«Qualität hat auch mit Menschen zu tun»

Am 1. Juni 2019 wird Frau Dr. Marlyse Roulin ihre Arbeit in der SAQ-Geschäftsstelle aufnehmen. Wir sprachen mit ihr im Vorfeld über ihre Pläne für diese neue Aufgabe und auch darüber, was «Qualität» für sie bedeutet.

Die 49-jährige promovierte Physikerin Marlyse Roulin stammt aus der Romandie, arbeitet aber schon seit 20 Jahren in der Deutschschweiz. Sie war zuletzt Inhaberin und CEO der Business Agility GmbH, einem Unternehmen, das Beratungen und Schulungen anbietet. Sie hatte zuvor aber auch vielfältige Erfahrungen in Grossunternehmen gesammelt.

 

Sie sind promovierte Physikerin. Woran haben Sie geforscht?
Ich schrieb meine Doktorarbeit über Hochtemperatur- Supraleiter. Dabei kam ich mit vielen renommierten Wissenschaftlern in Kontakt. Es war eine sehr anregende Zeit.

 

Wie kamen Sie zum Physikstudium? Noch heute denkt man häufig, dass sich Mädchen bzw. Frauen zu wenig für mathematische Fächer interessieren.
Mein Traum war es, einmal für die Raumfahrt- Industrie arbeiten zu können. Und Naturwissenschaften haben mich schon immer interessiert. Schon als Kind wollte ich die Zusammenhänge begreifen. So hat mir mein Vater bspw. erzählt, dass Holz nicht leite. Dies wollte ich dann – bei Regen – selbst prüfen, indem ich ein Stück Holz an einen Kuhzaun hielt. Prompt erhielt ich einen Stromschlag und die Zusatzlektion, dass nur trockenes Holz nicht leitet.

 

Sie haben also als Kind schon quasi empirisch- wissenschaftlich versucht, «Thesen» zu verifizieren oder falsifizieren …
Genau. Auch später war es mir immer wichtig, nicht im Elfenbeinturm zu bleiben, sondern raus zu den Leuten zu gehen. Nur wer praktisch arbeitet, gewinnt an Erfahrung und weiss auch, was man allenfalls verbessern kann.

 

Bis Mitte 2017 waren Sie Leiterin der Geschäftseinheit Risiko, Qualität, Sicherheit und Umwelt bei der SBB Division Infrastruktur in Bern. Das heisst, nun werden Sie sich bei der SAQ erneut mit diesen Themen beschäftigen?
Das sind natürlich Bereiche, die alle mit Business Excellence zusammenhängen, einer der Schwerpunkte der SAQ Dienstleistungen. Auch das Thema Agilität gehört dazu.

 

Und zu diesem Thema haben Sie ja zuletzt auch eine eigene Firma geführt. Was war dort Ihr Kerngeschäft?
Die virtuelle Realität, konkret ein immersives Training zur Verbesserung der Sicherheit. Zusammen mit der Suva habe ich ein Projekt entwickelt. Das Eintauchen in interaktives Training mit und in Virtual Reality kam bei den Suva-Unternehmenskunden sehr gut an.

 

Was hat Sie nun bewogen, sich um die Stelle bei der SAQ zu bewerben?
Die Ausschreibung dieser Position kam für mich zur richtigen Zeit. Ich habe nun 20 Jahre in verschiedenen Unternehmen gearbeitet und dabei festgestellt, dass gerade beim Thema Qualität noch sehr viel Handlungsbedarf besteht. Dazu kommt bei vielen Themen die «Version 4.0» hinzu, was besonders für KMU eine Herausforderung darstellt. Ich habe mir überlegt: Wie kann man diese Firmen unterstützen? Wie den Austausch fördern? Die SAQ ist ein grosser Verband mit einer sehr guten Reputation. Da dachte ich mir: Diese Plattform wäre genau das Richtige, um Antworten zu entwickeln und im Netzwerk weiterzugeben.

 

Welche Aufgaben möchten Sie da als Erstes anpacken?
Ich werde mir sicher zuerst einen Überblick verschaffen, über das, was die SAQ bereits alles tut. Und sie unternimmt bereits sehr viel, was von aussen gar nicht sichtbar ist. Ich werde mir die Zeit nehmen, eine Auslegeordnung vorzunehmen und zu überlegen, wie wir gemeinsam den Verband Schritt für Schritt in die Zukunft weiterentwickeln wollen.

