Sich selbst coachen
In unserer modernen, von rascher Veränderung geprägten Welt benötigen wir zunehmend die Kompetenz, uns selbst zu coachen. Davon ist die Wiener Coachausbilderin und Buchautorin Sabine Prohaska überzeugt.
Frau Prohaska, Sie schreiben, dass wir – zumindest gefühlt – immer häufiger in Situationen geraten, in denen wir uns entscheiden oder die Weichen neu stellen müssen. Was sind das für Situationen?
Sabine Prohaska: Sehr verschiedene. Da sind zum einen berufliche Situationen – zum Beispiel, wenn sich in unserem Arbeitsumfeld etwas Gravierendes ändert. Dann stehen wir stets vor der Entscheidung «Love it», «change it» oder «leave it». Also arrangiere ich mich damit, verändere ich es oder suche ich mir etwas Neues? Ebenso verhält es sich in unserem privaten Umfeld. Auch hier gilt es immer wieder, grundlegende Entscheidungen zu treffen wie: Bleibe ich in Hamburg oder Wien wohnen oder ziehe ich um? Wie viel Nähe wünsche ich in der Beziehung zu meinem Partner? Wie wichtig ist mir viel Zeit für meine Hobbys? Hinzu kommen die vielen kleinen Entscheidungen im Alltag, die jedoch unser Leben prägen – wie zum Beispiel: Wie ernähre ich mich? Wie stark lasse ich mich von meinem Smartphone «fremdbestimmen»?
Wir haben oft die Qual der Wahl
Warum häufen sich solche Situationen, in denen wir uns entscheiden müssen?
Vor allem weil wir mehr Optionen, also Wahlmöglichkeiten, haben – letztlich bezüglich unserer gesamten Lebensführung und -gestaltung. Noch vor ein, zwei Generationen war das Leben der meisten Menschen weitgehend vorbestimmt. Heute müssen wir unseren Platz im Leben selbst finden und regel– mässig neu bestimmen. Unter anderem, weil sich die Rahmenbedingungen unseres Lebens – auch aufgrund der Digitalisierung – rasch ändern. Wie und wo wir einkaufen, wie wir Musik hören, wie wir unsere Partner fin-den, das alles ist heute im Fluss. Deshalb müssen wir regelmässig neu entscheiden, wie wir leben möchten. Das können wir nur, wenn wir wissen, was uns wichtig ist.
Warum erachten Sie die Kompetenz zum Selbstcoaching für so wichtig, dass Sie sogar ein Buch hierüber geschrieben haben?
Heute gibt es zwar für fast alle Themen Coaches und Berater. Doch wenn wir für jede Entscheidung einen Coach aufsuchen würden, sässen wir überspitzt formuliert sieben Tage die Woche, 24 Stunden, bei ihm auf der Couch. Aufgrund unserer vielen Möglichkeiten und der zahlreichen Veränderungen in unserem Umfeld benötigt heute jeder Mensch die Kompetenz, selbst Antworten auf solche Fragen zu finden wie: Was sind (aktuell) meine Lebensziele? Was ist mir wichtig? Und: Wie sollte ich mich deshalb entscheiden und handeln? Das ist oft anstrengend, doch darin liegt auch eine grosse Freiheit. Damit einher geht jedoch eine höhere Eigenverantwortung jedes Einzelnen, sein Leben bewusst zu gestalten. Dabei hilft uns die Kompetenz, uns selbst zu coachen – also die Fähigkeit, im Dialog mit uns selbst in der jeweils aktuellen Situation eine Antwort auf die Frage zu finden: Was ist für mich richtig? Einen professionellen Coach sollten wird jedoch zu Rate ziehen, wenn die Gefahr besteht, in eine existenzielle Lebenskrise zu geraten.
Nicht jede Krise ist eine existenzielle
Wie definieren Sie den Begriff «Krise»?
