Sich selbst zu übertreffen, ist das Ziel
Ein deutsches Beratungs- und Planungsbüro wandelt sich vom vorstands- zum partnergeführten Unternehmen und stellt sich mit integralem Führungsmodell für die Mitarbeiter und Märkte von morgen auf. Ein Beispiel für einen Change-Prozess mit agiler Methodik.
35 Jahre nach der Gründung wechselt Günter Carpus (65) vom Vorstand der Carpus+Partner AG mit Hauptsitz in Aachen in den Aufsichtsrat. Seine Rolle übernimmt zum 1. Januar 2018 Tobias Ell (36), bisher Partner und Prokurist. Mit dem Personalwechsel an der Unternehmensspitze des international agierenden Beratungs- und Planungsbüros ging ein umfangreicher Wandel vom vorstands- zum partnergeführten Unternehmen einher.
Veränderungsprozess früh gestartet
«Die immer dynamischer werdenden Märkte erfordern kurze Entscheidungswege und schnelles Handeln», erläutert Günter Carpus. «Deswegen war mir und meinen Vorstandskollegen Peter Winkler und Maik Rothe bereits vor fünf Jahren klar, dass der anstehende Generationenwechsel nicht allein darin bestehen konnte, geeignete Nachfolger für unsere Positionen zu finden.» So läutete er 2012 einen Veränderungsprozess ein, in den sowohl die Führungskräfte als auch die mittlerweile 300 Mitarbeiter an den Standorten Aachen, Frankfurt und München eingebunden waren: «Den partizipativen Ansatz, den wir in unseren Bauprojekten verfolgen, leben wir auch in unserem eigenen Unternehmen: Wir sind davon überzeugt, dass nur aus Partizipation Identifikation entstehen kann. Gemeinsam haben wir eine neue Struktur, Kultur und Vision für unser Unternehmen entwickelt, mit der die kommende Generation am Markt besteht.»
Tobias Ell ergänzt: «Mit dem Aufbruch verbunden war unser gemeinsamer Wille, uns selbst zu übertreffen und weiter zu prosperieren. » Seit 1982 vereint Carpus+Partner methodengelenkte Beratung, Generalplanung und technisches Spezialistentum: Mit der Mission «Wir entwickeln Gebäude, die Wissen vermehren – für eine hoffnungsvolle Zukunft» planen und realisieren Architekten, Bauingenieure, Laborplaner, Projektmanager sowie Consultants weltweit individuelle und hochkomplexe Labor-, Produktionsund Bürogebäude, in denen Menschen begeistert zusammenarbeiten. «Um dies zu erreichen, war die Unternehmenskultur von Carpus+Partner schon immer von der Kooperation eigenverantwortlicher Menschen geprägt – sie liess Freiraum für fachliche sowie persönliche Entfaltung», war Tobias Ell bereits direkt nach dem Studium vor zehn Jahren fasziniert, «doch die im Lauf der Zeit gewachsene Organisationsstruktur mit ihren klaren Hierarchien und grossen ‹Abteilungen› von Generalisten und Experten erwies sich zunehmend als nicht mehr zeitgemäss.»
Methodische Neuentwicklung der personellen und strukturellen Organisation
Ein neuer Blick auf die Entscheidungswege jenseits herkömmlichen Hierarchiedenkens war also nötig. In intensiven, methodisch gelenkten Workshops widmeten sich daher 17 Führungskräfte über einen Zeitraum von zwei Jahren der Reorganisation der Unternehmensstruktur. In den moderierten Einheiten kamen Prinzipien der systemischen Beratung und Methoden des Design Thinkings genauso zum Einsatz wie z. B. Firmenaufstellungen in Anlehnung an den Psychoanalytiker Bert Hellinger. Insbesondere die völlig neue Sicht auf das Arbeiten in Organisationen, die der ehemalige McKinsey-Partner und jetzige Unternehmensberater und Facilitator Frédéric Laloux in seinem Fachbuch «Reinventing Organizations» entwirft, diente als Inspirationsquelle und zog sich als Ideenfundus wie ein roter Faden durch den gemeinschaftlichen Prozess.
Sämtliche Mitarbeiter der drei Standorte wurden zudem in regelmässigen Town Hall Meetings über den Fortgang informiert und in die Gestaltung der Veränderung einbezogen. Neben den strukturellen standen dort auch kulturelle Fragen im Fokus: Gemeinsam identifizierte, entwickelte und formulierte die Belegschaft die grundlegenden Werte der künftigen Zusammenarbeit. «Die Einbindung aller war ein sehr essenzieller Faktor! Denn wenn Neuerungen nicht vom gesamten Team getragen und gelebt werden, werden gesteckte Ziele verfehlt», weiss Tobias Ell auch aufgrund seiner Erfahrung bei vielen Beratungsmandaten.
