Schwarmintelligenz auf dem Nebensitz
Das Verkehrsvolumen wird in den nächsten Jahren deutlich anwachsen. Gleichzeitig werden neue Technologien das Mobilitätsangebot verändern. So könnten bereits in naher Zukunft autonome Roboter Lager und Logistikwege prägen, Tracking-Software jederzeit über mobile Objekte informieren. Das 19. asut-Kolloquium vom 14. Novem- ber in Bern zeigte auf, wohin die Reise führen könnte.
Wir schreiben das Jahr 1900. Auf der Fifth Avenue in New York ein unübersichtliches Verkehrsgewirr: Kutschen und Pferdemist dicht an dicht, ein geschäftiges Gewusel von Krämern und Passanten, dazwischen Liefe ranten, übermüdete Fuhrknechte. Etwa so stellt man sich die überquellende Verkehrs situation im Big Apple vor. Möglicherweise tuckert irgendwo darin schon ein «T-Ford»- Auto. Rund 13 Jahre später ist das Strassenbild der Grossstadt nicht wiederzuerkennen.
Autos und erste Transporter folgen einander, den Fussgängern bleiben nur noch Gehwege. Eine einzige Kutsche steht vielleicht noch verstaubt in einem Aussenbezirk. So schnell kann eine Technologieumstellung gehen. – Vor genauso einem tiefgreifenden Wandel der Mobilität, so zeigte sich Stefan Myhrberg, Business Development Manager Connected Transport von Ericsson, überzeugt, stehen wir auch heute wieder:
«Der Transport von Personen und Gütern wird dank neuer Möglichkeiten der Konnektivität und Automatisierung gerade revolutioniert. » Voraussetzung dafür sei eine umfassende Zusammenarbeit aller am VerkehrsÖkosystem beteiligten Partner. Auf technischer Seite wird die 5G-Funktechnologie wichtiger: Die Mobilfunknetze der neusten Generation sind imstande, bei signifikant tieferen Latenzzeiten riesige Datenvolumen zu verarbeiten, unzählige Geräte im Internet der Dinge miteinander zu verknüpfen.
Dies bringt nicht nur Vorteile in der weltweit korrespondierenden Lieferkette. Die technologische Entwicklung könnte unsere Mobilität und mitangeknüpfte Verbrauchskanäle komplett redefinieren.
Digitale Meilenstiefel
Bisher nahmen Manpower und Treibstoff den grössten Einfluss auf den Verkehr. Gemäss der «Analysis on the future of logistics» von Frost und Sullivan nehmen jetzt Daten die entscheidende Rolle im Verkehrsmanagement ein. Hierbei sind nicht nur Bestelldaten gemeint, sondern Echtzeitdaten über End
«Von Treibenden und Getriebenen.»
Endkunden und jeweilige genutzte Transportmittel hinaus. Hauptziel ist sofortige Verfügbarkeit. Unterziele sind jedoch auch, Einsatzkräfte und die Flotte optimieren zu können.
So gibt es erste Patente von Amazon, die Produkte möglichst in Kundennähe befördern wollen. Sobald jemand etwas geklickt respektive bestellt hat, wird die Lieferung vervollständigt. So könnte die heute angebotene «Same Day Delivery» in Zukunft zu einer «Same Hour Delivery» komplettiert werden. Allerdings zeugen solche antizipatorischen Lieferungsmodelle noch nicht von künstlicher Intelligenz, sie stützen sich eher auf die Dezentralisierung der Güterwege.
«Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Waren in Stadtgebiete gesendet werden, wobei die Bewohner diese Waren oder Produkte regelmässig konsumieren», meint Patrick Kessler, Präsident des Verbands des Schweizerischen Versandhandels. Anstatt Waren in ei nem grossen Zentrum tagelang zu lagern, nutzt man in der Verkehrswelt kleinere, de zentrale Logistik-Hubs.
Am 19. asut-Kolloquium in Bern gab es denn nicht nur Einsichten in die «Future Mo bility». Die Referate und Themen bewegten sich um «Treibende und Getriebene» sowie um intelligente Lieferformen.
