Szenarien für die Tech-Branche nach Corona

Die Pandemie und die daraus resultierenden Massnahmen haben die Weltwirtschaft hart getroffen – und treffen sie immer noch. Nationale Ausgangsbeschränkungen, Einschränkungen der Reisetätigkeit und Kontaktsperren haben ab Mitte April zu einem Absinken der Infekte geführt. Doch ein starker Einbruch von Handel und Konsum wird uns gemäss McKinsey bis ins vierte Quartal begleiten. Aber wer geht als «Gewinner» aus der Pandemie hervor?

 

 

Kurzfristig profitieren Anbieter für E-Learning, Teleconferencing und Cloud Computing sicherlich am meisten von der Corona-Krise. Klar ist jedoch, dass es gute Rezepte aus der «Technologie-Küche» gibt, um den vielleicht noch monatelangen Kampf gegen die Pandemie einigermassen unbeschadet zu überstehen. Anlässlich der Corona-Krise hat ein Team des IT-Lösungsanbieters Softeq ausgewertet, welche Szenarien für die Tech-Branche gelten.

Die Tech-Industrie in der Pandemie

Das Coronavirus hat die Lebensrealität von Verbrauchern und Unternehmen verändert. Für die Tech-Branche, die zusätzlich unter dem Produktionsrückstau aus China leidet, hat das Auswirkungen:

  • Die Implementierung von 5G in den USA und Asien könnte sich um bis zu 18 Monate verzögern. Ohne effizientere Netzwerkinfrastruktur stehen ehrgeizige IoT-Projekte mit hohem Dateneinsatz und Edge Computing (zum Beispiel Smart Cities) auf der Kippe. Andererseits ist zu erwarten, dass die Nachholeffekte nach der Krise ebenso gross sein werden und man nun die Zeit für Projektvorbereitung nutzen kann.
  • Im April 2020 war fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Quarantäne oder Selbstisolation – das hatte und hat nicht zuletzt Auswirkungen auf den Internet-Traffic. Video-Streaming für Nachrichtenportale, Gesundheits- und Notfalldienste und Unternehmen muss vorrangig behandelt werden. Verbraucher bekommen das zu spüren: YouTube und Netflix haben ihre Videoqualität reduziert.
  • AWS, Microsoft Azure, Google und andere Cloud-Computing-Plattformen werden endgültig unverzichtbar im Business- und Contentbereich. In den nächsten Monaten werden Unternehmen gezwungen sein, veraltete Anwendungen SaaS/PaaS-tauglich zu machen. Software-Entwickler mit Kenntnissen in Microservices und Containerization werden stark nachgefragt sein.
  • Vor der Corona-Krise stammten rund 50% des Internet-Traffics von Mobilgeräten. Die Nutzung über Tablets und Laptops steigt aber aktuell, weil mehr Leute von zu Hause aus arbeiten. Das könnte auch bedeuten, dass der Abverkauf von Smartphones und innovativen Wearables sinkt, auch wenn diese bei der diesjährigen CES noch in aller Munde waren.

Der Online-Handel verzeichnet in einigen Bereichen eine Zunahme, vor allem die führende Plattform Amazon profitiert aufgrund eines breiten Sortiments und der Liefersicherheit von der Corona- Krise. Der Boom betrifft freilich nicht alle Produkte: Nahrungsmittel, Tiernahrung oder Heimelektronik profitieren, während Kleider, tragbare Unterhaltungselektronik und alles, was mit Autos zu tun hat, derzeit Ladenhüter sind.

Besonders Tech-Start-ups sind von der Corona-Krise betroffen. Aus einem einfachen Grund: Investitionsrunden finden in der Regel alle sechs bis acht Monate statt. Investoren werden aber in nächster Zeit sehr vorsichtig sein, Investitionen kürzen und eher bestehende Unternehmen als Neugründungen fördern.

Auch etablierte Unternehmen wie Airbnb oder Uber leiden unter der Krise, allerdings werden sie diese Krise trotz Umsatzrückgang als etablierte Marken wohl überstehen – zumindest die Unternehmen: Mitarbeiter, Vermieter und Fahrer trifft der Lockdown empfindlich.

Wo der IT-Sektor nach Corona Aufwind spüren wird Global sind laut UNO derzeit in über 100 Ländern die Schulen ganz oder teilweise geschlossen. Homeschooling ist angesagt – und damit erleben die E-Learning-Plattformen einen nie dagewesenen Boom. Das trifft auch für die digitale Weiterbildung insgesamt zu. Auch wenn noch nicht klar ist, ob der Trend anhält, mehren sich die Zeichen, dass der Bildungsmarkt sich intensiver mit E-Learning auseinandersetzen muss und wird. Weitere Bereiche:

