Teure Redesigns vermeiden

Im Zeitalter immer höherer Anforderungen an die Sicherheit wird die Entwicklung neuer Produkte immer anspruchsvoller. Ein noch so tolles Produkt kann nicht in Serie gehen, wenn es die finalen Prüfungen nicht übersteht. Entwicklungsbegleiten-de Tests helfen, schneller und womöglich kostengünstiger die Serienproduktion zu starten. Der Artikel zeigt dies anhand der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV).

Teure Redesigns vermeiden

 

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sit-zen im Flugzeug und der Passagier neben Ihnen­ zeigt Ihnen begeistert sein neues Smartphone. Er tippt darauf herum, schaut aus dem Fenster und sagt plötzlich: «Wow, ich kann mit meinem Smartphone sogar die Höhenruder des Flugzeugs steuern …»

 

Was hier als Witz gedacht ist, hat einen durchaus realen Kern. Überall, wo Elektrizität im Spiel ist, entstehen bekanntlich mehr oder weniger starke elektromagnetische Felder. Die Elektromagnetische Verträglichkeit, kurz EMV, ist definiert als Eigenschaft eines Ge-räts, andere Geräte nicht durch ungewollte elektrische oder elektromagnetische Effekte zu stören oder selbst gestört zu werden. Zu unterscheiden ist die EMV von der elektro-magnetischen Umweltverträglichkeit (EM-VU), wo es um die Auswirkungen nicht-ioni-sierender elektromagnetischer Strahlung auf die Umwelt und den Menschen geht, also auch um die Problematik des sogenannten Elektrosmogs. Diesen machen immer mehr Menschen für diffuse gesundheitliche Be-schwerden verantwortlich.

EMV als «Chefsache»
Im Rahmen einer Kundenveranstaltung der Firma Emitec AG (siehe Kasten), wies Peter Wüthrich, dort verantwortlich für das Ge-schäft mit EMV-Testtechnik, auf einige «Pfer-defüsse» hin, die bei der Entwicklung neuer Elektrogeräte und -komponenten vermieden werden können. Seine Botschaft: «EMV ist Chefsache.» Denn die Elektromagnetische Verträglichkeit ist einerseits die gesetzliche Einhaltung von Produkte-Normen, ander-seits aber auch jene Qualität, in welcher ein Hersteller seine Produkte letztlich verkaufen will. Die EMV-Grundnormen – deklariert durch das Zeichen «Conformité Européenne C E» – umfassen gesamteuropäisch:

 

  • EN 61000-6-1:2007: Störfestigkeit für Wohnbereich, Geschäfts- und Gewerbebe-reiche sowie Kleinbetriebe
  • EN 61000-6-2:2005/AC:2005: Störfestig-keit für Industriebereiche
  • EN 61000-6-3:2007 +A1:2011: Störaussen-dung für Wohnbereich, Geschäfts- und Ge-werbebereiche sowie Kleinbetriebe
  • EN 61000-6-4:2007 +A1:2011: Störaussen-dung für Industriebereiche

 

Hinzu kommen diverse weitere Produkt- und Prüfnormen

 

Nun steckt nicht hinter jedem C E-Kle-ber auf einem Produkt auch wirkliche Kon-formität, wie Peter Wüthrich darlegte. CE (ohne Abstand zwischen den Buchstaben) steht eben auch für «China Export». Und dort nimmt man es mit den europäischen Normen nicht immer so genau.

Redesigns wegen EMV-Störungen
Ob nun Made in China oder nicht: Unerwünschte Funkwellen können zu einem Problem werden. Die Erfahrung zeigt, dass jede Elektronik-Entwicklung im Schnitt drei bis fünfmal überarbeitet werden muss. Fast die Hälfte der Fälle ist dabei auf EMV-Störungen zurückzuführen. Und Redesigns sind bekanntlich teuer: Den Störquellen erst im Nachhinein auf die Schliche zu kommen, ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Der Einbau von Entstör-Komponenten ist zudem häufig nicht ohne Kompromisse ans Design möglich. Und kommt erst ein Produkt auf den Markt, welches EMV-Funktionsstörungen aufweist, ist der Image-Verlust für den Hersteller fast schon vorprogrammiert – von den Kosten einer Rückrufaktion ganz zu schweigen.

