Professionelle Krisenkommunikation
In einer Krise sollten Handlungsfähigkeit und Handlungssicherheit systematisch und strukturiert vorbereitet sein. Es gilt Kompetenzen gezielt aufzubauen. Dr. Albena Björck zu aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätzen in der Vorbereitung der Krisenkommunikation.
Ein Mangel an realen Krisenbeispielen kann nicht beklagt werden: Naturkatastrophen, Korruptions- und Betrugsfälle, Entlassungen oder Fabrikexplosionen werden um neue technologisch bedingte Krisen (Cyber-Angrif-fe), unüberlegte Äusserungen von Unterneh-mensvertretern und unerwartete moralische Entrüstungen einzelner Anspruchsgruppen (Konsumentenaktivismus) erweitert. Die re-volutionäre Weiterentwicklung der Kommu-nikationstechnologie und der rasante Aufstieg der sozialen Medien führen zu einer gestiege-nen Aufmerksamkeit und Sensibilität der Öf-fentlichkeit, und zu mehr Angriffsflächen
Kompetenz durch Prophylaxe
In vielen Organisationen steckt die Krisen-kommunikation noch in den Kinderschuhen. Dafür gibt es Gründe. Zum einen liegt es am schwerfälligen Umgang mit dem Thema «Kri-se», zum anderen am zu engen Verständnis für die Aufgaben der Krisenkommunikation.
Wenn sich eine Krise ereignet, dann ist die Kommunikation Schwerstarbeit: Zeit-druck, hohes öffentliches Interesse und be-schränkte Handlungs- und Kommunikations-möglichkeiten sind physisch und mental er-schöpfend. Bestehende Mängel in Prozessen, Strukturen und persönlichen Kompetenzen werden schonungslos offenbart. Wer es in «guten» Zeiten verpasst hat, eine professionel-le Kommunikation mit seinen Anspruchs-gruppen zu betreiben, der stösst auf Unver-ständnis, Widerstand und direkte Opposition.
Der Schutz der eigenen Reputation ist eine strategische, nicht delegierbare Führungs aufgabe geworden. Ein wichtiges Instrument da-bei ist die strategische Krisenkommunikation.
Schwierige Krisendefinition
Krisenmanagement und Krisenkommunikation erfordern strategisches Denken und ein erster Schritt ist die Identifikation möglicher Krisensituationen. Denn nur wer das Wesen und die möglichen Auswirkungen einer Krise versteht, kann geeignete Massnahmen und eine situationsgerechte Kommunikation einleiten.
Erstens, im privaten und beruflichen Alltag werden beliebige Ereignisse als Krise bezeichnet, ohne Rücksicht auf ihr Ausmass und mögliche Konsequenzen. Der Begriff «Krise» ist «inflationär» geworden. Zudem neigt der Mensch dazu, unangenehme Signale auszublenden, wie der US-amerikanische Wissenschaftler Nassim Taleb feststellt. Der Umgang mit Krisen in Zeiten von Wachstum und wirtschaftlichen Erfolgen fällt den meisten Organisationen schwer.
Zweitens, jede Krise wird durch Unsicherheit begleitet. Der Zeitpunkt des Eintretens, die eigentliche Ursache, die Dauer und der Verlauf sind meistens unbekannt und schwierig einzuschätzen. Normalerweise löst ein Ereignis wie z. B. die Entlassung von Mitarbeitern, die Aufdeckung eines Betrugs oder die Explosion in einer Produktionsstätte die Krise aus. Über die Zeit ändert sich der Krisenverlauf mehrmals, beeinflusst dadurch, wie die Krise bewältigt wird und wie die Öffentlichkeit die Situation wahrnimmt. Der Ausgang kann sich als positiv, aber auch als negativ, gar katastrophal erweisen.
Versuch einer Krisentypologie
Die Suche nach möglichen Krisen für die eigene Organisation und die Ableitung von Krisenszenarien erweist sich aber in der Praxis als eine überwältigende Aufgabe. Ein pragmatischer Lösungsansatz zur Krisendefinition umfasst zwei Schritte: erstens die Analyse und Klassifizierung plausibler Krisenfälle und zweitens die Ableitung von Krisenszenarien.
Bestehende Krisentypologien können die Komplexität reduzieren und die Sammlung von Informationen vereinfachen. Abbildung 1 veranschaulicht eine Typologie, die Krisenereignisse nach der von den Anspruchsgruppen wahrgenommenen Ursache und Kontrollierbarkeit einstuft und gleichzeitig erste Hinweise für ihre Reaktion liefert. So zeigen empirische Studien, dass die Anspruchsgruppen mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen bei Krisenereignissen reagieren, wenn die Krisenursache organisationsintern doch als kontrollierbar eingestuft wird.
