Privater Transport gefährlicher Güter
Samstagmorgen, ein Baumarkt in der Schweiz: Stellen Sie sich vor, Sie kaufen nicht nur Dünger, sondern auch Pool-Chemikalien, Spraydosen und Farben, sowie Kühlerfrostschutz, Blei-Akkus und Lithiumbatterien. Ihr Kofferraum ist bereits mit Gasflaschen für den nächsten Tauchausflug mit der Familie gefüllt. Hat man es hier mit einem Gefahrguttransport zu tun? Muss man vor dem nächsten Einkauf die gut 1600 Seiten des Gefahrgutregelwerks ADR durchlesen? Eine aktuelle Analyse.
Privatpersonen geniessen eine besondere Freistellung (gemäss ADR 1.1.3.1). Die übrigen Vorschriften des ADR* gelten nicht, falls es sich um einzelhandelsgerecht verpackte Gefahrgüter handelt, die für den persönlichen oder häuslichen Bereich sowie Freizeit und Sport bestimmt sind, und Massnahmen getroffen werden, um ein Freiwerden des Inhaltes unter normalen Bedingungen zu verhindern.
Für entzündbare Flüssigkeiten in wiederbefüllbaren Behältern (z.B. Kraftstoffkanister) gilt zudem: max. 60 l pro Behälter und max. 240 l insgesamt. Grosspackmittel wie «Intermediate Bulk Containers» (IBC) gelten genauso wenig als einzelhandelsgerecht wie Tanks.
In der Schweiz ist zusätzlich die Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (SDR) zu beachten, welche vorherige Freistellung weiter eingrenzt. Die Gesamtmenge an Gefahrgut, welche privat in einer Beförderungseinheit (Fahrzeug plus Anhänger) befördert werden darf, ist auf einen Wert von 300 Punkten begrenzt, ähnlich wie die bekannte 1000-Punkte-Regel gemäss ADR 1.1.3.6 (siehe Link zur Tabelle im Kasten).
Gefahrgutrechtliche Einstufung
Um diese Regel richtig anzuwenden, muss eine Privatperson den eigenen Einkauf gefahrgutrechtlich einstufen, also Gefahrgutklasse, UN-Nummer und Verpackungsgruppe (VG) der eingekauften Waren kennen. Zusätzlich muss bestimmt werden, auf welche Einheit (Kilogramm oder Liter) sich die höchstzulässige Gesamtmenge bezieht. Bei flüssigen Gefahrgütern sind es Liter, bei festen Gefahrgütern bzw. Gegenständen sind es Kilogramm. Und bei den Gasflaschen aus dem Eingangsbeispiel? Hier kommt es darauf an, ob das Gas verdichtet, verflüssigt oder gelöst ist. Gasflaschen für den nächsten Tauchgang enthalten verdichtetes Gas. Also muss man den mit Wasser ausgeliterten Fassungsraum des Gefässes in Litern kennen. Bei Gegenständen mit Explosivstoffen (Klasse 1, z.B. Feuerwerk oder auch Munition) zählt schliesslich die Nettoexplosivstoffmenge in Kilogramm.
Das heisst, Privatpersonen müssen nicht das ganze ADR lesen, die Teile 1 bis 3 (insgesamt knapp 1000 Seiten!) sollten ausreichen, um die Freistellung gemäss SDR richtig anzuwenden. Da sich das wohl kaum einer antun wird, stellt sich die Frage, ob Privatpersonen denn überhaupt je in den Bereich kommen, wo die 300 Punkte gemäss SDR überschritten werden.
Fallbeispiel 1 – Tauchausflug
Flaschen mit Druckluft werden als UN 1002, Klassifizierungscode 1A, eingestuft. Gemäss Tabelle A dürfen maximal 300 l Flaschenvolumen befördert werden. Dreissig 10-l- Tauchflaschen sollten für den Familientauchausflug reichen. Das Mitführen der Tauchausrüstung unterliegt demnach im Normalfall nicht dem ADR.