 

Dies sind gemäss Peter Wüthrich Gründe dafür, weshalb EMV Chefsache ist. Oder anders ausgedrückt: EMV ist ein Wettbewerbsvorteil, schützt die europäischen Produkte vor Billigimporten und senkt letztlich auch die Kosten. Denn bei störungsfrei funktionierenden Geräten ist auch weniger Support notwendig. Allerdings: EMV-Tests sind nicht gratis zu haben. Sich auf die eigenen Ingenieure zu verlassen und das Produkt einfach mit einem «CE»-Kleber zu bestücken, greift da zu kurz, wie Peter Wüthrich ausführt. Alternativ könnte man natürlich alle Tests durch ein dafür spezialisiertes Labor durchführen lassen. Der Vorteil: Alle Tests können dort nach aktuellen Normen durchgeführt werden bei entsprechender Infrastruktur, etwa in einer geschirmten Halle. Allerdings müssen dafür gegebenenfalls längere Wartezeiten in Kauf genommen werden, was dazu führt, dass aus Zeitgründen nur ein Prüfling getestet wird. Und Stichproben aus der Produktion, um Resultate zu verifizieren, stehen auch nicht zur Verfügung.

Externe oder interne Tests?
Besser fährt man da natürlich, wenn man alle Tests intern durchführen kann. Man ist dann zu jedem Zeitpunkt bereit, kann auch an der EMV «tüfteln» und die Produkte laufend optimieren. In der Folge ist man schneller am Markt, und die durch die Testreihen gewonnenen Erkenntnisse fliessen gleich in neue Entwicklungen ein. Die Nachteile von internen Tests: Es muss erst die notwendige Infrastruktur geschaffen und das notwendige Know-how dazu entwickelt werden. Dies ist mit grösseren Investitionen verbunden – je nach gewählter Test-Anlage.

 

Der von Peter Wüthrich empfohlene Kompromiss ist eine Kombination von inter-nen und externen EMV-Tests. Doch zunächst geht es darum, festzulegen, welche Tests gleichsam systemkritisch und deshalb die wichtigsten sind. Diese sollte man nach Mög-lichkeit intern durchführen können. Somit behält man die höchstmögliche Flexibilität, insbesondere beim Tuning und bei der Opti-mierung der Produkte. Dies erläuterte Peter Wüthrich anhand des folgenden Prozesses: Am Anfang jeder Neuentwicklung steht das Erreichen der Funktionalität. In der Prototy-pen-Phase wird als nächster Schritt auf alles verzichtet, was für die Funktionalität des Pro-dukts nicht notwendig ist. Danach gilt es, durch EMV-Tuning die gesetzlichen EMV-Anforderungen zu erreichen. Dies erfolgt et-wa durch das empirische Ermitteln von opti- malen Filtern und Abschirmungen. Oder es werden Stützkondensatoren aufgelötet und getestet, ob diese eine Verbesserung bringen. Kurz: Man testet zunächst alle Prototypen in-house und lässt dann das finale Design extern testen. Auch für spezielle Tests sowie für Plausibilitäts-Nachweise arbeitet man mit ­einem externen Testlabor zusammen. Aller-dings ist auch diese «Kompromiss-Lösung» nicht ganz trivial: Denn auch für die intern durchgeführten Tests benötigt man das not-wendige Wissen und entsprechendes Test-Equipment.

Günstiger dank entwicklungsbegleitender Tests
Die Vorteile der entwicklungsbegleitenden EMV liegen dennoch auf der Hand: Man kann schneller entwickeln und man erarbeitet sich automatisch EMV-Know-how. Sofort nach jedem Entwicklungsschritt zu testen, erhöht ferner die Flexibilität und man vermeidet Wartezeiten für einen Termin bei einem externen Testlabor. Auch entfällt die Logistik für grosse Prüflinge. Durch richtiges EMV-Tuning verlagert sich der Fokus von «So gut wie möglich» auf «So gut wie nötig» und führt zu insgesamt günstigeren Produkten. Indes: So toll eine Flugzeugsteuerung via Smartphone auch sein könnte: Lieber stellt man dies in Simulationen fest als in der Realität. Denn wirklich Freude dürften daran wohl nur die wenigsten Mitpassagiere haben – oder allenfalls noch die Mitbewerber und die Juristen.

 

 

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