Resiliente Systeme und Organisationen

Die Überlebensfähigkeit von lebenden Systemen hängt an ihrer Resilienz, an ihrer Fähigkeit, Widrigkeiten und Widerstände zu überwinden und sich von Rückschlägen erholen zu können. Resilienz kann man dabei auf verschiedenen Ebenen beobachten: individuell, ökologisch oder organisatorisch. Letzteres soll hier auf dem Systemlevel der Organisation beschrieben und modelliert werden.

Resiliente Systeme und Organisationen

 

 

 

Auf Ebene des Individuums lässt sich ganz besonders konkret machen, worum es geht. Individuelle Resilienz ist die Fähigkeit, Rück￾schläge produktiv überwinden zu können. Resiliente Personen machen aus einer Krise eine Chance! Diese Fähigkeit ist manchen ge￾geben, fällt aber nicht vom Himmel.

Individuelle Resilienz
Man kann individuelle Resilienz – oder bes￾ser gesagt das «Fähigkeitenbündel» – lernen und trainieren. Die folgenden Aspekte gehö- ren dazu:

 

  • Emotionale Regulierung und Impulskontrolle:
    Die Fähigkeit, mit Emotionen intelligent um￾zugehen und Impulse in gelenkte Bahnen lei￾ten zu können.
  • Ursachenanalyse: Die Fähigkeit, Ursache-Wirkungs-Beziehun￾gen kritisch analysieren und bewerten zu kön￾nen.
  • Selbstwirksamkeit: Die Fähigkeit und Grundhaltung, selber die eigenen Geschicke zu leiten und nicht den Ent￾scheidungen anderer machtlos ausgeliefert zu sein.
  • Empathie: Die Fähigkeit, die Perspektiven anderer ein￾nehmen, sich einfühlen und somit auf Ge￾fühlsebene koordinieren zu können.
  • Netzwerk: Die Fähigkeit, ein weiter gespanntes soziales Netz erkennen und pflegen zu können.
  • Optimismus: Die Fähigkeit, der Zukunft positive Entwick￾lungstendenzen überzeugend abgewinnen zu können.

 

Die Summe dieser Fähigkeiten kann in gestei￾gerter individueller Resilienz resultieren, sie sind also eine notwendige Vorbedingung da￾für, Krisen in Chancen verwandeln zu kön￾nen. Ein systematisches Training bieten Psy￾chologinnen und Psychologen an. Doch da￾mit ist auf Ebene des Systems Organisation noch nicht viel erreicht.

Organisationale Resilienz
Auf der überlagerten Ebene der Organisation oder Unternehmung geht es weniger um in￾dividuelle, sondern um Systemresilienz. Or￾ganisationale Resilienz umfasst die Fähigkei￾ten zum Absorbieren von Belastungen und Sicherstellen des Funktionierens angesichts gegenwärtiger Widrigkeiten sowie zur Erho￾lung von negativen Ereignissen, und zwar be￾vor die Situation nicht mehr kontrollierbar ist (gemäss Kathleen Sutcliffe oder auch Lisa Vä- linkangas). Hier geht es also um Selbstorgani￾sation, Lernen und Anpassung des Systems. Gemeinhin gilt mittlerweile als gesichert, dass hier die folgenden Aspekte abgedeckt sein müssen:

 

  • Diversität: Organisationen steigern ihre Resilienz, indem sie die Anzahl unterschiedlicher Perspektiven, Meinungen, Ansichten im Inneren erhöhen. Dies kann durch ein «Diversity Management» erreicht werden, das darauf abzielt, in der Or￾ganisation unterschiedliche Geschlechter, Spra￾chen, Nationalitäten, Kulturen, Professionen etc. in eine produktive Verbindung zu setzen.
  • Kreativität: Resiliente Organisationen machen aus wenig viel, sie nutzen Ressourcenknappheit für Inno￾vationen. In der Unternehmung können bei￾spielsweise Kreativitätstechniken, ein syste￾matisches Innovationsmanagement oder Intrapreneurship-Programme zur Anwen￾dung gelangen, um dies aufzubauen.
  • Robustheit: Organisationen sind robust gestaltet, wenn es ihnen gelingt, in Turbulenzen im Tun zu blei￾ben anstatt zu erstarren. In der Unterneh￾mung können die Funktionen Risikomanage￾ment, Krisen- und Kontinuitätsmanagement, Umwelt- und Gesundheitsmanagement sowie Compliance Management in diese Richtung wirken. Ohne ein klares strategisches Ma￾nagement ist Robustheit nicht zu erreichen.
  • Antizipation: Resiliente Organisationen hören auf leise Sig￾nale, die Veränderungen ankündigen. Hier sind innerhalb der Organisation alle Funktio￾nen zur Früherkennung von Markt- und Um￾weltentwicklungen gefragt, also neben der Strategie- und Unternehmensentwicklung auch beispielsweise das betriebliche Gesund￾heitsmanagement oder die Arbeitssicherheit.
  • Ausdauer: Die Kultur resilienter Organisationen ist durch Beharrlichkeit, Zähigkeit und Leidens￾fähigkeit gekennzeichnet. In der Organisation wird dies gefördert, wenn produktive Beharr￾lichkeit belohnt wird, Instrumente zur Perso￾nalbindung entwickelt sind und die Fähigkeit zur Langfristplanung vorhanden ist und ge￾braucht wird.

