REACH und die schweizerische Chemikaliengesetzgebung

Das EU-Parlament will mit der REACH-Verordnung die optimale Sicherheit für Mensch und Umwelt bei der Herstellung und bei der Verwendung der Chemikalien erreichen. Hersteller und Importeure von Chemikalien im EWR sind angehalten, die inhärenten Gefährdungseigenschaften der Stoffe und die bei deren Verwendung bestehenden Risiken zu ermitteln, zu beachten und korrekt zu kommunizieren.

REACH und die schweizerische Chemikaliengesetzgebung

 

 

Der Begriff «Verordnung» hat in der EU einen anderen Stellenwert als in der Schweiz. In der EU ist eine Verordnung (englisch: regulation) ein Gesetz. Eine schweizerische Verordnung (englisch: ordinance) ist dagegen einem Gesetz unterstellt, wie die Chemikalienverordnung dem Chemikaliengesetz unterstellt ist.

 

Die REACH- und die CLP- (Classification, Labelling und Packaging) Verordnung sind also zusammen mit der Biozidprodukteverordnung das Chemikaliengesetz der EU. Sie decken die wesentlichen Zuständigkeitsbereiche ab, die etwa denen des schweizerischen Chemikaliengesetzes entsprechen. Sie sind für alle Staaten des EWR als Gesetz im Wortlaut gültig. Aus handelspolitischen

 

Die Schweiz übernimmt viele Vorgaben der REACH-Verordnung.

 

Gründen übernimmt die Schweiz viele Vorgaben und Weiterentwicklungen der REACH-Verordnung und der CLP-Verordnung. Dass die Schweiz in den nächsten Jahren die Anforderungen der REACH-Verordnung vollständig übernimmt, ist jedoch nicht zu erwarten, weil dazu unser Chemikaliengesetz geändert werden müsste. Deshalb werden nur die flexibler veränderbaren schweizerischen Verordnungen zum Chemikaliengesetz an die sich rasch weiterentwickelnde europäische Chemikaliengesetzgebung laufend angepasst. Hier setzt unser unverändert bleibendes Chemikaliengesetz allerdings Grenzen.

Die wichtigsten Elemente/ Anforderungen von REACH:

 

(die nachfolgend mit Anführungszeichen versehenen Begriffe sind Google-Suchworte zum Auffinden der entsprechenden Texte auf der ECHA-Website).

 

– Registrieren: Im Rahmen der Stoffrichtlinie der damaligen EG wurde 1981 die Pflicht zur Ermittlung des Gefährdungspotentials der neu auf den Markt kommenden Stoffe eingeführt. Als Resultat dieser Ermittlungen wurde ein umfangreiches Dossier mit Toxizitätsdaten, Ökotoxizitätsdaten und Daten über die physikalischen Eigenschaften verlangt. Das Einreichen dieses Dossiers wurde als Anmelden des Stoffs bezeichnet. Befreit davon waren Stoffe, die sich 1981 schon auf dem Markt befanden. Etwa 100 000 Stoffe wurden als Altstoffe bezeichnet. Unter REACH spricht man nun anstelle von anmelden von registrieren.

 

Die Pflicht zum Registrieren betrifft nicht mehr nur die neu auf den Markt gelangenden Stoffe, sondern alle Stoffe, welche in einer Menge von mehr als 1000 kg pro Jahr von einem Hersteller im EWR hergestellt oder von einem Importeur in den EWR importiert werden. Jeder dieser Hersteller oder Importeure ist zum Registrieren verpflichtet.

 

– «Phase-in-Stoffe» vorregistrieren: Weil die Vorbereitung und Durchführung der Registrierung der Altstoffe eine gewaltige Aufgabe darstellt, wurden dafür einige Jahre Zeit eingeräumt, und zwar bis zum 31. Mai 2018. Die betroffenen Firmen konnten die von ihnen hergestellten oder impor-tierten Altstoffe durch eine einfache Online-Meldung der Stoffidentität bis zum 1. Dezember 2008 bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA vorregistrieren. Seit 1981 sind aber noch weitere Stoffe als Altstoffe hinzugekommen, teils weil die massgebende Definition, was ein Stoff ist, geändert hat, teils weil zusätzliche «Altstoffe» der nach 1981 neu in die EG resp. die EU aufgenommenen Staaten ebenfalls zu berücksichtigen sind. Um klarzustellen, welche Altstoffe unter REACH gemeint sind, hat man für die Gesamtheit all dieser «Altstoffe » den Begriff «Phase-in-Stoffe» eingeführt. «Alte» Stoffe, welche nicht als Phase-in-Stoffe anerkannt sind, dürfen im EWR nur in Mengen von mehr als 1000 kg pro Jahr hergestellt oder importiert werden, wenn ihre Registrierung abgeschlossen ist.

