Veränderung wirksam umsetzen

Das kennen alle Prozessmanager: Die Prozesse wurden mit viel Aufwand modelliert, überarbeitet und freigegeben, aber im Alltag gibt es überall Abweichungen. «Die Prozesse werden nicht gelebt», lautet die häufigste Klage von BPM-Teams.

Veränderung wirksam umsetzen

 

 

Oft fühlen Prozessmanager sich vom Management im Stich gelassen, weil einzelne Führungskräfte für ihre Abteilungen immer wieder «damit durchkommen », vereinbarte Prozesse zu umgehen. Nach der anfänglichen Euphorie schläft die Aufmerksamkeit der Führungsebene für Prozess- Management-Projekte häufig ein. Sind die Modelle erst einmal fertig, passiert nichts mehr. Im Folgenden geht es darum, wie Prozessmanager dafür sorgen, dass BPM-Projekte im Unternehmensalltag bestehen und alle Beteiligten bei Veränderungsprozessen im Boot bleiben.

Worum es bei BPMProjekten geht

 

Wenn BPM-Projekte scheitern, liegt das häufig an unklaren Erwartungen. Prozessmanagement- Projekte werden oft mit dem Auftrag ausgestattet «Prozessmanagement einzuführen». Prozessmanagement ist aber kein Ziel, sondern ein Set von Methoden; ohne ein Ziel wird es jedoch schwierig, die nötige «Management Attention» für das BPM-Projekt zu mobilisieren. Natürlich ist es sinnvoll, professionelle Management-Methoden im Unternehmen zu nutzen. Und selbstverständlich ist es am Anfang mit einem höheren Aufwand verbunden, das Know-how und die Grundlagen der Methoden im Unternehmen zu verankern. Darum erscheint es einem auch so, als ginge es bei einem BPM-Projekt um die Einführung von BPM. Aber der Scheint trügt. Es geht um die Lösung konkreter Organisationsprobleme: Die Abschlussquote bei der Kreditvergabe ist zu gering, der Ausschuss bei der Produktion zu hoch, eine neue Software soll eingeführt werden und so weiter. Häufig existieren für die Lösung dieser Probleme eigene Projektgruppen parallel zum BPM-Projekt – schlimmstenfalls sogar in Konkurrenz dazu.

Warum BPM-Projekte scheitern

 

Häufig müssen BPM-Projekte mit wachsweichen Zielen leben: «Wir wollen lernen, in Prozessen zu denken», heisst es. «Schaffen Sie Prozessbewusstsein», lautet die Forderung. Oft wird auch das Prozessmodell als organisatorisches Ziel verkauft – so als würde das Modell selbst schon irgendeine Wirkung entfalten. Wer mit solchen Zielen arbeiten muss, fährt von Anfang an auf der Verliererstrasse. Wenn dagegen die Lösung eines spezifischen Problems im Auftrag steht, bekommt das Projekt Rückenwind.

 

Fehler Nummer zwei ist der Irrglaube, mit modellierten Prozessen die Wirklichkeit verändern zu können. Nur weil ein Prozessmodell freigegeben ist, halten sich die Leute noch lange nicht daran. Auch wenn in Führungstrainings das Hohelied der klaren Anweisung und der konsequenten Sanktionierung geprobt wird, lassen sich veränderte Prozesse nicht «verordnen». Besonders tückisch ist der Irrglaube dann, wenn Prozessveränderungen in Software gegossen werden. Wenn die Software nur noch die «richtigen » Felder und Entscheidungsmöglichkeiten vorgibt, dann bleibt den Leuten ja nichts anderes übrig als den Prozess «richtig» zu bedienen. Selbst die beste Software bleibt «im Roll-out» stecken, wenn die User nicht wollen.

 

Prozessmanager verringern ihr Frustrationsrisiko, wenn sie sich frühzeitig von ein paar Illusionen verabschieden, die sich in der BPM-Literatur breitgemacht haben. Illusion Nummer eins: «Prozesse lassen sich managen – man muss es nur richtig machen.» In Wirklichkeit sind Prozesse soziale Systeme (wie alle Organisationen), und die lassen sich im Unterschied zu mechanischen Systemen nicht steuern. Man kann eben nicht wie bei einer Maschine den «Fehler» diagnostizieren und per Anweisung beheben. Wer also erlebt, wie verabschiedete Prozessmodelle zur Makulatur verkommen, kann sich trösten, damit in bester Gesellschaft zu sein (ein zugegeben schwacher Trost).

