Spielregeln der Selbstbehauptung
«Digitalisierung, Disruption und Transformation sind die Leitworte einer Wirtschaft im Aufbruch zu grundsätzlich Neuem. Gegen die Beharrungskraft der bestehenden müssen die Grundlinien der sich abzeichnenden neuen Strukturen und deren Inhalte durchgesetzt werden. Dazu brauchen Führungskräfte eine ganz bestimmte Eigenschaft: Selbstbehauptung beziehungsweise Durchsetzungsstärke», sagt Professor Dr. Jens Weidner, der an der Fakultät für Wirtschaft und Soziales der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften Kriminologie, Viktimologie sowie Sozialisationstheorie und als Management-Trainer am Schranner Negotiation Institute in Zürich die Förderung der Durchsetzungsstärke von Führungskräften lehrt.
Prof. Dr. Jens Weidner beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit den informellen Spiel-regeln im Business. Er arbeitete mit Gang-Schlägern in Philadelphia und behandelte zehn Jahre lang Gewalttäter für die deutsche Justiz. Weidner ist Erfinder des Anti-Aggres-sivitäts-Trainings®, mit dem heute 2000 Ag-gressive pro Jahr in vier Ländern behandelt werden, und er ist Miteigentümer des Deut-schen Instituts für Konfrontative Pädagogik. Gleichzeitig lehrt er als Management-Trainer am Schranner Negotiation Institute in Zürich. Sein Spezialgebiet dort: die Förderung der Durchsetzungsstärke von Führungskräften. Er hat sich in verschiedenen im Campus Ver-lag veröffentlichten Büchern dieser Thematik gewidmet: Die Peperoni-Strategie: So nutzen Sie Ihr Aggressionspotenzial konstruktiv / Zu nett für «Aggro»? – One evil action a day keeps the psychiatrist away (Das richtige Mass an Aggression finden) / Optimismus – Warum manche weiter kommen als andere. / Hart, aber unfair – Schlagfertiger werden.
Professor Weidner, weshalb heben Sie diese Eigenschaft so besonders hervor?
Jens Weidner: Weil Selbstbehauptung, lieber spreche ich eigentlich von Durchsetzungs-stärke, das beschreibt präziser, worum es geht, die Voraussetzung dafür ist, Vorstellun-gen, Projekte oder Innovationen vom Wunsch zur Wirklichkeit werden zu lassen. Kurz, um die zwangsläufig vorgegebenen Zielvorstel-lungen Realität werden zu lassen. Wer etwas erreichen muss und will, darf hier keine Schwachstelle haben. Ist das erkennbar eine offene Flanke, muss sie geschlossen werden. Durchsetzungsstärke ist nicht gleichzusetzen mit tumbem Ellenbogenkarrierismus. Durchsetzungsstärke ist in dieser Grundsitu-ation notwendiger Teil einer ausserordent-lich anspruchsvollen Führungsaufgabe. Und hat viel damit zu tun, sich selbst zu fordern, um sich dadurch zu fördern. Denn sich selbst zu behaupten, sich durchzusetzen und sich Durchsetzungsstärke anzutrainieren, bedeu-tet auch, sich immer wieder selbst zu über-winden, um dadurch stärker zu werden.
Sie sehen Selbstbehauptung als einen Muskel, der trainiert werden will?
Darauf läuft es hinaus. Ich will das illustrieren. Die stärksten Ideen beispielsweise entwickeln keineswegs immer die Menschen, die sich auch am stärksten dafür einsetzen können. Zumal «Neues» oder etwas über den gängigen Horizont hinaus Gedachtes nicht automatisch Begeisterung auslöst. Wie Schumpeter schon gesagt haben soll, Fortschritt ist schöpferische Zerstörung. Deshalb löst er Widerstand aus. Wer für «Neues», einen anderen Weg zu einem Ziel oder die Aufgabe gewohnter Verhaltens-weisen plädiert, muss also nicht nur mit Wi-derstand rechnen, sondern diesen Wider-stand auch ertragen können. Ohne Durchset-zungsstärke und Einsteckerqualitäten bleiben die üblichen Standardsätze Sieger in diesem Wettkampf: «Das geht hier nicht!»; «Das haben wir schon immer so gemacht!»; «Haben Sie denn keinen Respekt vor den Traditionen un-seres Hauses?!»; «Sie sind noch zu neu hier. Machen Sie sich erst einmal mit den Gepflo-genheiten bei uns vertraut!»
Das klingt mehr nach Selbstzucht denn nach Ellenbogen!?
Machen wir uns nichts vor, der Grat zwischen Selbstbehauptung beziehungsweise Durchset-zungsstärke und Ellenbogenkarrierismus ist schmal. Aber er kann definiert werden, und das ist mir wichtig. Positiv durchsetzungsstar-ke Menschen, die sich in ihrer Aufgabenstel-lung selbst behaupten, haben gelernt, hart für ihre Vorstellungen und Ziele zu kämpfen, aber sie streben dabei keine Vernichtung von Geg-nern an. Sie zielen auch nicht auf die Demüti-gung unterlegener Gegner ab. Sie gehen res-pektvoll mit ihnen um. Sie achten auf Fairness und Sachlichkeit, auf Zuverlässigkeit und Seri-osität. Mitgefühl ist für sie kein Fremdwort. Aber – sie legen Zivilcourage an den Tag. Auch wenn die Befriedigung egoistischer Interessen eine durchaus motivierende Kraft ist, bei der positiven Selbstbehauptung steht sie nicht im
«Es wird nur der ein Superheld, der sich auch selbst für super hält.»