Nach der Einstufung der Krisenereignisse werden Krisenszenarien zu jedem Krisenfall definiert. Die Szenario-Methode ist im strategischen und im Risikomanagement verbreitet und wird auch in der Krisenkommunikation vermehrt eingesetzt. Durch die Krisenszenarien werden mehrere Krisenausgänge beschrieben. Das Denken in Szenarien schafft somit ein anderes Risiko-Bewusstsein und bereitet mental auf Krisen vor. Als besonders hilfreich erweist sich ein möglichst negatives Szenario zu definieren.
Systematische Vorbereitung
Wie Workshops zeigen, ist die beschriebene Komplexität der Krisendefinition nur die Spitze des Eisbergs, das die Vorbereitung der Krisenkommunikation darstellt. Damit ein Konzept gelingt, braucht es enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Fachstellen, ein funktionierendes Kriseninformationssystem sowie Support und eine direkte Beteiligung der Unternehmensleitung.
Ein Krisenkommunikationskonzept umfasst folgende Themen:
- Organisationsspezifische Krisenfälle und Krisenszenarien (1).
- Aktionsplan (2) mit vier Unterbereichen: Kriseninformationssystem (2a) zum Auffangen von Krisensignalen und möglichen Risiken. Ausgangspunkt ist die Analyse der relevanten Anspruchsgruppen, ihre Informationsbedürfnisse und Rollen bei einem Krisenfall. Eine Vernetzung mit dem Risikomanagement und dem Issue Management ist sicherzustellen. Diese Informationen können helfen, die Krisenszenarien zu vervollständigen.
- Taktischer Krisenkommunikationsplan (2b): umfasst die Planung der Strategie, die Botschaften, Instrumente und die Regieanweisung in jedem identifizierten Krisenszenario. Weitere Themen sind ein interdisziplinärer Krisenstab und der Einbezug von externen Dienstleistern.
- Umgang mit den Medien in der Krise (2c): Die Kenntnisse der relevanten Medien, der generellen öffentlichen Einstellung sowie von anderen Beeinflussern (Opinion leaders) werden mittels einer laufenden Medienanalyse vertieft.
- Umgang mit weiteren Anspruchsgruppen mit Schlüsselbedeutung (2d): An erster Stelle die Mitarbeiter als glaubwürdigstes Sprachrohr nach aussen. Je nach Krisensituation ist die Zusammenarbeit mit Behörden (z. B. mit der Blaulicht-Organisation) oder der Umgang mit Kunden (z. B. bei einem Produktrückruf) genauso detailliert festzulegen wie die Medienkommunikation in der Krise.
- Institutionalisierung und Sicherstellung regelmässiger Trainings (3) und Aktualisierungen (4).
Krisenkommunikation – mehr als Taktik
Eine effektive Krisenkommunikation kann die eigene Reputation schützen, wenn notwendig verteidigen oder wiederherstellen. Sie ist ein kritischer Bestandteil eines professionellen Krisenmanagements vor, während und nach der Krise. Krisenkommunikation wird aber häufig in der Praxis nur in der «heissen Phase» einer Krise betrieben, d. h. sie umfasst nur den taktischen Umgang mit der Krise. Diese Aufgaben sind von zentraler Bedeutung, aber wie die Abbildung 2 zeigt, greifen sie zu kurz und werden der Komplexität nicht gerecht.
Krisenkommunikation sollte auch vor und nach der Krise aktiv betrieben werden. Vor der Krise werden Organisationsstrukturen geschaffen und Kompetenzen trainiert. Chancen und Risiken im Umfeld werden analysiert und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Fachbereichen werden zu kritischen Themen verdichtet. In dieser Phase klärt die Organisation ihre Anspruchsgruppen über Risiken und künftige Krisenereignisse auf und ermittelt gegenseitige Erwartungen. Die Krisenkommunikation kann Vertrauen schaffen, was oft die beste Krisenprävention ist.
Nach der Krise sorgt die Krisenkommunikation für eine abschliessende Beurteilung der Krisenursachen und -bewältigung. Sie unterstützt somit den Neuanfang und die Wiederherstellung der Reputation. In dieser Phase soll auch das Lernen aus der Krise und die Aktualisierung der Abläufe, Strukturen und Kompetenzen gewährleistet werden. Denn «Nach der Krise ist vor der Krise».