  • Teleconferencing: Vor dem Ausbruch der Corona-Krise kannte kaum einer Eric Yuan, den Gründer von Zoom Video Communications. Jetzt ist seine Firma wertvoller als vier amerikanische Fluglinien – zusammen. In der Schweiz arbeiten immer noch viele Arbeitnehmer im Homeoffice – damit werden Teleconferencing-Tools für viele Unternehmen plötzlich zum geschäftskritischen Tool. Die Analytics-Plattform Sensor Tower schreibt, dass Anwendungen wie Zoom, Slack, Tencent Meeting sowie Microsoft Teams 6,7 Millionen Downloads allein in der ersten Märzwoche verzeichnet haben.
  • Virtual Reality und Augmented/Extended Reality: Teleconferencing- und Task-Management-Tools helfen, dass Firmen in dieser schwierigen Zeit (einigermassen) produktiv bleiben. Im industriellen Sektor stellen geschlossene Produktionsstätten aber die geübte Praxis von Vor-Ort-Trainings auf den Prüfstand. Wie können derzeit beispielsweise Industriearbeiter an neuen Maschinen geschult werden? VR ist die Antwort. Auch der arg gebeutelte Tourismussektor könnte aus der Krise etwas lernen: Mit Extended Reality (XR) die Welt nach Hause bringen – ein Beispiel ist die Travel World VR. Auch Kultureinrichtungen wie Museen rüsten derzeit ihre Fähigkeiten auf, virtuelle Touren durch ihre Sammlungen zu liefern (und sogar mehr zu zeigen, als man beim Gang durchs Museum entdecken kann).
  • Telemedizin and IoT für Healthcare: Allgemein wird erwartet, dass das Coronavirus die Implementierung von E-Health vorantreiben wird – vor allem, was telemedizinische und IoT-basierte Gesundheitsüberwachung angeht. Selbst im datenschutzkritischen Deutschland mehren sich die Stimmen, bleiben aber im globalen Vergleich leiser. In China wiederum geht man mutig voran: Telekommunikationsanbieter haben ein auf 5G basierendes Kommunikationssystem aufgebaut, das Ärzte vom West China Hospital und 27 Krankenhäusern mit Corona-Patienten verbindet. Das Land hat die Polizei mit Drohnen ausgestattet, um Personen, die sich nicht an die Quarantäneanweisungen halten, zu entdecken – indem sie die Temperatur bei diesen Personen messen. Südkorea war das erste Land mit einer App, die die Einhaltung von Selbstisolation überwacht. Die Anwendung erlaubt es den Nutzern aber auch, mit Ärzten und anderen Gesundheitsanbietern in Kontakt zu bleiben. Australien nutzt innovative Technologien auf einem anderen Weg: Fake News werden mit einem KI-gesteuerten Chatbot bekämpft. Ein wachsendes Problem sind Cyberattacken gegen IT-Systeme von Krankenhäusern, die im Rahmen der Pandemie ihre IT-Systeme abrupt ausbauen müssen und nicht auf die Sicherheitsfragen vorbereitet sind, die sich diesbezüglich ergeben. Alles in allem deutet die Entwicklung an, dass der Einsatz von Technologie in der Gesundheitsbranche, zum Beispiel, um den Ausbruch eines Virus nachzuvollziehen, nach der Coronakrise breiter diskutiert werden wird. Länder mit einem geringeren Datenschutz werden diesbezüglich sicher die Vorreiter sein.
  • Lieferdienste: FoodBoss zeigt den stetig wachsenden Bedarf kontaktloser Lieferungen in Zeiten von Corona. Andere sind besorgt, weil die Kuriere nicht gut auf die Situation eingestellt sind, insbesondere die Hygiene bleibt ein Problem. China nutzt Drohnen für die Lieferung von Medikamenten, was zu einer Halbierung der Lieferzeiten führt. Auch die DHL mischt auf diesem Gebiet mit. Das weckt Hoffnungen, dass Politiker weltweit dem Beispiel von China folgen, wo der Einsatz von Drohnen für Paketlieferung schon länger erlaubt ist. Auch in den USA gibt es erste Testversuche mit Medikamentenlieferungen. Paketzustellung gilt laut einer Studie von Roland Berger (vor der Corona-Krise) als der am schnellsten umzusetzende Bereich für den Einsatz von Drohnen im privaten Bereich.

Was kommt als Nächstes?

Wir wissen noch nicht genau, in welchem Ausmass die Corona-Krise die Tech-Industrie erfassen wird. Zu sehen war allerdings, dass wir von China abhängen – sowohl in den Lieferketten als auch für den Konsum unserer Produkte. Apple hat seine Umsatzziele im ersten Quartal 2020 bereits verfehlt – wie es weitergeht, bleibt ungewiss. In Deutschland leidet vor allem die schwächelnde Automobilindustrie, während SAP, eine Art digitaler Mischkonzern, sich profilieren kann. Die Unterbrechung der Lieferketten ist derzeit die grösste Sorge im gesamten Industriesektor.

IT-Entwicklungsdienstleistungen sind ebenfalls betroffen: Globale Technologieunternehmen, die ihre IT-Entwicklung nach Asien outsourcen, müssen jetzt feststellen, dass Homeoffice beispielsweise in Indien sehr unüblich ist. Gleichzeitig kann es für strauchelnde Unternehmen derzeit attraktiver sein, outzusourcen statt anzustellen, nur eben mit Unternehmen in von der Pandemie weniger betroffenen Regionen ausserhalb Asiens.

Gibt es auch gute Nachrichten? Ja! Die meisten Regierungen, auch hier in Europa, stemmen sich mit aller Macht gegen den wirtschaftlichen Abschwung. Technologische Fortschritte, die helfen können, ein ähnliches Szenario wie jetzt zu vermeiden, werden vermutlich mit grossen Investitionen unterstützt – von Smart-City-Initiativen bis hin zu Plattformen, die das Katastrophenmanagement vereinfachen und bei der Vermeidung solcher Situationen helfen. Auch IoTProjekte und Virtual Reality werden im Fokus einiger Branchen stehen, um sich unabhängiger von der analogen Welt zu machen.

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