Flottenmanagement 2.0
Helmut Scholze, Partner ATKearney, sprach etwa darüber, wie intelligente Mobilitätskon zepte kurz vor dem Verkehrskollaps stehende grosse Städte in Nahen Osten wieder fit ma chen. ATKearney arbeitet mit führenden Transport- und Lieferunternehmen (Metro, light rail etc.) zusammen, um nicht nur urbane Transportwege sicherer, sondern auch unter Peak-Performance-Aspekten effi zienter zu koordinieren.
Speziell auch über längere, teils extre me Distanzen gilt es, Verkehrsteilnehmer res pektive Flotten und Touren zu optimieren.
So gibt es erste Initiativen, über Cloud-Systeme Lieferflotten zu steuern, um die Lie ferwege zu verkürzen, Echtzeit-Rückschlüsse über Staus, Baustellen, sicher auch über den Warenstand oder Wartungsarbeiten der rol lenden Objekte zu ermitteln. Für längere Wege durch die Wüste testet Volvo beispiels weise ein sogenanntes «Truck Platooning», um den Dieselverbrauch und Abnutzungs verbrauch der Laster einzugrenzen.
Der vorderste Laster auf einer Strecke kommuniziert dabei mit angeschlossenen Lastwagen. Der vorderste Truck könne sich so durch eine digitale, intelligente Funktechno logie mit einem ganzen Konvoi austauschen. Bremst der erste Truck, würden die anderen in einer Reaktionszeit von 0,2 Sekunden bremsen. Gemäss Volvo, die bereits daran sind, führerlose «On Demand»-Konvois in Europa zu testen, zeige ein Mensch eine schlechtere Reaktionszeit von einer Sekunde.
Es gehe jedoch nicht nur um solche Kompetenzen, sondern auch darum, Wind schatten oder Klimaverhältnisse bestmöglich auszunutzen, heisst es. Darüber, welchen Ein fluss solche Initiativen auf das Leben von nicht gut erschlossenen, vorstädtischen Gebieten haben könnte, war man sich an der Konferenz in Bern nicht ganz einig. In einer Diskussions runde hiess es einerseits:
«Lastwagen oder intelligente Paket förderbänder eignen sich besser für regelmäs sige Lieferungen auf Standardstrecken. Droh nen könnten dort eingesetzt werden, wo an dere Transportmittel nicht hinreichen.»
«Der Verkehr ist digitaler denn je.»
Gesunder Mehrwert?
Eine Tendenz, die sich auf Schwarmintelli genz bezieht, könnte sich in naher Zukunft auf Güterbahnhöfen und in Cargo-Zonen durchsetzen. Rollmaterial wird so program miert, dass es das Be- und Entladen ohne viel Ressourcen- und Energieverbrauch erledigt. Schon heute würden gewisse Abläufe und Prozesse durch «Machine Learning» kombi niert, hiess es in der Präsentation von Stefan Myhrberg, Ericsson AB, Schweden, – die elek tronisch ausgestatteten Carriers seien dank 5G viel schneller unterwegs.
Bernhard Meier, Delegierter Public Affairs und Regulation, SBB AG, zeigte sich trotzdem vorsichtig gegenüber roboter getriebenen Vehikeln. Bernhard Meier re sümierte: «Auch wenn Technologie und Ge schäftsdynamik ein rascheres Vorgehen an bieten: Ohne die tatsächliche Zusammen arbeit und Erhöhung der Akzeptanz gegen über den Kunden blockieren wir uns selbst.»
Mobilität, meinte Prof. Wolfgang Hense ler, Creative Managing Director Sensory-Minds GmbH, sei deshalb nicht nur neu, son dern auch nutzerzentriert zu denken. Wie könnte man hierbei jedoch vorgehen? asut (siehe Box rechts) thematisiert regelmässig die Bedingungen und notwendigen techni schen Massnahmen, welche die Automobil welt auch in einem neuen gesellschaftlichen Kontext nutzen sollte.
Der Verkehr ist digitaler denn je. Im Zuge dieser Veränderungen kursieren neue Angebo te und Anbieter – dies nicht nur in städtischen Gebieten. Dabei verschieben sich die Wert schöpfungsanteile nicht nur vom reinen Trans port hin zu Echtzeit-Informationsdienstleis tungen, sondern auch effiziente Eckdaten zu einem – vielleicht – «gesunden» Mehrwert im immer dichter werdenden Weltdorf.