Über Computertomo-grafie, Normen und Automobilsport
Gemeinsam durchgeführt von der Interstaatlichen Hochschule für Technik NTB und der Swissmem Fachgruppe Dimensionelle Messtechnik fand in Buchs (Kanton St. Gallen) am 7. September die Fachtagung Prozessmesstechnik statt. Rund 140 Teilnehmende erfuhren Neues aus Forschung und Technik und erhielten Updates über laufende Weiterentwicklungen von Industriestandards bei der Messtechnik.
Das Institut für Produktionsmesstechnik, Werkstofftechnik, Optik und Photonik PWO an der NTB in Buchs gilt als Schweizer Kom-petenzzentrum für anwendungsorientierte, fertigungsnahe Präzisions- Mess- und Prüf-technik von mechanischen und optischen Komponenten und Systemen. In den genann-ten Fachgebieten einschliesslich dem aufstre-benden Bereich Machine Vision betreibt das Institut Angewandte Forschung und Ent-wicklung und führt Dienstleitungen und Auftragsarbeiten für Dritte durch. Alle zwei Jahre trifft sich nun die nationale Messtech-nik-Fachwelt im Ostschweizer Grenzort Buchs. Dieses Jahr stand die Tagung ganz im Zeichen zerstörungsfreier dimensioneller Messtechnik, namentlich der Computer tomografie.
Technologiefortschritt ruft nach neuen Normen
Zunächst ging es aber um Normen und Richtlinien. 2013 wurde am gleichen Anlass über anstehende Änderungen von ISO 21920-1 (Geometrische Produktspezifikatio-nen) und deren Auswirkungen für die Ober-flächen-Messtechnik berichtet. Prof. Dr.-Ing. Jörg Seewig von der Technischen Universität Kaiserslautern, seines Zeichens Mitglied der für diese Änderung zuständigen ISO-Norm-kommission, gab einen detaillierten Über-blick über den Stand der Arbeiten und wies auf einige Neuerungen hin, welche die Profil-norm – voraussichtlich in Kraft 2020 – mit sich bringen wird. Im Wesentlichen geht es dabei um etliche Vereinfachungen (z.B. wird die Definition von Kenngrössen wie etwa Rz auf Profilspitzen und Profiltäler bezogen, was zu statistisch weniger starken Streuun-gen führt) und Vereinheitlichungen (für vie-le Parameter wird es Default-Einstellungen geben). Die Kalibrierung der Messgeräte wird in Zukunft praxisorientiert nach ISO 25178 erfolgen.
Um die ISO-Norm 10360 (Genauigkeit von Koordinatenmessgeräten) ging es in den Ausführungen von Dr.-Ing. habil Ulrich Neu schaefer-Rube von der Physikalisch-Techni-schen Bundesanstalt PTB in Braunschweig. Auch da sind Anpassungen an neue Entwick-lungen zu erwarten bzw. bereits in Arbeit. Insbesondere werden die technologischen Möglichkeiten, welche die Computertomo-grafie für die Messtechnik bietet, in die Über-arbeitung einfliessen (ISO 10260-11, in Bear-beitung). Hinweise für die Umsetzung der Norm in die Praxis geben derzeit weiterhin die Richtlinien des VDI/VDE (Verein Deut-scher Ingenieure).
Chancen und Grenzen der Computertomografie
Konkret um die Computertomografie als Me-thode für das dimensionelle Messen ging es in der zweiten Session. Zunächst stellte Dr. Benja-min Bircher von der Metas die Funktion eines Computertomografen für industrielle Anwen-dungen vor. Die Vorteile der Computertomo-grafie liegen auf der Hand, vor allem für die Messung innenliegender und nicht erreichba-rer Geometrien oder bei der Messung ganzer Baugruppen, etwa einem Uhrwerk. Allerdings setzt die Dichte gewisser Materialien den Rönt-genstrahlen Grenzen, und auch der – je nach Auflösung – hohe Datenumfang muss berück-sichtigt werden. Noch ist die klassische Koordi-natenmessung genauer und auch Standards für die industrielle Verwendung der Compu-tertomografie fehlen (noch). Doch das Inter esse aus der Industrie steigt; der Trend geht et-wa in Richtung von Inline-Messsystemen, um direkt Messungen an laufenden Prozessen vor-nehmen zu können.
