Qualitätsprüfungen planen, anpassen und daraus lernen
Im Rahmen eines praxisnahen Forschungsprojekts wurde am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen eine Vorgehensweise für eine ganzheitliche Prüfplanung entwickelt, die Unternehmen bei der Anpassung von bestehenden Qualitätsprüfungen in der Produktion unterstützt. Durch die anschliessende Rückkopplung des Wissens in die entwicklungsbegleitende Prüfplanung können sowohl Prüf- als auch Fehlerkosten langfristig gesenkt werden.
Eine fehlende Anpassung von Prüfprozessen in der Produktion führt häufig zu überhöhten Qualitätskosten. Auf der einen Seite verursachen Prüfprozesse für unkritische Merkmale, die bereits durch stabile und fähige Herstellprozesse abgesichert sind, unnötig hohe Prüfkosten. Auf der anderen Seite deuten fehlerhafte Produkte im Feld oder in der Produktion auf nicht-wirksame bzw. fehlende Prüfprozesse hin und bringen erhöhte Fehlerkosten mit sich. Die genannten Potenziale zur Reduzierung der Qualitätskosten bleiben in vielen Unternehmen ungenutzt. Dabei existiert eine Vielzahl an Informationsquellen, die Aufschluss über fehlende, nicht wirksame oder überflüssige Qualitätsprüfungen geben. Dies sind beispielsweise Informationen aus Reklamationsvorgängen, der internen Fehlerabstellung oder der Prüfdatenauswertung. Diese Quellen gilt es zu identifizieren, deren Informationen aufzubereiten und strukturiert in die Prüfplanung zu überführen, um während der Herstellungsphase eines Produktes die laufende und systematische Anpassung von Qualitätsprüfungen zu ermöglichen.
Prüfplanungswissen bleibt oft ungenutzt
Neben der oftmals mangelhaften Anpassung von Prüfprozessen gemäss der Qualitätssituation in der Produktion und im Feld stellt die systematische Nutzung von Erfahrungswissen eine grosse Herausforderung der unternehmerischen Prüfplanung dar. Trotz des verstärkten Einsatzes von CAQSystemen und präventiver Qualitätsmethoden, beispielsweise das Konzept der Besonderen Merkmale in der Produktentstehung oder die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) in der Qualitätsplanung, stellt die Prüfplanung einen wissensintensiven Unternehmensprozess dar, dessen Erfolg massgeblich auf dem funktionierenden Einsatz und der Weitergabe von Erfahrungswissen beruht. Werden Qualitätsprüfungen in der Herstellungsphase eines Produktes auf Basis einzelner Ereignisse (z. B. sicherheitskritische Fehler im Feld) angepasst, so wird dieses Anpassungswissen selten für die Prüfplanung ähnlicher Produkte oder nachfolgender Produktgenerationen genutzt. Es mangelt häufig an geeigneten Strukturen und Vorgehensweisen, um das Erfahrungswissen aus der Herstellungsphase in die entwicklungsbegleitende Prüfplanung zu transferieren. Dies führt dazu, dass Planungsfehler wiederholt werden, die wiederum unnötig hohe Qualitätskosten zur Folge haben. Demzufolge bedarf es der gezielten Übertragung von Methoden und Werkzeugen des Wissensmanagements, um Erfahrungswissen in der Prüfplanung verfügbar zu machen und für nachfolgende Planungsaktivitäten zu nutzen.
Ganzheitliche Prüfplanung
Um den oben genannten Herausforderungen zu begegnen, wurde am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen das praxisnahe Forschungsprojekt «P² – Nutzung reaktiver Prozessdaten für eine ganzheitliche Prüfplanung » durchgeführt. Ziel des Projekts war die Bereitstellung und Nutzung von Daten reaktiver Prozesse (z.B. Prüfdatenauswertung, Fehlerabstellprozesse, Reklamationsprozesse) in der Prüfplanung, um eine kontinuierliche und umfassende Anpassung von Qualitätsprüfungen in der Herstellungsphase vornehmen zu können. Um eine lernende Prüfplanung aufzubauen, galt es, das aus der Anpassung entstehende Wissen für die Prüfplanung nachfolgender Produkt- und Prozessentwicklungsprojekte bereitzustellen.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde ein Prozesskonzept für eine ganzheitliche Prüfplanung entwickelt und ausgearbeitet, welches in der Abbildung dargestellt ist. Dieses umfasst die vier Prozessbereiche «entwicklungsbegleitende Prüfplanung», «herstellungsbegleitende Prüfplanung », «Vernetzung der Prüfplanungsprozesse » und «Verbesserungsmanagement ».
Entwicklungsbegleitende Prüfplanung
Die entwicklungsbegleitende Prüfplanung umfasst die klassische Prüfplanung, die initial im Zuge der Produkt- und Prozessentwicklung durchgeführt wird. Die Aufgabenschritte und Methoden werden bereits umfassend in der Fachliteratur des Qualitätsmanagements beschrieben. Ergänzend zur bestehenden Vorgehensweise der Prüfplanung wurde im Rahmen des Projekts ein umfassender Prozess-und Datenkatalog mit prüfplanungsrelevanten Eingangsdaten aus unterschiedlichen Phasen der Produktentstehung entwickelt, welcher die Informationsbeschaffung und -bereitstellung für die Prüfplanung vereinfacht.
