Risikomanagement mit Strategie

Der «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» verpflichtet den Verwaltungsrat, für ein angepasstes Risikomanagement zu sorgen. Dieses soll sich auf finanzielle, operationelle und reputationsmässige Risiken erstrecken. Es fehlen erstaunlicherweise die strategischen Risiken.

Risikomanagement mit Strategie

 

 

Die Kodexe unserer Nachbarländer beinhalten einen breiteren Ansatz. In Deutschland und in Österreich werden die Risikolage und das Ri-sikomanagement im Zusammenhang mit der Strategie, der Planung und der Geschäftsent-wicklung genannt. Der Vorstand soll auf Ab-weichungen des Geschäftsverlaufs von den aufgestellten Plänen und Zielen unter Angabe von Gründen eingehen. In der neusten Version der Qualitätsnorm ISO9001:2015 wird diesem Aspekt ansatzweise Rechnung getragen.

 

Die Anwendung des Risikomanage-ments in der strategischen Führung ist be-sonders interessant, denn hier stehen – an-ders als im operativen Management – den Bedrohungen auch Chancen gegenüber. Die-se gegeneinander abzuwägen, ist die Heraus-forderung. Zuerst sollen nun einige Betrach-tungen zum strategischen Management fol-gen. Dann wird die Entscheidungsfindung-mit Risikoappetit und Risikowahrnehmung beleuchtet.

Risikomanagement als Führungsaufgabe
Wenn wir die gängigen Risikodefinitionen der ISO 31000 bzw. der ONR 49000 ansehen, wo das Risiko als «Auswirkung von Unsicher-heit auf Ziele, Tätigkeiten und Anforderun-gen» definiert ist, wird klar, dass Risikoma-nagement eine strategische, operative und auch compliance-relevante Dimension hat.

 

Das strategische Management hat die Aufgabe, eine Organisation an die Verände-rungen in ihrer Umwelt anzupassen. Men-schen nehmen heute Veränderungen und die damit verbundenen Unsicherheiten wesent-lich deutlicher wahr als noch vor einigen Jah-ren. Deshalb gibt es im strategischen Manage-ment auch verschiedene Auffassungen:

 

  • Der traditionelle Ansatz von Ansoff geht von einem proaktiven, langfristig geplanten und durch rationales Entscheiden und Handeln geprägten Verständnis der strategischen Füh-rung aus.
  • Der traditionelle Ansatz von Ansoff geht von einem proaktiven, langfristig geplanten und durch rationales Entscheiden und Handeln geprägten Verständnis der strategischen Füh-rung aus.
  • Der kritische Ansatz von Mintzberg zum stra-tegischen Management stellt fest, dass erfolg-reiche Strategien selten das Ergebnis rationa-ler, bewusster Planung sind. Vielmehr würden sich nicht geplante, überraschend auftau-chende Strategien als erfolgreich erweisen.

 

Der kritische Ansatz von Mintzberg räumt der Unsicherheit bzw. der Ungewissheit ei-nen besonderen Stellenwert ein und hebt die Fähigkeiten, damit umzugehen mit Lernen, Flexibilität und Kreativität besonders hervor. Die Verbindung zum Risikomanagement ist hergestellt: Es wird in der Entwicklung und Umsetzung von Unternehmensstrategien umso wichtiger, je grösser die Unsicherheiten von Informationen, Annahmen und Rah-menbedingungen sind.

 

Wie kommt die Entscheidungsfindung im strategischen Management zustande? Be-kanntermassen ist Risiko der Oberbegriff von Chance und Bedrohung und es geht darum, den besten Weg zwischen den beiden Polen zu finden. Man kennt es auch unter dem ge-läufigen Begriff «Risikoappetit».

Die Theorie vom «Risikoappetit»
Der Begriff «Risikoappetit» ist in der angelsächsischen Welt sehr beliebt. Er führt jedoch oft zu mehr Fragen als Antworten: «Bei der Definition des Risikoappetits geht es darum, das akzeptierte unternehmerische Gesamtrisiko festzulegen. Im Zentrum steht die Frage, wie viel Risiko ein Unternehmen einzugehen bereit ist, um die damit verbundenen Chancen wahrzunehmen.» Das ist theoretisch klar. Wie ermittelt und misst man den Risikoappetit? Vordergründig geht es um rein technische Fragen, insbesondere um das «Gesamtrisiko » und nicht nur um ein oder mehrere Einzelrisiken.

 

Die Lösung ist die Risikoaggregation mit der Monte-Carlo-Simulation. Es können Quantile gewählt werden, z. B. für die Bedro-hungen 80 %, 90 %, 99 % bzw. für die Chancen 20 %, 10 %, 1 % usw. Man spricht vom «Value at Risk» und meint damit den Wert, der bei ei-ner bestimmten, geringen Wahrscheinlich-keit nicht überschritten bzw. unterschritten wird. Nun stellt man den ermittelten Wert für die Verlustrisiken (Bedrohungen) den ver-fügbaren Eigenmitteln einer Organisation ge-genüber. Es können Rückschlüsse auf die Ri-sikofähigkeit der Organisation gezogen wer-den.