 

Sie haben das Thema «Agilität» erwähnt. Werden Sie auch bewusst auf agile Methoden setzen?
Das Thema Qualität hat sich stark verändert. Vor 20 Jahren ging es bei Qualität noch viel um Kontrolle, Messung und Prüfung nach definierten Vorgaben. Dann folgte die Welle mit all den Prozess-Beschreibungen, Prozess- Verbesserungen, Effizienz-Steigerungen und den verschiedenen Methoden dazu. Und heute sprechen alle von «4.0» und davon, dass alle «agiler» werden müssen. Mir scheint, in der Vergangenheit hat man bei all dieser Prozessgläubigkeit vergessen, dass Unternehmen auch aus Menschen bestehen. Ohne Menschen kommt man nicht weit. Das heisst, man muss die Menschen mehr involvieren, mehr zu Mit-Unternehmern machen. Nur so kann sich eine Firma agil entfalten. Dazu gehört es auch, Firmenstrukturen zu hinterfragen. Agilität ist nicht nur eine Frage der Methode, sondern auch eine der Kultur.

 

Zurück zum Qualitäts-Begriff. Welchen Stellenwert hat dieser für Sie ganz allgemein?
Qualität ist kein statischer Begriff. Als ich zum ersten Mal in diesem Themenfeld zu arbeiten begann, ging es vor allem um Produktqualität. Heute geht der Qualitätsbegriff immer mehr in Richtung Business Excellence. Die Bedeutung hat sich also erweitert.

 

Beim Stichwort Business Excellence liegt der Bezug zum EFQM-Modell nahe. Welche Erfahrungen haben Sie damit schon gemacht?
EFQM ist ein gutes Modell. Für KMU ist es allerdings manchmal etwas schwierig, dies umzusetzen. Es existieren auch andere Modelle, etwa aus Japan oder den USA. Diese sind oft weniger komplex und könnten als Einstieg zum EFQM-Modell dienen.

 

Das heisst, der SAQ soll es in Zukunft auch darum gehen, ihren Mitgliedern eine breitere Palette an Möglichkeiten anzubieten?
Das ist ein denkbarer Ansatz. Jede Firma hat andere Voraussetzungen, andere Kundenanforderungen. In jedem Unternehmen, in der ich bisher gearbeitet hatte, war die Vorstellung von Qualität eine andere – so wie auch die jeweilige Firmenkultur ganz unterschiedlich war.

 

In welche Richtung wollen Sie allenfalls auch die Kultur der SAQ verändern?
Es kann nicht primär um ein Verändern der Kultur gehen. Vielmehr gilt es auf den Stärken aufzubauen, Erfahrung, Ideen und neuen Schwung einzubringen. Die heutige Kultur ist geprägt von einem gut funktionierenden Milizsystem. Die praktische Mitarbeit der Mitglieder und das Knowhow durch die regionale Präsenz sind für einen Verband enorm wichtig. Zentral sind auch die bei- Marlyse Roulin den Veranstaltungen «Tag der Schweizer Qualität» und FOREP, um öffentliches Interesse zu schaffen. Mit der Ausdehnung der Personenzertifizierung auf weitere Bereiche wie Banken und IT oder demnächst das Gesundheitswesen wurden wichtige Schritte eingeleitet. Diese Agilität möchte ich weiter fördern.

 

Nun weiss man aber von vielen Vereinen und Verbänden, dass sie immer mehr Mühe haben, Führungspositionen neu zu besetzen. Das Interesse an ehrenamtlicher Arbeit scheint zu schwinden. Wie sehen Sie das?
Ein Verband existiert nur, wenn Mitglieder ein Interesse an seiner Zweckbestimmung haben. Nur zu sagen «uns gibt es, jetzt kommt mal» reicht nicht. Deshalb muss man sich rechtzeitig die Frage stellen: Wohin geht die Reise? Entspricht unser Angebot noch den Bedürfnissen der Mitglieder? Gibt es neue Bedürfnisse?

 

Nahe bei den Leuten zu sein, wie das die SAQ mit ihren Sektionen tut, sind wohl gute Voraussetzungen für die Zukunft?
Innerhalb der «Qualitäts-Community» verfügt die SAQ über einen hohen Bekanntheitsgrad. Aber wie hoch ist dieser darüber hinaus? Excellence ist ja nicht nur auf die Position des Qualitätsmanagements beschränkt, sondern umfasst auch andere Bereiche einer Unternehmensleitung. Hier besteht sicher noch Raum, um von der Pflicht zur Kür zu gelangen.

 

Dann besteht also auch Potenzial für neue Dienstleistungen. Haben Sie da denn schon Ideen?
Geben Sie mir noch etwas Zeit (lacht). Bisher hatte ich die Gelegenheit, Vertreter der Sektionen aus der Romandie zu treffen – alles hoch motivierte Leute mit viel Energie und vielen Ideen. Nun bin ich gespannt, die anderen Sektionen kennenzulernen. Auf jeden Fall freue ich mich darauf.

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