 

Zweitens sind fest gekoppelte Aktionen nicht selbstverständlich. Wenn eine Person denselben Arbeitsablauf zweimal ausführt, wird sie es wahrscheinlich nicht genau gleich tun. Führen zwei Personen dieselbe Arbeit aus, ist die Wahrscheinlichkeit noch geringer. Dass in einer Organisation ein Ablauf immer wieder dem gleichen festgelegten Muster folgt, ist also per se nicht zu erwarten – das Gegenteil wäre normal. Und nur weil es ein Prozessmodell gibt, ist diese Tendenz nicht einfach umgekehrt.

Not als Motor für Veränderungsprozesse

 

Kann man also Prozesse gar nicht bewegen? Doch, kann man schon. Aber wir müssen die Regeln verstehen, nach denen das möglich ist. Und die haben mit der Lernfähigkeit von Organisationen zu tun. Organisationen lernen, wenn sie (bisher) funktionierende Kommunikationsstrukturen und Prozesse durch andere ersetzen. Das tun sie (wie einzelne Menschen auch) nur aus Not. Nämlich dann, wenn sie nicht mehr bekommen, was sie eigentlich brauchen: zum Beispiel, wenn die Kunden nicht mehr bereit sind, den geforderten Preis zu zahlen, wenn die Öffentlichkeit Anforderungen an Emissionen oder Sozialstandards stellt, wenn die Eigentümer andere Renditeerwartungen formulieren, wenn die Konzernzentrale den Einsatz einer anderen Software vorschreibt und so weiter. Steht keine Not im Raum, passiert auch nichts.

 

Das ist der Knackpunkt im Change- Management: Prozessverantwortliche müssen die Not zur Anpassung in geeigneter Form in den Raum bringen – sodass alle relevanten Personen sie verstehen und in den wichtigen Gremien darüber gesprochen wird. Daran hat sich schon manche Unternehmensleitung verhoben: Grosse Mitarbeiterversammlung, Powerpoint-Präsentationen mit vielen Charts und viel Business-Sprech, den keiner versteht.

Unterschiedliche Wahrnehmungen von Prozessen zulassen

 

So können Prozessmanager helfen, die wichtigen Themen in die Kommunikation zu bringen: Sie machen die Prozesse und ihre Umwelt sichtbar – also die «Kunden » des Prozesses und ihre Erwartungen. Sie zeigen, wie unterschiedlich oder einheitlich ein Prozess in der Organisation aussieht. Wenn Menschen den Prozess unterschiedlich erleben, wird das deutlich. Das Ziel ist nicht, möglichst schnell einen syntaktisch korrekten und einheitlichen «Ist-Prozess» zu modellieren. Vielmehr geht es darum, das echte Leben unzensiert zur Sprache zu bringen. Und zwar so improvisiert und uneinheitlich, wie es nun mal ist. Improvisation und Varianten sind nicht per se schlecht – viele Prozesse funktionieren nur dank dieser subtilen Strukturen. Wenn demgegenüber die Erwartungen und Anforderungen der Umwelt diskutiert werden, ist der Anpassungsbedarf auf dem Tisch. Jetzt – und erst jetzt – kann man über Veränderung sprechen. Aber wie will man einen solchen Prozess modellieren? Überall Varianten, Wenn- Danns und Details, die einzelnen Beteiligten wichtig erscheinen, aber für den Prozessmanager auf viel zu niedriger «Flughöhe» stattfinden. Die Kunst besteht darin, diese Informationen wahrzunehmen, sie zu würdigen, ihnen im Modell einen Platz zu geben – ohne sie zu modellieren! Damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Es geht nicht darum, Informationen aufzunehmen und sie irgendwohin zu schreiben, nur damit die Leute Ruhe geben. Es geht um die Reflektion. Das eigentliche Prozessmodell kann nur der groben Gliederung all dieser Informationen dienen. Es ist sinnvoll, zunächst ein «logisches Prozessmodell» aufzuzeichnen, in dem nur die theoretisch notwendigen Schritte und Meilensteine vom Start bis zum Ende aufgeführt werden. Dieses Modell ist ein hervorragender «Träger» für allerhand analoge Information.