Mit Design Thinking zur Reorganisation
Wie dort verlief der Gesamtprozess auch beim internen Veränderungsprozess nicht linear: Ganz im Sinne des Design Thinkings wurden bei Carpus+Partner in iterativen Schleifen Szenarien entworfen, diskutiert und wieder verworfen, modifiziert und wieder überprüft. Nach und nach kristallisierte sich heraus, dass der zuletzt dreiköpfige Vorstand personell reduziert werden kann, wenn dessen wesentliche Befugnisse auf einen Partnerkreis übergehen. Am Ende stand eine radikale Lösung: Der Vorstand sollte nur noch aus einer Person bestehen, die in dieser Rolle lediglich die nach Satzung und Aktienrecht notwendigen hoheitlichen Aufgaben erfüllt – alle strategischen Entscheidungen fällt fortan der geschäftsführende Partnerkreis aus Prokuristen kooperativ.
Maik Rothe und Peter Winkler legten ihre Vorstandsämter in der Folge nieder; Mitgründer Peter Winkler blieb seinem Unternehmen als «Head of Pharma» und Kundenbetreuer weiter verbunden. Für die Nachfolge von Günter Carpus, der zum 1. Januar 2018 in den Aufsichtsrat wechselt, wählte der in Zukunft fünfköpfige Partnerkreis Tobias Ell zum neuen alleinigen Vorstand. Die Mitglieder des Partnerkreises und deren jeweilige Rolle wurden im Verlauf des Prozesses ebenfalls kooperativ identifiziert und definiert. Bereits seit dem 1. Januar 2016 führen sie in drei Kernund zwei Unterstützungsbereichen insgesamt 26 Fachgruppen: Tobias Ell ist «Head of Business(R)Evolution», Sönke Morgenstern leitet den Kernbereich «Technology+Process», Dirk Beyer ist für das «Cooperative Design» zuständig, Johannes Weitzel ist für den Unternehmenserfolg verantwortlich und Thomas Habscheid-Führer betreut die Unternehmensentwicklung. Günter Carpus hat den Kreis für die Übergangszeit von zwei Jahren ergänzt und wird ihm in seiner neuen Rolle als Coach beratend zur Seite stehen.
Führungsmodell passt sich wie ein lebendiger Organismus an neue Bedingungen
an «Im Kern geht es darum, die Entscheidungen im täglichen Projektverlauf verstärkt auf die handelnden Personen zu verlagern, Hierar
«Nur aus Partizipation kann Identifikation entstehen.»
chien in den Entscheidungen zu vermeiden und den Beteiligten ihr Tun jederzeit zu spiegeln », erläutert Günter Carpus. Das gilt neben den Partnern auch für alle Mitarbeiter. Sie sind seit Anfang 2016 ebenfalls in einer neuen, agilen Struktur organisiert. Im Sinne Frédéric Laloux’ hat der Veränderungsprozess parallel zur Neuorganisation von Vorstand und Partnerkreis ein integrales Führungsmodell hervorgebracht: eine grundlegend neue Form der Organisation, die nach innovativen Wegen menschlicher Zusammenarbeit sucht und auf flachen Hierarchien sowie Selbstmanagement gründet – jeder übernimmt Verantwortung. «Jenseits der klassischen Pyramidenhierarchie besteht seither eine bewegliche Rangordnung, in der es keine starren Machtpositionen gibt», erläutert Tobias Ell. «Je nach Fähigkeiten, Motivation und Bedarf werden Rollen übernommen und unnötige Rollen aufgelöst – das zentralistische System weicht einem lebendigen Organismus, der sich eigenständig an die Bedingungen seiner Umwelt anpasst.» Wo früher die Verantwortung für bis zu 80 Mitarbeiter auf den Schultern eines einzelnen Bereichsleiters lastete, agieren die Kollegen heute in kleinen Fachgruppen mit sechs bis acht Mitgliedern. Die flachen Hierarchien erlauben jedem Einzelnen, per «konsultativem Einzelentscheid » eigenverantwortliche Beschlüsse zu treffen. «Das beschleunigt unsere Entscheidungsprozesse enorm und fördert zugleich das persönliche Wachstum der Menschen », fasst Tobias Ell die Erfahrungen der ersten knapp zwei Jahre in neuer Struktur zusammen und sieht das Unternehmen in seiner Rolle als Neuvorstand den Anforderungen des 21. Jahrhunderts mehr als gewachsen: «Partnergeführt, partizipativ und kooperativ organisiert, können wir extrem flexibel auf die zunehmende Komplexität und Dynamik der Märkte reagieren – und das stärkt wiederum unser Unternehmen. Beste Voraussetzungen also, uns selbst immer weiter zu übertreffen.»