Worin ein konkreter Nutzen der Com-putertomografie besteht, zeigte anschlies send Roger Eggenberger von der Firma Units. Er zeigte Beispiele, wie dank der 3D-Dar-stellbarkeit von CT-Bildern Soll-Ist-Verglei-che bei Kunststoff-Bauteilen durchgeführt werden können. Die Bewertung der Abwei-chungen kann dann für eine Werkzeug-Kor-rektur etwa beim Spritzguss genutzt werden. Auch können mit Software-Unterstützung die computertomografisch erfassten Mess-daten für Reverse Engineering genutzt wer-den; aus einer 3D-Darstellung eines Bauteils können also direkt CAD-Daten abgeleitet werden.
Über die Grenzen der Computertomo-grafie sprach Rolf Kaufmann von der EMPA. Unter anderem erwähnte er Probleme, die im Zusammenhang mit Streustrahlung (ab ca. 150 kV) auftreten können. Dazu gehören etwa störende Streifenmuster oder Ein-schränkungen beim Kontrast. Als mögli-chen Lösungsweg zeigte er die rechnerische Datenkorrektur auf, womit sich ein gleich-sam «nachberechnetes» Röntgenbild erzeu-gen lässt. Experimente zeigen die Tauglich-keit dieser Methode, allerdings auch deren Abhängigkeit vom Material. Ebenfalls je nach Material kann es zu sog. «Beam Harde-ning» (Randaufhärtung) kommen, verur-sacht durch energieabhängige Absorption der Materialien. Auch dieses Problem muss rechnerisch und in Kombination mit der richtig gewählten Energie korrigiert wer-den. Insgesamt in Betracht gezogen werden muss also der Umstand, dass Auflösung, Röntgen-Energie und Probengrösse korre-lieren, so ein Fazit des Referats.
Messtechnik-Anwendungen
in Industrie 4.0 – und im Rennsport
Wiederum um konkrete Anwendungsmög-lichkeiten der Computertomografie ging es im Vortrag von Dipl.-Ing. François Torner von der TU Kaiserslautern. Er ordnete das Verfahren in die klassische Koordinatenmesstechnik ein und zeigte, dass die CT für Messungen von Mi-krostrukturen und Rauheit erfolgreich einge-setzt werden kann. Allerdings wies der Refe-rent auch darauf hin, dass gerade bei der Rauhheitsmessung noch weitere Versuche notwendig sind, da insbesondere bei grossen Bauteilen solche Messungen mittels CT noch schwierig seien.
Anschliessend stellte Dipl.-Ing. Marco Boccadoro messtechnische Herausforderun-gen im Zusammenhang mit Industrie 4.0 vor – wir haben in Ausgabe 9-2017 bereits ausführ-lich darüber berichtet. Das optimale Zusam-menspiel von Messtechnik und maschinellem Lernen führt dazu, dass inskünftig Herstel-lungsprozesse mit viel weniger menschlichen Eingriffen funktionieren können und somit die Produktionssicherheit zunimmt, so ein Fazit seiner Präsentation.
Zum Schluss «entführte» Hannes Gaut-schi, Direktor After Sales bei Toyota AG, das Publikum in die Automobil-Welt, konkret in den Rennsport. Er zeigte, wie durch ausgeklü-gelte Messtechnik («onboard» Messung) am Fahrzeug wesentliche Parameter aufgezeich-net werden können. Mittels Datenanalyse werden die optimalen Werte ermittelt, welche sich dann letztlich für den Renn-Erfolg verant-wortlich zeichnen können. Er zeigte somit, dass Messgeräte über Hundertstelsekunden entscheiden können.
In der begleitenden Fach-Ausstellung zeigten Messtechnik-Spezialisten Produkte und Lösungen für etliche in den Vorträgen er-
wähnte Anwendungsgebiete.