Prozessanalyse
In vielen Fällen genügt es nicht, die direkten Effekte von bekannten Einflussfaktoren zu kennen. Vielmehr sind es unverständliche Wechselwirkungen, die einen Prozess schwer beherrschbar machen. Und dass Wechselwirkungen mit klassischen Experimenten «Ändere immer nur einen Faktor» nicht entdeckt werden.
In einem Seminar der Europäischen Organisation für Qualität (EOQ) wurde festgestellt: «Nur die Versuchsplanung [erlaubt es uns], die zur systematischen Verbesserung von Produkten und Prozessen benötigten Informationen, in vernünftiger Zeit zu beschaffen.»
Klarheit über Einflüsse und Auswirkungen
Kein realer Herstellungs- oder Umwandlungsprozess macht immer und ausschliesslich, was von ihm erwartet wird. Sind die Abweichungen zu gross für die benötigte Qualität der Resultate, stellt sich die Frage: Woher kommt die Variabilität und wie kann sie beeinflusst, das heisst reduziert werden? Es geht also um die inneren Zusammenhängen des Prozesses und ihr Verhalten auf äussere gewollte Einflüsse und ungewollte Störungen. Nur mit deren Verständnis sind wir in der Lage, Prozesse zu optimieren und im Optimum zu halten.
Dies ist nun aber meist gar nicht so einfach, denn, wie der Chaosforscher Arthur Koestler zeigt, ist der Mensch und im Speziellen das zielgerichtete menschliche Denken weitgehend unbewussten Grenzzyklen unterworfen (1).
Darum sieht der Konstrukteur seine eigenen Konstruktionsfehler nicht, die eine Maschine daran hindern, richtig zu funktionieren. Das ist auch der Grund, dass der Wissenschaftler eine liebgewordene Theorie nicht anzweifelt oder gar verwirft, obwohl sie erwiesenermassen wiederholt falsche Prognosen für reale Vorgänge abgegeben hat.
Dieses Denken in Grenzzyklen war gut in der afrikanischen Savanne, wo rasches Handeln in wiederkehrenden Situationen gefragt war; dort haben es unsere Vorfahren auch erfolgreich angewandt. Es ist aber meist nicht optimal, wenn in Industrieumgebungen nachhaltiges Reagieren auf komplexe Probleme nötig ist. Und, wie Azeem, der muslimische Begleiter von Robin Hood, es ausdrückt: Es gibt keine perfekten Menschen, nur perfekte Absichten! (2) Um die Variabilität eines Prozesses kontrollieren und allenfalls reduzieren zu können, müssen wir die ihn beherrschenden Einflüsse und deren Auswirkungen auf die kritischen Zielgrössen, die Ergebnisse des Prozesses, kennen.
Einsicht durch Versuchsplanung
Meist ist die hier beschriebene Situation vergleichbar mit «Vor einem Labyrinth stehen». Um einen Einblick in sein Innenleben zu gewinnen, genügt es nicht, an den bekannten Knöpfen zu drehen, in der Hoffnung, eine Lösung zu finden. Vielmehr müssen wir uns zunächst fragen, welche Einflüsse insgesamt auf unseren Prozess einwirken und dann alle als signifikant erkannten Einflüsse in unserer Untersuchung berücksichtigen. Für die Versuchsplanung bedeutet dies, die Dimensionalität des Versuchsraums zu erweitern. Im Bild des Labyrinths genügt es, die dritte Dimension einzuführen: Von oben betrachtet, wird der Weg ins Zentrum leicht sichtbar.
In der Prozessarbeit gilt es, alle Einstellungen aller wesentlichen Einflussfaktoren zu finden und in entsprechenden Experimenten zu berücksichtigen, um ein globales mathematisches Modell des Prozesses erstellen zu können, das alle interessanten Zusammenhänge abbildet. Mit Rücksicht auf die bereits erwähnten Wechselwirkungen müssen dabei auch Faktoren berücksichtigt werden, deren Effekte «bekannt» sind, und die Experimente müssen grundsätzlich nach der Regel «Ändere alle Faktoren gleichzeitig» durchgeführt werden. Wie das genau zu geschehen hat, regelt ein Experimentplan, der mit einer geeigneten Software erstellt wird.
