckt als Mut macht.
Deshalb hat die EFQM ein Anerkennungsprogramm, die «Stufen der Excellence» (Levels of Excellence), geschaffen. Damit können Einsteiger in das Modell in definierten Schritten und mit steigendem Anspruchsniveau langsam zur Excellence- Spitze vordringen, Schritt für Schritt, ohne sich zu überfordern.
Jedes Jahr beteiligen sich in der Schweiz und in Liechtenstein bis zu 40 Organisationen an diesem Programm, um sich weiterzuentwickeln. SwissBEx, das Kompetenzzentrum der SAQ, und die Stiftung ESPRIX unterstützen sie dabei. Erreichen sie eine der EFQM-Stufen der Excellence, erhalten sie von der SAQ die entsprechende Auszeichnung. Ausserdem bietet ihnen SwissBEx branchenbezogene Diskussionsplattformen zum Erfahrungsaustausch und zum wechselseitigen Lernen.
Pragmatisch vorgehen
Solche Anerkennungen, aber auch die Preise und Awards seien aber letztlich nicht mehr als ein «nice to have», meint Bettina Plattner- Gerber, die EFQM-Frontfrau der Schweizer Hotellerie. All das sei nur der «Rahm auf der Torte», es sollte nie das Ziel sein. EFQM wirkt wie eine «Landkarte zum Denken», hilft bei der Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten. Plattner: «Ein Superinstrument, theoretische Dinge in der Praxis zum Einsatz zu bringen und ständig zu messen, um sich zu verbessern.»
In der Tat: EFQM bietet einen breiten Rahmen, in dem Organisationen zu Höchstleistungen fähig werden, ein pragmatisches Denkmodell, um sie nachhaltig erfolgreich zu machen. Man lernt aus den Ergebnissen, ändert Vorgänge und Prozesse und wächst dabei in die Rolle als lernende Organisation hinein – auf jedem Niveau. Der erfahrene EFQM-Berater Bruno Birri fordert denn auch: «Der Zugang zu EFQM ist für Laien nicht über Erklärungen zu schaffen. Definitiv nicht. Es geht nur über Erlebnisse.»
NachhaltigeFitness
Man sollte daher möglichst schnell mit Beispielen beginnen. Mit Projekten, in denen Mitarbeiter und Teams eine führende Rolle spielen. Dann merken alle Beteiligten sehr schnell, wo man schon fit ist und wo nicht. «Mit Theorie allein wird so etwas wie Business Excellence nie verankert. Das muss auf der emotionalen Ebene passieren. Die Leute müssen sich angesprochen fühlen und sie müssen den Bezug finden zwischen dem Erlebten und wie sich das im Alltag zeigt», ist pom+Chef Peter Staub überzeugt.
EFQM ist Chefsache
Die Konsequenz daraus: Mit einem technokratischen Verständnis ist EFQM nicht realisierbar! Der grösste Stolperstein ist wohl, wenn die Führung versucht, EFQM an die Qualitätsabteilung zu delegieren – ganz nach dem Motto «Macht ihr mal». Qualitätsfachleute mögen das Modell kennen, haben aber kaum Macht und Möglichkeiten, es im Unternehmen einzuführen. Aber sie können wichtige Detailaufgaben bei der Strategieumsetzung zusammen mit den Teams übernehmen.
EFQM ist und bleibt Chefsache. Ich habe über Jahre bei meinen Besuchen von ESPRIX- und EEA-Gewinnern ohne Ausnahme nur von der Excellence-Idee buchstäblich angefressene CEOs getroffen. Voraussetzung bleibt die Begeisterung der obersten Führung, der Wille zu Excellence muss spürbar von ihr kommen. Nur einem CEO, der für EFQM «brennt», wird es gelingen, das ganze Führungsteam für die Excellence- Kultur zu begeistern, mit dem Effekt, dass sich die ganze Mannschaft anstecken lässt.
Unter solchen Bedingungen kann der alte Gründungsgedanke der EFQM, dass sich europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb nachhaltig behaupten, erfolgreich fortgesetzt werden.
Literatur
- Hans Dieter Seghezzi, Fritz Fahrni, Thomas Friedli, Integriertes Qualitätsmanagement, 4. Auflage, Carl Hanser Verlag, München 2013
- MQ-ESPRIX, Spezialausgaben von «Management und Qualität », Jahrgänge 2001 bis 2013