Die Praxis vom «Risikoappetit»
In der Realität werden quantitative Modelle wenig eingesetzt. Dies liegt an verschiedenen Gründen: Beim Management von strategi-schen Risiken fehlen i. d. R. statistische Grundlagen, die für das Funktionieren und die Verlässlichkeit solcher Modelle (still-schweigend) vorausgesetzt werden. Wenn Zahlen-Daten-Fakten fehlen, kann man Si-mulationsergebnisse manipulieren. Dies ist ein Mangel. Er lässt sich mit Konsens-basier-ten Expertenschätzungen relativieren.

 

Das grössere Problem mit dem Risikoap-petit bei der Unternehmensstrategie liegt wohl mehr bei der Risikowahrnehmung. Je ehrgeizi-ger die strategischen Ziele sind, desto schneller treten die dabei eingegangenen Risiken in ih-ren Schatten. Die Verpflichtung des Top-Ma-nagements für eine ambitiöse Strategie lässt die Risikokommunikation schnell verküm-mern und führt zu einem hohen Risikoappetit. Folgende Beispiele können es zeigen:

 

Niedergang der Swissair (2002): Die na-tionale Fluggesellschaft der Schweiz beabsich-tigte, durch Umsetzung der sogenannten «Hun-ter-Strategie» eine eigene Allianz unter der Swissair-Führung aufzubauen. Das Kernele-ment dieser Strategie bestand in der Festigung der Allianz durch finanzielle Beteiligungen. Im Markt standen aber eher unrentable Beteili-gungspartner zur Verfügung. Die Zukäufe der Beteiligungen führten zu erheblichen Verlus-ten, was schliesslich zur Insolvenz führte. Der Leitung der Swissair war seinerzeit bekannt, dass die gewählte Strategie risikoreich war. Die Gefahren und Schwierigkeiten bei der Über-nahme von maroden Fluggesellschaften wur-den unterschätzt. Die einst angesehene Flugge-sellschaft endete in der Insolvenz.

 

Dieselskandal von Volkswagen (2015): Der japanische Autohersteller Toyota konnte mit der Technologie der Hybridfahrzeuge (Toyota Prius) in den USA bedeutende Marktanteile gewinnen. Der deutsche VW-Konzern verfügte seinerzeit nicht über die entsprechende Technologie. VW beabsichtigte deshalb mit dem «Clean Diesel» die Marktstellung in den USA auszubauen. Aus bis heute nicht restlos geklärten Gründen manipulierten die Techniker die Abgaswerte, was während langer Zeit unentdeckt blieb. Der Bericht der internen Revision von Volkswagen erwähnte diesen Gesetzesverstoss bereits im Jahr 2011. Das Management reagierte darauf nicht, weil dieses Risiko möglicherweise die ganze Strategie infrage gestellt hätte. Doch 2015 kamen die Manipulationen ans Tageslicht.

 

In solchen Fällen wurden die Risiken verdrängt und die Risikoanalysen kaum durchgeführt. Der grosse «Risikoappetit» hat viel damit zu tun, dass die strategischen Ziele dominant und deshalb prioritär waren. Die rechtzeitige Analyse und Kontrolle der Risiken wurde verpasst. Die wohl tiefere Ursache dürf-te in vielen Fällen auch darin gelegen haben, dass es in diesen Unternehmen und auf der obersten Hierarchiestufe nicht zugelassen war, über die an sich leicht erkennbaren Risiken zu sprechen. Autoritäre Führung würgte die Risi-kodiskussion ab. Eine offene Risikokultur war nicht gewünscht oder nicht erlaubt.

Risikowahrnehmung und Risikokultur
Das Konzept des Risikoappetits im strategi-schen Management erweist sich als schwer operationalisierbar und als unzuverlässig. Es muss mit weiteren Kriterien ergänzt werden wie die Risikowahrnehmung, die Risikokom-munikation und die offene Risikokultur. Ein möglicher Ansatz zur Festigung einer of-fenen Risikokultur im strategischen Manage-ment bietet die verstärkt stattfindende Com-pliance- und Ethikdiskussion. Das Unterneh- men muss die gesellschaftlichen Erwartun-gen an die Geschäftsaktivitäten berücksichti-gen. Missverhältnisse führen zu Misstrauen und zu Reputationsrisiken. Das Risikoma-nagement ist um solche Messgrössen zu er-gänzen, damit strategische Entscheide die
relevanten Kriterien einbeziehen.

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