Schweizer Spitäler rutschen von der Schief- in die Notlage

Eine neue Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PwC weist eine chronische Unterfinanzierung bei immer mehr Schweizer Spitälern nach. Rettungspakete sind gefordert, doch dürften diese die Steuerzahlenden jährlich über 1 Mrd. CHF kosten. Lösungswege liegen gemäss PwC in der Anpassung von Tarifsystemen, Reduktion von Auflagen, einer Stärkung des Wettbewerbs und nicht zuletzt in einer Steigerung der Qualität.

Auch die Spitalverbunde des Kantons St. Gallen – hier das Kantonsspital St.Gallen – erzielten 2023 einen Verlust, und zwar 58,9 Millionen Franken, trotz gestiegenem Umsatz. Das passt zum Gesamtbild der gemäss PwC „alarmierenden“ Finanzlage der Schweizer Spitäler. (Bild: Kantonsspital St.Gallen)

Die diesjährige Studie «Schweizer Spitäler: So gesund waren die Finanzen 2023» von PwC Schweiz spricht Klartext: Die finanzielle Lage der Schweizer Spitäler ist alarmierend. Bereits haben einige Kantone Rettungsschirme aufgespannt, weitere dürften folgen. Damit stellt sich die Frage, welche Einrichtungen überhaupt noch nötig und tragbar sind und welche nicht. Die geplanten Pakete dürften angesichts der Lücken und der bereits gesprochenen Unterstützungsleistungen die Schweizer Steuerzahlenden jährlich über 1 Mrd. CHF kosten, rechnet die Studie vor. Die Untersuchung entstand im Juli 2024 auf der Basis der publizierten Jahresrechnungen von 44 Akutspitälern und 12 Psychiatrien. Um die Realität in der Praxis abzubilden, enthält die Studie Exkurse zu diversen Schwerpunktthemen und drei Interviews zur Best Practice mit renommierten Branchenpersönlichkeiten.

Akutsomatik existenziell in Gefahr

Das Finanzjahr 2023 zeigt gemäss PwC für Akutspitäler beunruhigende Gesundheitswerte: erodierende Margen, sinkende Liquidität, rückläufige Eigenkapitalquoten. Da Tarifanpassungen nicht mit der Inflation Schritt hielten, schrumpfte die EBITDAR-Marge im Median auf besorgniserregende 3,6 %, was signifikant unterhalb des von PwC definierten Branchenziels von 10 % liegt und gleichzeitig den Tiefststand seit Einführung des Tarifsystems von SwissDRG im Jahr 2012 markiert.

2023 schreiben noch mehr Spitäler Verluste als im Vorjahr. Angesichts der aktuellen Finanzergebnisse könnte kaum eines der Studienspitäler aus eigener Finanzkraft langfristig überleben. Das stellt die Kantone als Planer der Gesundheitsversorgung vor schwierige Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für das Schweizer Gesundheitssystem. Dazu Patrick Schwendener, Leiter Deals Gesundheitswesen bei PwC Schweiz: «Obwohl viele Spitäler und deren Eigner eine EBITDAR-Marge von 8 % bis 10 % ansteuern, wirtschaften sie nicht gewinnorientiert. Diese Haltung sendet falsche Signale und gefährdet letztlich die Existenz der Einrichtungen.» 

Psychiatrien weiter auf Wachstumskurs

Die Psychiatrien steigerten ihren Gesamtumsatz 2023 im Median um 4,8 % auf ein neues Rekordhoch. Wachstumstreiber waren ein substanzieller Anstieg von stationären Patientinnen und Patienten und ambulanten Erträgen. Letztere legten gegenüber dem Vorjahr im Median um 11,6 % zu. Die EBITDAR-Marge kletterte im Median auf 8,1 %. Psychiatrien sind dementsprechend auch ausreichend liquide, um ihren kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die hohe Auslastung, die dafür notwendigen Investitionsvolumina und der sich zuspitzende Fachkräftemangel bleiben Schlüsselherausforderungen dieses Segments. 

Erste Hilfe ja, aber

Seit Anfang 2022 beschleunigt sich die Strukturbereinigung der Schweizer Spitallandschaft aufgrund der finanziellen Herausforderungen sowie fehlenden Fachkräften. Systembedingte Konsolidierungen sind zwar sinnvoll, doch kann ein unkoordiniertes Vorgehen den Wettbewerb verzerren und sinnvolle Strukturanpassungen verhindern. Die geplanten Erste-Hilfe-Massnahmen der Kantone dürften die Schweizer Steuerzahler kumuliert über 1 Mrd. CHF pro Jahr kosten. Philip Sommer, Leiter Beratung Gesundheitswesen bei PwC Schweiz, kommentiert diese Tatsache wie folgt: «Rettungspakete sind keine nachhaltige Lösung. Langfristig sind Reformen notwendig, um Effizienz und Stabilität der Gesundheitsversorgung zu sichern.»

Systemrelevanz als Schlüsselkriterium

Als Schlüsselargument für eine zielgerichtete Rettung von Spitälern empfiehlt PwC eine Orientierung an der Systemrelevanz einzelner Einrichtungen. Eine Einrichtung ist dann systemrelevant, wenn ihre Schliessung die Gesundheitsregion fundamental beeinträchtigt. Ob für Eigen- oder Fremdkapitalzuschüsse, Bürgschaft, Abgeltungen gemeinwirtschaftlicher Leistungen, Übernahmen oder Auffanggesellschaften: Im Entscheidungsprozess um Restrukturierung müssen die Kantone objektiv und eigentümerneutral für jedes Spital einzeln ein passendes Instrumentarium definieren und offen kommunizieren. Dazu Stefanie Schneuwly, Senior Managerin Beratung Gesundheitswesen bei PwC Schweiz: «Spitäler, die von den Kantonen finanzielle Unterstützung erhalten, müssen an klaren Kriterien und Anforderungen gemessen werden. Das sollte transparent gemacht werden.»

Kollaps politisch verhindern

Die aktuelle Krise ist struktureller Natur und über Jahre gewachsen. Kostendruck, Arbeitskräftemangel, schlecht finanzierte Ambulantisierung, Ausbleiben von notwendigen Investitionen in die digitale Transformation oder die infrastrukturelle Modernisierung sowie mangelnde Vernetzungen der Spitalstrukturen setzen den Spitälern finanziell zu. Um einen Kollaps des hochwertigen Schweizer Gesundheitssystems zu verhindern und Anreize für eine integriert-vernetzte Versorgung zu setzen, hält PwC politische Anpassungen der Rahmenbedingungen für notwendig. Die regulierenden Instanzen sollten bessere Rahmenbedingungen schaffen, etwa indem sie die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen unmittelbar für richtige Anreize in den Tarifsystemen nutzen, die Tarifsysteme über Inflationsausgleiche schneller der Kostenrealität anpassen, die regulatorischen Auflagen reduzieren, um innovative Versorgungsmodelle zu fördern und den Fokus langfristig auf Qualität ausrichten.

Quelle: PwC

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