Herstellungsbegleitende Prüfplanung
Geht das Produkt in die Herstellungsphase über, existieren verschiedene Beweggründe, Qualitätsprüfungen anzupassen. Dies ist Aufgabe der herstellungsbegleitenden Prüfplanung. Hierfür wurde basierend auf bestehenden Prozesskonzepten des Änderungsmanagements ein Referenzprozess zur Anpassung von bestehenden Prüfprozessen entwickelt. Dieser ermöglicht es Unternehmen, die Änderung von Prüfprozessen auf Basis verschiedener Änderungsauslöser zu initiieren, eine Planung und Bewertung potenzieller Änderungsopti
Das Potenzial zur Reduzierung der Qualitätskosten bleibt häufig ungenutzt.
onen vorzunehmen, die Änderung zu detaillieren und zu erproben sowie die Prüfänderung im Produktionsprozess zu implementieren. Hierdurch erweitert das Konzept der ganzheitlichen Prüfplanung den Anwendungsbereich der Prüfplanung auf die Phase der Produktherstellung. Gegenstand der Prüfplanung ist somit nicht mehr bloss die Planung von Prüfungen im Rahmen des Produktentstehungsprozesses, sondern auch die Anpassung der Qualitätsprüfungen bei Änderungsbedarf in der Produktion.
Vernetzung der Prüfplanungsprozesse
Bei der Anpassung von Qualitätsprüfungen in der Herstellungsphase wird prüfplanungsrelevantes Wissen erzeugt, welches für ähnliche Produkte oder zukünftige Entwicklungsprojekte genutzt werden kann. Es gilt daher, die Prozesse der Prüfplanung in der Herstellungsphase und dem Produktentstehungsprozess so zu verknüpfen, dass das generierte Wissen gespeichert, verteilt und genutzt werden kann. Hierfür wurde basierend auf Vorgehensweisen und Modellen des Wissensmanagements ein Ordnungsrahmen abgeleitet, der gezielte Handlungsempfehlungen für die Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Anwendung von Erfahrungswissen in der Prüfplanung bereitstellt.
Verbesserungsmanagement
Zur Unterstützung der unternehmensspezifischen Einführung der Referenzprozesse wurde die ganzheitliche Prüfplanung um den Bereich des Verbesserungsmanagements ergänzt. Durch die Anwendung des PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) können Schwachstellen bei der Umsetzung oder im Betrieb der Prüfplanungsprozesse identifiziert und abgestellt werden, was zu einer kontinuierlichen Optimierung der Prüfplanungsprozesse in der Entwicklung und in der Herstellung führt.
Optimierte Qualitätsprüfung
Durch die Überwachung und Analyse von reaktiven Prozessdaten in der Herstellungsphase eines Produktes können Unternehmen den Nutzen und den Aufwand für die Anpassung von Qualitätsprüfungen abschätzen und mithilfe einer geeigneten Methodik umsetzen. Neben der systematischen Anpassung von Qualitätsprüfungen in der Her
Wiederholungsfehlervermeiden.
stellungsphase wurde im Projekt untersucht, inwiefern Methoden und Werkzeuge des Wissensmanagements auf die Prüfplanung übertragen werden können, um das aus der Anpassung von Qualitätsprüfungen entstehende Erfahrungswissen für Beteiligte der Prüfplanung in der Produkt- und Prozessentwicklung bereitzustellen. Durch einen kontinuierlichen Wissenstransfer und Verankerung dieses Wissens in der Prüfplanung lassen sich Wiederholungsfehler in der Planung und Gestaltung von Qualitätsprüfungen vermeiden und somit unnötige Anpassungen von Prüfprozessen in der Herstellungsphase einsparen.
Danksagung
Die Vorgehensweise wurde im Rahmen des Forschungsprojekts «P² – Nutzung reaktiver Prozessdaten für eine ganzheitliche Prüfplanung (17 584 N)» erarbeitet, welches von der AiF Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen «Otto von Guericke» e.V. gefördert wurde. Betreut wurde das Vorhaben durch die Forschungsgemeinschaft Qualität FQS der Deutschen Gesellschaft für Qualität e.V. (DGQ). Die Stimme der Praxis wurde im Projekt durch einen projektbegleitenden Ausschuss vertreten, dem verschiedene Unternehmen angehörten. Zu den Mitgliedern zählten unter anderem die DORMA Deutschland GmbH, die Franz Kessler GmbH, die Heim&Haus Produktionsgesellschaft mbH, die Ph-MECHANIK GmbH & Co. KG sowie die Rhein-Getriebe GmbH (Nennungen in alphabetischer Reihenfolge). Die Autoren möchten allen Beteiligten für die sehr gute und erfolgreiche Zusammenarbeit danken.