 

– Verwendungsbeschränkungen: Verwendungsbeschränkungen für Stoffe hat es schon unter der früheren Stoffrichtlinie der EG gegeben. Diese sind in den Anhang XVII der REACH-Verordnung übernommen und inzwischen durch neuere Einträge ergänzt worden. Die im Anhang XVII aufgelisteten Chemikalien dürfen nur fabriziert, importiert, in Verkehr gebracht oder verwendet werden, wenn dabei die im Anhang XVII angegebenen Beschränkungsbedingungen erfüllt werden. Diese Bedingungen betreffen normalerweise bestimmte nicht zulässige Verwendungen, Verwendungsarten oder vorgeschriebene Schutzmassnahmen und/oder einen ausgeschlossenen Verwenderkreis (z.B. die breite Öffentlichkeit). Alle im Anhang XVII nicht explizit beschränkten Verwendungen eines darin aufgeführten Stoffs sind erlaubt. Seit 2009 gilt nicht mehr der Anhang XVII der ursprünglichen REACH-Verordnung über die Verwendungsbeschränkungen, sondern der Anhang der Änderungsverordnung (EG) Nr. 552/2009, ergänzt durch weitere später erschienene Änderungsverordnungen.

 

– Identifizierte Verwendungen von Stoffen: Für jeden Stoff müssen bei der Registrierung seine sogenannten identifizierten Verwendungen angegeben werden. Nur wenn eine bestimmte Verwendung bei der Registrierung eines Stoffs genannt (= identifiziert) wurde, darf dieser Stoff im EWR dafür verwendet werden. Die identifizierten Verwendungen müssen im Sicherheitsdatenblatt des Herstellers verzeichnet sein. Verwendungen von Stoffen, die nicht in ihrem Sicherheitsdatenblatt aufgelistet sind, sind im EWR nur zulässig, wenn der nachgeschaltete Anwender diese Verwendungen selbst bei der ECHA registrieren lässt. Das System der identifizierten Verwendungen führt dazu, dass im EWR chemische Stoffe nur noch für Anwendungen eingesetzt werden dürfen, welche im Sicherheitsdatenblatt explizit als identifizierte Verwendungen angegeben sind. Zudem müssen die im Sicherheitsdatenblatt geforderten Sicherheits- und Schutzmassnahmen angewendet werden.

Besonders besorgniserregende Stoffe:

 

Unter «Besonders besorgniserregende Stoffe» (SVHC: Substances of Very High Concern) versteht man Stoffe, welche die Auswahlkriterien des REACH-Artikels 57 erfüllen und nach Artikel 59 ermittelt wurden. Solche Stoffe werden in der sogenannten «Kandidatenliste» aufgelistet. Dies können KMR-Stoffe der Kategorien 1A, 1B und 2 (krebserzeugende, mutagene und/oder reproduktionstoxische Stoffe), PBTStoffe und vPvB-Stoffe sein sowie Stoffe, die das endokrine System (die Organe, welche z.B. Hormone, in den Blutkreislauf abgeben) beeinträchtigen. Hinzu können Stoffe kommen, welche aus anderen Gründen ähnlich besorgniserregende Eigenschaften haben. Man findet die jeweils aktuelle Version der Kandidatenliste auf der ECHA-Website. Bei einem auf die Kandidatenliste gesetzten Stoff ist damit zu rechnen, dass sich die Behörden näher damit beschäftigen und die eine oder andere Verwendungsbeschränkung beschliessen werden.

Potentiell besorgniserregende Stoffe:

 

Die EU-Chemikalienagentur ECHA will sich in den nächsten Jahren Klarheit darüber verschaffen, welche potentiell besorgniserregenden Stoffe bis 2020 zusätzlich in die Kandidatenliste aufgenommen werden sollen. Das dafür vorgesehene Vorgehen ist in der ECHA-Website unter «Potentiell besorgniserregende Stoffe » beschrieben. Im Rahmen der sogenannten «SVHC-Roadmap to 2020» werden vier Arbeitsgruppen mögliche Kandidaten für die Kandidatenliste evaluieren. Auch einzelne NGOs publizieren Listen von Stoffen mit besorgniserregenden Eigenschaften. Darunter ist vor allem die sogenannte SIN-Liste («Substitute It Now») der von Schweden aus wirkenden NGO «Chemsec: The International Chemical Secretariat» mit aktuell 830 «besorgniserregenden» Stoffen zu beachten.

PBT und vPvB-Stoffe:

 

Die PBT-Stoffe haben PBT-Eigenschaften, d.h. sie sind persistent (schwer bioabbaubar), bioakkumulierbar und toxisch. Die vPvBStoffe sind sehr persistent und sehr bioakkumulierbar. Die Kriterien, nach welchen Stoffe auf PBT- oder vPvB-Eigenschaften zu prüfen und einzustufen sind, sind im Anhang XIII der REACH-Verordnung beschrieben. Stoffe mit solchen Eigenschaften gelten ebenfalls als besonders besorgniserregend.