Fallbeispiel 2 – Schiessstand
Für diejenigen, die ihre Freizeit lieber auf dem Schiessstand anstatt beim Tauchen verbringen, folgendes Fallbeispiel: Hier wird Munition Kaliber 7,5 × 55 mm Swiss (Gw Pat 11) transportiert. Es handelt sich dabei um Gegenstände der Klasse 1, Klassifizierungscode 1.4S. Die höchstzulässige Gesamtmenge beträgt 5 kg, bezogen auf die NettoPrivatpersonen explosivstoffmenge. Diese beträgt bei der Gw Pat 11 0,0033 kg pro Schuss.¹ Die maximale Gesamtmenge, die für eine Privatperson noch freigestellt ist, beträgt somit 1515 Schuss – mehr als genug für ein Schiesstraining.
Fallbeispiel 3 – Einkauf im Baumarkt
Zurück zum Beispiel vom Anfang dieses Beitrags. Im Baumarkt werden 5 kg Pool-Desinfektionsmittel (UN 3260, Klasse 8, VG II), zwölf 0,5-l-Spraydosen Klarlack (UN 1950, Klassifizierungscode 5F), 30 l Farben (UN 1263, Klasse 3, VG II), zwei Blei-Akkus à 15 kg (UN 2794, Klasse 8) und zehn Lithium-Metall- Batterien à 50 g (UN 3090, Klasse 9) gekauft. Im Kofferraum liegen bereits acht 10-l-Tauchflaschen (UN 1002) plus eine Kiste Feuerwerk (UN 0336, Klassifizierungscode 1.4G) mit einer Nettoexplosivstoffmenge von 500 g. Es ergibt sich eine Gesamtpunktzahl von 264,5 für den ganzen Transport (siehe Tabelle).
Der eher abenteuerliche Einkauf aus Fallbeispiel 3 zeigt, dass man als Privatperson die 300 Punkte – und somit die Freigrenze – im Normalfall nicht überschreitet. Wer im Rahmen einer Vereinstätigkeit einmal grössere Mengen Gefahrgut befördert, kann jedoch durchaus betroffen sein.
Eine Frage der Sicherheit
Abgesehen von der Gesetzeskonformität, stellt sich die eigentliche Frage nach der Sicherheit. Ist es sinnvoll, dass für Privatpersonen die Regelungen für Gefahrgut nicht gelten? Für diejenigen, die Fische lieber nicht bei einem Tauchgang, sondern zu Hause aus dem Trockenen beobachten, folgendes Beispiel: Eine Aquarienbesitzerin möchte eine CO2- Flasche transportieren.
Nach ADR gilt für diesen Transport Sondervorschrift CV36: «Die Versandstücke sind vorzugsweise in offene oder belüftete Fahrzeuge oder in offene oder belüftete Container zu verladen (…)» Das SDR fordert: «Ist ein Gasaustausch zwischen dem Ladeabteil und der Führerkabine nicht ausgeschlossen, so sind die Versandstücke in offene oder belüftete Fahrzeuge oder in offene oder belüftete Container zu verladen.» Privatpersonen sind, wie wir in den vorherigen Fallbeispielen gelernt haben, von diesen Regeln ausgenommen und dürfen die CO2-Flasche ins Fahrzeug nehmen – ohne Lüftung. Bei einer undichten Flasche besteht damit Lebensgefahr.
Müssen Privatpersonen also doch das ADR zum Einkaufen mitnehmen? Kaum – aber die Herstellerangaben bei chemischen Produkten sind zu beachten, gerade das Kleingedruckte auf der Verpackungsrückseite beinhaltet wichtige Informationen. Offene Fragen können mit einer Beratung durch den Fachhändler geklärt werden. Einem sicheren und gesetzeskonformen Wochenendeinkauf steht dann nichts mehr im Wege.