Vordergrund. Was nur einem Vor- und diver-sen anderen Nachteile bringt, kennen wir nur zur Genüge als karrieristisches Handeln. Und wir kennen auch dessen Folgen. Seriöse Selbst-behauptung verfolgt andere Ziele und folgt anderen Grundprinzipien: sich nicht an die Wand spielen zu lassen; sich nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen zu lassen; sich nicht hinters Licht führen zu lassen; sich nicht übervorteilen zu lassen, sich gegen Übergriffe zur Wehr zu setzen und den eigenen Stand-punkt besser einzubringen. Und das hinzube-kommen ist gar nicht so einfach.
Wie gelingt’s?
Aus der Optimismusforschung kennen wir den schönen Satz: Es wird nur der ein Super-held, der sich auch selbst für super hält. Wis-senschaftlich spricht man vom Above Average Effect. Wer sich durchsetzen will, der braucht Selbstbewusstsein. Denn eines ist klar: Wer auf einmal anfängt, sich besser zu positionie-ren, Forderungen lauter zu stellen, zu wider-sprechen und in den Augen anderer «herum-zuzicken», der trifft auf den Widerstand der Etablierten. Und natürlich auf reichlich Kri-tik. Als hilfreich auf dieser Durststrecke er-weist sich der intellektuelle Taschenspieler-trick der Optimisten: Erklären Sie sich positi-ve Ereignisse so, dass sie permanent beste-hende Ursachen haben und demzufolge im-mer wieder eintreten können. Unterstellen
Sie Ihren Misserfolgen dagegen temporäre und spezifische Ursachen. Lautet das Erfolgs-denken doch: Fehlentwicklungen sind vorü-bergehend, situationsbezogen und nicht un-bedingt und ausschliesslich selbst verschul-det. Vor allem: Pflegen Sie Ihren Above Ave-rage Effect, also den Effekt, sich im Berufli-chen und Privaten für überdurchschnittlich zu halten – ohne sich zu überschätzen und ohne das gross raushängen zu lassen!! Was auf den ersten Blick unangenehm narzisstisch klingt, erweist sich auf den zweiten Blick als notwendige Grundlage für die Entwicklung von Selbstbewusstsein. Liegt doch die grösste Gefahr für dessen Entwicklung darin, sich selbst für einen notorischen Underdog zu halten. Wer in den eigenen Augen klein ist, kann nicht in denen der anderen gross sein. Selbstbewusstsein braucht den Glauben an sich selbst. Wer sich diese Handlungsbasis selbst ständig unter den Füssen wegzieht,darf sich nicht wundern, wenn es die anderen auch tun und von Durchsetzungsstärke weit und breit nichts zu entdecken ist!
Wird die Selbstbehauptung abgesichert?
Mit Fragen! Menschen mit dem Gespür, was Selbstbehauptung fordert, überprüfen ihr Standing und ihr Handeln immer wieder an-hand folgender Fragen: Von wo könnte po-tenzieller Ärger drohen? Was könnte mir möglicherweise schaden? Welche Entwick-lungen bergen Gefahren für meine Selbst behauptung? Sie sind auf der Hut und folgen einem vordergründig pessimistischen Men-schenbild. Und sie messen ihre Gegenüber nicht an deren Worten, sondern an deren Ta-ten. Hat man mir in einer schwierigen Situati-on geholfen? Oder mich im Regen stehen las-sen? Durchsetzungsstärke baut auf drei wich-tigen Erfolgsfaktoren auf: 1. Schnelligkeit, um mit der eigenen Dynamik das Gegenüber zu verblüffen und potenzielle Gegner ins Leere laufen zu lassen. 2. Geduldig sein und mo-mentan Unauflösliches auf der Zeitschiene an eine Lösung heranführen. 3. Aktuelle Schieflagen und Zukunftsprobleme unter vier Augen in gedämpfter Tonlage (damit kein Gesichtsverlust entsteht) beim Namen nennen, ohne Rücksicht auf falsch verstande-ne Harmonien. Mit diesem Bewusstseinshin-tergrund ist man exzellent aufgestellt!
Was schadet der Selbstbehauptung?
Da wären an vorderster Stelle unsinnige Kraft-proben zu nennen, selbst wenn sie eigentlich angesagt wären. Auf gar keinen Fall so etwas anzetteln. Der Einstieg in eine kämpferische Auseinandersetzung sollte erst dann erfolgen, wenn die Gewinnchance 51 Prozent zu 49 Pro-zent ist. Liegen die Erfolgsaussichten darunter, ist die Gefahr der Selbstbeschädigung zu gross. Das kostet nur Energie, Zeit, schadet häufig auch der eigentlichen Aufgabe und sorgt zum unguten Schluss auch noch für eine Rufschädi-gung. Wer potenzielle Problemsituationen nicht einigermassen richtig einzuschätzen ver-mag, ist kaum durchsetzungsfähig und kein Meister der Selbstbehauptung. Unbedingt auch auf Distanz zu Dauernörglern und Be-denkenträgern bleiben. Sich mit solchen Zeit-genossen einzulassen beschwört die Gefahr herauf, früher oder später mit deren negativen Eigenschaften assoziiert zu werden. Die Lar-moyanten einzubeziehen und ihnen Zuspruch zu geben, hilft denen nicht aus ihrer unglückli-chen und demotivierenden Rolle heraus, scha-
det aber dem eigenen Image.