 

Ohne ein Abkommen mit der EU steht eine Vollübernahme von REACH nicht zur Diskussion.

 

– Zulassungspflichtige Stoffe: Für Stoffe der Kandidatenliste mit als besonders hoch eingeschätztem Schädigungspotential wurde unter REACH eine Zulassungspflicht eingeführt. Die Kandidatenliste heisst so, weil aus dieser Liste die zulassungspflichtigen Stoffe in einem aufwendigen Verfahren ausgewählt werden. Auf der ECHA-Website findet man die aktuelle Liste der zulassungspflichtigen Stoffe unter «Authorisation List». Darin hat jeder Stoff ein «latest application date», nach welchem keine Zulassung mehr beantragt werden kann, und ein «sunset date», nach welchem der betreffende Stoff nicht mehr ohne gültige Zulassung im EWR hergestellt oder importiert werden darf. Will man einen solchen Stoff nach dem «sunset date» weiter verwenden, so muss man rechtzeitig für die vorgesehene Verwendung eine Zulassung beantragen. Eine Zulassung gilt im EWR nur für den Stoff desjenigen Herstellers/Importeurs, welcher um die Zulassung ersucht hatte. Die Kunden des Zulassungsinhabers, d.h. seine «nachgeschalteten Anwender», müssen ihre Anwendung des zugelassenen Stoffs der ECHA melden. Die ECHA trägt sie in ein Anwender-Register ein und gibt ihnen eine Nummer. Diese Zulassungsnummer muss auf der Etikette des Produkts angegeben werden. Nicht zugelassene Verwendungen zulassungspflichtiger Stoffe sind im EWR verboten.

Was gilt davon in der Schweiz?

 

– Kandidatenliste: In der Schweiz wurde die Kandidatenliste der EU als Anhang 7 in die Chemikalienverordnung übernommen, jedoch nicht alle damit verbundenen Sorgfaltspflichten. Auch in der Schweiz sind die Abnehmer von Erzeugnissen (bei uns «Gegenstände » genannt) sofort darüber zu informieren, wenn bekannt wird, dass diese einen auf die Kandidatenliste gesetzten Stoff in einer Konzentration von mehr als 0.1 % enthalten.

 

– Abgeschwächte Zulassungspflicht: Die Schweiz hat mit der Aktualisierung der Chemikalien- Risikoreduktions-Verordnung von 2012 (im Anhang 1.17) ebenfalls eine Zulassungspflicht für die im EWR zulassungspflichtigen Stoffe eingeführt. Im EWR erteilte Zulassungen werden von der Schweiz anerkannt. Die Schweizer Ausführungsbestimmungen zur Zulassungspflicht sind jedoch stark abgeschwächt. Während im EWR eine Zulassung nur für die Antragstellerin und ihre Kunden gilt, kann in der Schweiz jeder Anwender einer zugelassenen Verwendung davon profitieren.

 

– Verwendungsbeschränkungen: Auch die Schweiz kennt schon seit Jahren Verwendungsbeschränkungen. Diese werden ebenfalls durch die Chemikalien- Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV) geregelt. Beschränkungen für Stoffe, die neu in den Anhang XVII der REACHVerordnung aufgenommen worden sind, werden periodisch in die ChemRRV übernommen.

 

– Weitere Schweizer Anpassungen an REACH und CLP: Die weiteren Schweizer Anpassungen an die Chemikaliengesetzgebung der EU betreffen vor allem die in der CLP-Verordnung festgelegten Vorschriften zur Einstufung von Stoffen und Gemischen sowie deren Kennzeichnung und Verpackung. Diese wurden praktisch 1:1 übernommen. Auch die im Anhang VI der CLP-Verordnung vorgeschriebenen, sogenannten «Harmonisierten Einstufungen» von Stoffen sind bei uns verbindlich anzuwenden.

 

Zudem wurden die in der Verordnung (EU) Nr. 453/2010 festgelegten Vorschriften zur Erstellung von Sicherheitsdatenblättern übernommen. Ebenso die Verpflichtung, Expositionsszenarien für Stoffe mit mehr als 10 t Umsatz pro Jahr als Anhang in das Sicherheitsdatenblatt aufzunehmen.

 

– Indirekte Einflüsse auf die Schweizer Rechtsanwendung: Die im Artikel 7 unserer Chemikalienverordnung festgeschriebene Sorgfaltspflicht beim Umgang mit Chemikalien setzt die Einhaltung des dafür geltenden Stands der Technik voraus. Dadurch, dass Schweizer Behörden oder Gerichte Konsequenzen der Vorgaben der REACH-Verordnung als Stand der Technik definieren, sind diese deshalb auch in der Schweiz zu erfüllen, auch wenn sie nicht explizit ins Schweizer Recht übernommen wurden. Dies kann z.B. kostspielige Vorsichts- und Schutzmassnahmen betreffen, welche als Folge der REACH-Vorschriften im EWR Stand der Technik geworden sind.

 

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