Ich möchte hier zwischen einer «normalen», zeitlich befristeten Krise und einer existenziellen Lebenskrise unterscheiden. In unserem Leben geraten wir immer wieder in Situationen, in denen wir uns nicht wohlfühlen in unserer Haut – zum Beispiel, weil es in unserer Beziehung oder unserem Job hakt oder weil sich etwas Gravierendes bei uns oder in unserem Lebensumfeld geändert hat. Das ist normal! In diesen Situationen, die wir oft als Krise empfinden, ist vor allem unsere Selbstcoaching-Kompetenz gefragt. Daneben gibt es existenzielle Lebenskrisen, bei denen wir langfristig oder oft gefühlt dauerhaft aus dem seelischen Gleichgewicht geraten – zum Beispiel, weil unsere bisherigen Problemlösetechniken versagen und wir alleine weder die Kraft noch die Kompetenz haben, neue zu entwickeln und anzuwenden. Dann benötigen wir externe, nicht selten professionelle Hilfe.
Woran erkennen wir, dass uns eine Situation überfordert?
Ein typisches Anzeichen hierfür ist ein länger anhaltendes Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit; also das Gefühl, einer Situation ausgeliefert zu sein und nicht mehr die Mittel, Fähigkeiten und Ressourcen zu haben, um sie zu meistern. Das stresst uns, und dies artikuliert sich wiederum zum Beispiel in einem körperlichen Unbehagen, einem Angespanntsein und Schlafstörungen.
Wenn ich in eine Krise gerate, etwa aufgrund einer Kündigung oder Erkrankung, macht es dann einen Unterschied, ob dies ohne mein Zutun geschah?
Am Anfang ja, da ich ja einen externen Schuldigen habe: meinen Ex-Arbeitgeber, mein Schicksal. Letztlich ist das Erleben einer Krise jedoch immer gleich: Wir fühlen uns – zumindest vorübergehend – ohnmächtig und hilflos.
Wie gehe ich mit dem Gefühl um, die Krise selbst ausgelöst zu haben?
Der schlechteste Weg ist, sich in Selbstmitleid zu ergehen. Wichtig ist es, den Blick in Richtung Zukunft zu wenden und sich ohne Selbstanklagen beispielsweise zu fragen, was man hätte anders machen können, hieraus die nötigen Schlüsse zu ziehen und dann das Leben wieder in die Hand zu nehmen.
Jeder hat in seinem Leben schon viel gemeistert
Unter welchen Voraussetzungen gelingt ein Selbst-Coaching in einer Krise am besten?
Die erste Voraussetzung ist, sich gerade in Krisensituationen bewusst zu machen, wie viel man im Leben schon gemeistert hat. Das ist stets mehr als gedacht: zum Beispiel das Abitur, eine gescheiterte Beziehung, die Job-suche, den Wohnortwechsel und, und, und… Das reduziert oft schon das Gefühl der Ohnmacht. Eine weitere ist, sich bewusst zu machen, dass es nicht den einen richtigen Lebensweg gibt, der uns bis ans Lebensende glücklich macht. Unsere Bedürfnisse verändern sich im Lauf unseres Lebens und somit auch unsere Ziele. Zudem bedarf es einer gewissen Selbstdisziplin, um unsere Ziele zu erreichen – eventuell auch auf Umwegen. Deshalb empfiehlt es sich, viele Etappenziele auf dem Weg zu unserem grossen Ziel zu formulieren, damit wir regelmässig kleine Erfolge feiern können und unsere Motivation gewahrt bleibt. Sonst habe ich schnell das Gefühl: Ich trete auf der Stelle. Wir sollten mental jedoch auch auf Rückschläge vorbereitet sein, denn herausfordernde Ziele erreicht man oft nicht auf dem geraden Weg, sondern auf Schlangenwegen – mit vielen Ups und Downs. Deshalb sollten Menschen bei Rückschlägen und Schwächen nicht zu streng mit sich sein. Zudem sollten sie ihr Selbstvertrauen nicht verlieren. Schliesslich haben sie in ihrem Leben ja schon viel gemeistert.
Was ist der allererste Schritt beim Selbst-coachen?