Kommunikative Prozessmodellierung ohne Denkverbote

 

Diese Form der Prozessmodellierung ist ein kreativer und kommunikativer Prozess. Ein Modellierungsprogramm an der Beamer- Leinwand würde diese Kreativität abwürgen. Besser ist ein breiter Tisch mit einer abwischbaren Folie und BPMN-Elemente zum Legen und Verschieben. Sequenz- und Nachrichtenlinien können jederzeit ausradiert und neu gezogen werden, die vielen analogen Informationen werden einfach auf den Tisch geschrieben. Für die Kommunikation über den Prozess darf es keine Hemmschwellen geben! Der Moderator benötigt zudem ein Smartphone und einen Selfie-Maker. Damit kann man zwischendurch den aktuellen Stand der Diskussion auf dem Tisch einfrieren. Den Selfie-Maker braucht man, um die Kamera hoch genug über dem Tisch zu positionieren. So bekommt man den ganzen Prozess aufs Bild, ohne mehrere Fotos zusammensetzen zu müssen.

Formaler Rahmen für analoges Prozesswissen

 

Trotz dieser analogen Moderationsform macht es Sinn, für die Modellierung den feststehenden Standard Business Process Model and Notation (BPMN) zu nutzen. Das BPMN-Modell strukturiert die vielen analogen Zusatzinformationen. Zudem nutzen wir die besondere Stärke dieses Standards: Hier ist es möglich, die Beziehung zwischen einem Prozess und seiner Umwelt zu modellieren. Keine andere Modellierungssprache unterscheidet zwischen «eingetretenen » Ereignissen (wir warten darauf, dass «da draussen» etwas passiert) und «ausgelösten» Ereignissen (wir geben der Welt etwas). Die Pools im Modell zeigen, welche Prozesse wie miteinander kommunizieren – die Nachrichtenlinien zwischen den Pools bezeichnen die gegenseitigen Erwartungen. Wer in dem Standard gut zu Hause ist, nutzt ausserdem den Ereignis- Teilprozess, um Eventualitäten und Sonderfälle im Prozessmodell zu fassen, ohne dass das Modell gleich alle Rahmen sprengt.

Anerkennende Würdigung ermöglicht Veränderung

 

Das Ergebnis dieser Modellierung ist ein grobes Prozessmodell mit sehr vielen Annotationen und Zusatzinformationen. Korrekte Syntax für BPMN-Puristen ist dabei Nebensache. Vielleicht gibt es sogar mehrere verschiedene Modelle, weil unterschiedliche Beteiligte den Prozess ganz anders sehen. Es geht nicht ums Modell, es geht ums Modellieren. Dieses Modell spiegelt den eigentlichen «Ist»- Prozess wider: Seine Uneinheitlichkeit, seine Brüche, die unerfüllten Erwartungen, die Ineffizienz, aber bei aller Improvisation auch seine verblüffende Funktionalität – und die gilt es zu würdigen: Es ist die enorme Leistung des Prozesses und aller Beteiligten, dass es trotz aller Uneinheitlichkeit irgend- wie funktioniert. Die klassische «Ist-Prozess-Modellierung» mit «Schwachstellenanalyse» erstickt die Veränderungsbereitschaft der Beteiligten. Die anerkennende Würdigung eines Prozesses ist der Schlüssel dazu, dass sich die Menschen mit den Baustellen auseinandersetzen und gemeinsam konstruktiv nach einem Prozess – einem «Sollprozess» suchen. Die wirkliche Herausforderung für das Change Management besteht also nicht darin, den besseren Prozess zu entwickeln. Worum es wirklich geht, ist die Bereitschaft aller Beteiligten, sich gemeinsam auf die Suche danach zu machen.

 

 

 

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