 

«Eine resiliente Organisation benötigt ein System und entsprechend gerüstete Individuen.»

 

Bis zu diesem Punkt kann man festhalten, dass eine resiliente Organisation wohl beides benötigt: Ein resilientes System und entspre￾chend gerüstete Individuen. Während man auf psychologische Instrumente für die indi￾viduelle Ebene zurückgreifen kann, ist dies auf der organisatorischen Ebene schon schwieriger.

Instrumente zum Managen von Organisationaler Resilienz
Als Managementansatz bietet sich die ISO￾Norm 22316 an, die in die grundsätzlichen Begriffe und Techniken einführt. Organisa￾tionale Resilienz wird hier anhand von neun Themen behandelt und mit einer Anleitung zum systematischen Management versehen. Leider bleibt die Norm als konkretes Manage￾ment-Tool viel zu abstrakt.

 

Als Benchmarking-Tool kann aber ein entwickeltes Fragebogen-Tool der Universität Auckland dienen. Hier werden die Aspekte «Führung & Kultur», «Wandelbereitschaft» und «Netzwerke» der Organisation anhand von ca. 80 Frageitems untersucht. Führt man diese Umfrage unter allen Entscheidungsträ- gern der Organisation durch, so erhält man ein Gesamtbild, welches zur weiteren strategi￾schen Steuerung der Organisation dienen kann.

Bruchstellen der Systemresilienz erkennen und behandeln
Zur exakten Ereignisanalyse bestehen eben￾falls bestimmte Techniken oder Methoden der Prozess- und Unfallanalyse (z.B. per Ishikawa-Diagramm oder anhand von James Reason’s «Swiss Cheese Model»). Besonders hervorzuheben ist die «Funktionale Reso￾nanzanalysemethode» (FRAM, nach Holl￾nagel 2012), in die Schritte eines Prozesses in Sechsecken abgebildet und untereinander vernetzt werden. Es ergibt sich ein Modell ei￾nes Prozesses, wobei die Massgabe ist, den Prozess so abzubilden, wie die Arbeit wirk￾lich abgewickelt wird, und nicht, wie sie sich jemand anders idealtypisch vorgestellt hat. Als Beispiel kann hier ein Zugunglück aus dem Jahr 2016 dienen.

 

Am 9. Februar 2016 kollidieren zwei Nahverkehrszüge frontal auf eingleisiger Strecke im morgendlichen Pendlerverkehr nahe der bayrischen Ortschaft Bad Aibling. Das Unglück fordert zwölf Menschenleben und rund 89 Verletzte. Ursächlich für die Ka￾tastrophe war das Verhalten des verantwort￾lichen Fahrdienstleiters, der durch ein Han￾dy-Computerspiel abgelenkt war und da￾durch eine Fehlerkette auslöste. In einer for￾malen Prozessbeschreibung käme diese Ent￾wicklung nie vor.

 

Ein FRAM jedoch ist in der Lage, eine solche Entwicklung abzubilden und es letztlich möglich zu machen, an der Systemresilienz zu arbeiten. Exemplarisch ist dies im Modell (siehe Abbildung 1, aus Meissner & Hunziker, 2017) festgehalten. Das Modell zeigt die wesentlich zu leis￾tenden Prozesse zum sicheren Bahnbetrieb. Nun kann es herangezogen werden, um die sich gegenseitig begünstigenden Fehlent￾wicklungen zu identifizieren und in Mass￾nahmen die Gesamtresilienz zu erhöhen.

Schlussfolgerungen
In diesem Beitrag ist deutlich geworden, dass zur Steigerung der Systemresilienz zumin￾dest zwei Ebenen gleichermassen berück￾sichtigt werden müssen: die individuelle und die organisatorische. Auf beiden Ebenen ste￾hen gewisse Instrumente zur Verfügung, wo￾bei sich dies im Fall der organisationalen Re￾silienz noch weiterentwickeln muss. Die ISO￾Norm reicht dazu nicht aus. Die Systemresi￾lienz kann systematisch gesteigert werden, wenn die verschiedenen Aktivitäten eines Zusammenhangs modelliert und analysiert werden. Hier bietet sich die Funktionale Resonanzanalysemethode als geeignetes Ins￾trument an.

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