Risikokultur im Spitalwesen

Das Netzwerk Risikomanagement zog einmal mehr Risiko-Experten und -Expertinnen in den Bann an der Jahrestagung 2018 im Inselspital Bern. Spitäler sind soge­ nannte High Reliability Organisations (HRO, Hochzuverlässigkeitsorganisationen) und für Fragen des Risikomanagements besonders interessant.

Veranstaltungsort der Jahrestagung für das Netzwerk Risikomanagement war das Insel-spital Bern. Mit Spannung durften die rund 70 Teilnehmenden ein Programm erwarten, das sich unter dem Titel «Integriertes Risiko-management im Inselspital Bern» mit den mannigfaltigen Herausforderungen bei Kon-zeption, praktischer Umsetzung und Weiter-entwicklung des Risikomanagements von Spitälern befasst.

 

Fünf Referate gingen folgenden Leitfra-gen auf den Grund: Wie ist das Risikomanage-ment der Insel-Gruppe aufgestellt und wo be-steht Optimierungspotenzial? Wie kann eine offene Sicherheitskultur im medizinischen Alltag erreicht werden? Welche Probleme sind mit Blick auf eine zuverlässige Medizinal-technik zu meistern, welche in der Notfall-und Krisenvorbereitung? Und schliesslich: Welche grundlegenden Erfolgsfaktoren liegen dem «sicheren Krankenhaus» zugrunde? Wo steht die Schweiz im internationalen Ver-gleich?

Risiken eines Spitalgrosskonzerns
Patrick Egger, Leiter Risikomanagement der Insel-Gruppe, zeigte die zahlreichen Di-mensionen und Anforderungen auf, die das Risikomanagement eines Konzerns in der Grösse der Insel-Gruppe mit sechs unter-schiedlichen Spitälern beachten muss. Wäh-rend das betriebswirtschaftliche Risikoma-nagement gut aufgestellt ist, arbeitet der medizinische Bereich noch weitgehend ad hoc und situativ. Dessen Weiterentwicklung und insbesondere die Integration beider Systeme zu einem ganzheitlichen Risikoma-nagement, das als dynamisches Führungsin-strument dient, zählt zu den grossen Her-ausforderungen.

Klinisches Qualitäts- und Sicherheitsmanagement
Stolpersteine und Erfolgsfaktoren im klini-schen Safety-Management (das sich mit den Risiken befasst, die vom Spital ausgehen, im Unterschied zum Security-Management, bei dem es um die auf das Spital einwirkenden Risiken geht) standen im Zentrum des Refe-rats von Helmut Paula, Leiter des klinischen Qualitäts- und Sicherheitsmanagements der Insel-Gruppe. Als Besonderheit hält er fest, dass der Zusammenhang zwischen kriti-schen Fehlern und fatalen Ereignissen weni-ger ausgeprägt ist als bei Prozessen primär technischer Systeme wie etwa der Luftfahrt. Grund sind die unterschiedlichen gesund-heitlichen Konstitutionen der Patienten. Dies darf aber nicht als Entschuldigung für klini-sche Fehler oder sogar Verstösse dienen.

 

Dass solches nach wie vor geschieht, ist Ausdruck einer ungesunden und für alle teu-ren Fehlerkultur. Kulturveränderungen müs-sen auf verschiedenen Ebenen ansetzen, wo-bei angemessene Regeln ins Zentrum zu stel-len sind. Systematische und regelgebundene Arbeitsprozesse sind im Sicherheitsmanage-ment der Medizinaltechnik bereits heute selbstverständlich, sagt Dieter Egger, Leiter Medizintechnik der Insel-Gruppe. Wie sonst könnte der Lebenszyklus eines Geräteparks mit über 13 000 Apparaten und deren siche-rer und rechtzeitiger Einsatz in 40 Kliniken garantiert werden, und dies in einem Umfeld von stetiger Innovation und anhaltendem Kostendruck? Wichtige Regeln leiten sich nicht nur aus gesetzlichen Vorschriften ab, sondern auch aus dem umfassenden Risiko-inventar, das Teil des integrierten Risikoma-nagements ist.

 

Im Zeitalter der Digitalisierung 2.0, von Big Data, künstlicher Intelligenz oder Bio­ banken kommt auch der (derzeit nicht ver-pflichtenden) Norm zur «Anwendung des ­Risikomanagements für IT-Netzwerke, die Medizinprodukte beinhalten» (EN 80001-1) immer grössere Bedeutung zu.

Klinikmanagement im Inselspital Bern
Im Nachgang des interessanten Info-Films über das Notfallzentrum des Inselspitals Bern hält Peter Burkhardt fest, Leiter Klinikmanagement/Kataplan, dass die Fallzahlen des Notfallzentrum in den letzten Jahren markant zugenommen haben und mit rund 46000 Patienten im Jahr 2016 an die Kapazitätsgrenzen des Normalbetriebs stossen. Bei einem ausserordentlichen Ereignis wie einem Grossunfall muss Kataplan indes mit deutlich tieferen Kapazitäten arbeiten, da z.B. Schwerverletzte besonders viele Ressourcen beanspruchen. Spezielle Triage-Systeme sowie die Vernetzung mit anderen Spitälern sind hier vorrangige Bewältigungsmassnahmen. Zu den Höchstrisiken zählen allerdings längere Versorgungsunterbrüche bei Strom, Wasser, Telefonie oder den IKT-Systemen. Grund sind die begrenzten Überbrückungskapazitäten des BCM für diese vitalen Ressourcen

 

Prof. Dr. Bruno Brühwiler, Inhaber der Beratungsfirma EuroRisik Ltd., hält abschlies­ send fest, dass das Schweizer Gesundheitswe-sen in punkto Sicherheit im internationalen Vergleich nur das Mittelfeld belegt (s. auch S. 28 in dieser Ausgabe).

Pionierprojekt «Innosuisse»
Die Insel-Gruppe geht unter Prämissen des klinischen Qualitäts- und Sicherheitsmana­ gements ein Pionierprojekt mit der Innova­ tionsförderanstalt des Bundes «Innosuisse» an. Dass andere Grossspitäler wie etwa das Universitätsspital Zürich oder das Kantons-spital St. Gallen an ähnlichen Vorhaben arbei-ten, weist auf die Entwicklungspotenziale im klinischen Risikomanagement in der Schwei-zer Spitallandschaft hin.

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