Das intuitive Verfahren besteht meist aus erratischem Ertasten des mehrdimensionalen Prozessraums. Ist dies bei zwei Variablen noch gut durchführbar, wird es ab der dritten Dimension bereits unübersichtlich. Es resultiert somit meist in vielen Versuchen, die trotzdem die inneren Zusammenhänge nicht erkennbar machen, geschweige denn ein Optimum zu finden (Bild 1).
Das geplante Ausleuchten des Prozessraums hingegen ergibt eine kontrollierbare Anzahl definierter Experimente und als Resultat eine mathematische Beschreibung des Modells, das nach beliebigen Kriterien optimierbar ist.
In Bild 2 sind die Haupteffekte der Einflüsse 1 bis 6 eines realen Prozesses einer existierenden Maschine als Scatterplots mit zugehörigen angenäherten Regressionskurven dargestellt. Die folgenden Grafiken wurden mit dem Statistikprogramm CORNERSTONE (3) erstellt.
Wechselwirkungen
In den oben gezeigten Zusammenhängen handelt es sich nicht um ein «getürktes» Schulbeispiel, sondern um ein jüngeres Exemplar aus der Praxis. Es wird unschwer klar, dass derartig komplexe Zusammenhänge «barfuss» nicht mehr erfassbar sind. Dabei ist zu bemerken, dass der ganze Datensatz mit nur 38 Einstellungen der Maschine in einer Schicht erzeugt werden konnte.
Wie bereits erwähnt, sind die Haupteffekte leider nicht die ganze Wahrheit. Oft genug sind es wie gesagt die Wechselwirkungen zwischen ihnen, die zum Unverständnis der Prozessrealität in besonderem Masse beitragen. Dieser Umstand wird anhand der Grafik in Bild 3 näher erläutert.
In Bild 3 sind sämtliche möglichen Wechselwirkungen der sechs Einflussfaktoren auf die Zielgrösse 1 dargestellt und die grösseren farblich hervorgehoben. Die wichtigsten treten auf zwischen den Einflussfaktoren 1 und 6 (blau hinterlegt), 2 und 6 (gelb) sowie 4 und 6 (grün). Die drei Kurven pro Diagramm entsprechen dabei jeweils den drei Einstellungen des einen Partners in den Diagonalkästchen Max, Midpoint, Min.
Die stärkste Interaktion findet zwischen Einfl4 und Einfl6 (grün) statt. Sie hat eine fast vollständige Umkehr des Effektes auf die Zielgrösse Ziel1 zur Folge! In der Mittelstellung von Einflussfaktor 6 (Einfl6 = 3 = Midpoint[3]) hat die Variation von Einfl4 zwischen 3000 und 7000 (grün hinterlegtes Kästchen unten) praktisch keinen Effekt auf die Zielgrösse Ziel1 (Skala links aussen). Dieser Verlauf entspricht im Wesentlichen auch dem in Bild 2 für Einfl4 ausgewiesenen Haupteffekt. Dagegen variiert Ziel1über einen grossen Wertebereich, wenn Einfl6 auf Min oder Max gesetzt wird – gegenläufig!
Eine derartige Konstellation kann bei Unkenntnis der Zusammenhänge durchaus dazu führen, dass ein Prozess nicht beherrschbar wird, weil je nach Ausgangssituation völlig andere, widersprechende Korrekturmassnahmen zur Erreichung der gewünschten Zielwerte nötig werden.
Schlusswort
So unverständlich es erscheint, dass in vielen Produktionsbetrieben auch heute noch Prozessarbeit ohne Versuchsplanung geleistet wird, so erfreulich, dass immerhin in wichtigen Schlüsselindustrien in Forschung und Produktion systematisch damit gearbeitet wird.
Automobil, Chemie, Halbleiter arbeiten standardmässig mit systematischen Methoden, zu denen die Versuchsplanung zählt. Aber gerade für kleinere Unternehmen sind Prozessschwierigkeiten oft desaströs. Die Beschaffung einer neuen Maschine zur Rationalisierung eines Ablaufs bedeutet eben nicht automatisch eine Verbesserung der Resultate. Die Prozessoptimierung ist Aufgabe des Prozesseigners und wird häufig vom Hersteller nur unzureichend unterstützt. Mit einer gemeinsamen Analyse wäre in vielen Fällen beiden geholfen. Die Praxis kennt viele Fälle, in denen nach monatelangem, teurem Pröbeln ein einziges geplantes Experiment ein Problem aus der Welt schaffen konnte.