Sich in aller Ruhe überlegen: In welchem Bereich meines Lebens möchte ich vorran-gig eine Veränderung vornehmen, um dann konkrete Ziele zu formulieren – wie: «Ich will zwei Karrierestufen weiter aufsteigen» oder «… einen Lebenspartner finden.»
Die individuellen Ressourcen entdecken
Was kommt danach?
Sich überlegen, was nötig ist, um dieses Ziel zu erreichen; ausserdem, welche Ressourcen einem hierfür zur Verfügung stehen: zum Beispiel eine gewisse Hartnäckigkeit. Oder viel freie Zeit. Oder ausreichend Geld. Das ist auch wichtig, um zu checken, ob das Ziel mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erreichbar ist. Danach gilt es, einen Aktionsplan zu entwerfen – mit konkreten Teilzielen. Angenommen, Sie möchten einen Lebenspartner finden, dann kann Ihr Aktionsplan lauten:
1. Ich lege mir einen neuen «Look» zu und treibe regelmässig Sport, um mein Selbstbewusstsein zu stärken.
2. Ich melde mich bei einer Singlebörse an, um mich im Markt der Möglichkeiten zu zeigen.
3. Ich trete einem Sportverein bei, um meinen Freundeskreis zu erweitern.
4. …
Dabei sollten Sie sich jedoch bewusst sein, was Sie für das Erreichen Ihres grossen Ziels aufgeben. Denn hierfür zahlen wir stets einen Preis – und sei es nur, dass wir nicht mehr jeden Abend schlaff auf dem Sofa liegen.
Und woran merke ich, dass es eventuell besser wäre, mir eine professionelle Unterstützung zu suchen?
Zum Beispiel daran, dass sich Ihre Gedanken permanent im Kreis drehen und Sie in der Grübelfalle stecken bleiben – ähnlich wie ein Auto im Morast: Je mehr Gas Sie geben, umso tiefer gräbt es sich ein. Oder daran, dass Ihre Energietanks so leer sind, dass Sie allein nicht die ersten Schritte schaffen. Hierfür bedarf es einer gewissen Achtsamkeit für sich selbst, damit wir rechtzeitig erkennen, wenn wir Hilfe brauchen. Auch das ist eine Kompetenz, die wir heute verstärkt benötigen. Der Versuch, uns selbst zu coachen, darf uns nie so stark unter Druck setzen («Ich schaffe das alleine»), dass wir im Bedarfsfall Hilfe ablehnen. Oft zeigt sich unsere Selbstcoaching-Kompetenz gerade darin, dass wir akzeptieren: «Ja, ich brauche eine punktuelle, zeitliche Unterstützung» – zum Beispiel durch einen Coach oder Berater.
Wie wichtig ist der Rat von Freunden oder Partnern?
Wichtiger als deren Rat ist meist deren mentale Unterstützung – also das Wissen, ich bin nicht allein und werde im Bedarfsfall (emotional) getragen. Selbstverständlich können auch der Rat und das Feedback uns vertrauter Personen hilfreich sein. Das befreit uns aber nicht von der Notwendigkeit, uns zu entscheiden, denn unser Leben können nur wir selbst leben.
Auch auf das eigene Bauchgefühl vertrauen
Woran erkenne ich, ob die gefundene Lösung tatsächlich die richtige für mich ist?
Ihre Frage enthält bereits einen Teil der Antwort – «für mich richtig». Viele Personen suchen nach der Lösung, die alle Menschen bis ans Lebensende glücklich macht. Die gibt es nicht! Ob eine Lösung für sie richtig ist, sagt gesunden Menschen meist ihr Bauchgefühl: Die Lösung muss sich für sie zum jetzigen Zeitpunkt richtig anfühlen. Denn nur dann können sie die nötige Energie entfalten, um die damit verbundenen Ziele zu erreichen. Und wenn die Lösung sich ein Jahr später eventuell falsch anfühlt? Dann sollten wir sie eben überdenken und uns allenfalls neu entscheiden. ■