Praxistaugliche Prozesse

Prozessmanagement ist heute Realität für Unternehmen des privaten Sektors wie auch der öffentlichen Hand. Doch wie sollte vorgegangen werden? Mit der Wahl eines IT-Tools ist es nicht getan. Entscheidend ist die Erhebung, das Sichtbarmachen der Prozesse. Das Projekt «SMARTCARD subito» zeigt, wie damit die Akzeptanz gefördert werden kann.

Praxistaugliche Prozesse

 

 

 

Die Wirksamkeit der Informatikund Kommunikationstechnologien, die Verankerung von Qualität, das Streben nach Business Excellence und der Umgang mit Risiken setzen Prozesse in unterschiedlichem Ausmass voraus. Geschäfts- Prozesse werden als zielgerichtete Erstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung durch eine logische Abfolge zusammenhängender Tätigkeiten verstanden, die bestimmten Regeln folgen.

 

In der umfangreichen Fachliteratur zu «Prozessmanagement» finden sich Hinweise, wie Prozesse gegliedert, strukturiert und dargestellt werden können, wie Prozessmanagement eingeführt wird, welche Rollenträger benötigt werden, wie Prozesse gemessen an Reifegradmo-

 

Tragfähige und umsetzbare Prozesse

 

dellen verbessert werden können. Keine Frage, dies sind gewichtige Themen. Was jedoch meist fehlt, sind Hinweise zur Erhebung und zum Sichtbarmachen von Prozessen: Wie kommen wir zu tragfähigen, umsetzbaren, robusten, praxistauglichen Prozessen?

 

Gerne wird auch auf IT-Tools und Utilities verwiesen, die ihren Wert und unbestrittene Stärken insbesondere in der Prozessmodellierung und -publikation, der -analyse, der -simulation, der -automation und dem Dokumentenmanagement haben. Aus Praxissicht zählt die Prozesserhebung nicht dazu, denn die IT-Tools helfen nicht, um realitätsnahe, ökonomisch gestaltete Prozesse zu erhalten, sie sind Hilfsmittel, jedoch nicht die Lösung. So wird auch von Rollenträgern aus dem IKT-Umfeld vermehrt darauf hingewiesen, dass die fokussierte Diskussion der Anwender über das «richtige » IT-Prozessmanagement-Tool die «falsche» sei.

Erfolgsfaktoren/Knackpunkt Akzeptanz

 

Die eigene Erfahrung, Praxisberichte und Fachliteratur zeigen: Ein unbefriedigendes Prozessmanagement hat vielfach mit fehlender Akzeptanz durch die Anwendenden zu tun, Führungskräfte inbegriffen. Dies gilt speziell für von Menschen getragene Prozesse in «sozio-technischen » Systemen, im Gegensatz zu von Maschinen abgearbeiteten, automatisierten (Fertigungs-)Prozessen. Wenn Akzeptanz fehlt, dann existieren wohl zu Papier gebrachte und in Workflow-Systemen implementierte Prozesse. Es fehlt jedoch vor allem ein Verständnis bei den Prozessrollenträgern zu den zugrunde liegenden Argumenten, Verflechtungen und zum Miteinander.

 

Was ermöglicht Akzeptanz? Akzeptanz kann durch bewusstes Handeln im Kontakt mit den Prozessrollenträgern gefördert werden. Der direkteste Kontakt findet bei der Prozesserhebung und -gestaltung statt – darum ist sie ein Schlüsselelement des Prozessmanagements. Dieses stellt den Einbezug aller Beteiligten ins Zentrum. Akzeptanz wird nicht durch eine Methode, ein Tool geschaffen, sie kann auch nicht verordnet werden. Organisationale Anforderungen sind:

 

  •  Es braucht eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis, das Wissen, verstanden zu werden, Kenntnis der bestehenden Werte und Kultur, eine wertungsfreie gemeinsame Sicht. Nur so können sich Betroffene und Beteiligte auf das Gemeinsame fokussieren und daraus ableiten, was machbar ist und was eben nicht.
  • Es verlangt nach Transparenz, Reflexion und angstfreier Diskussion, nach Vertrauen. Es setzt Diskussionsräume und -zeiten voraus, denn eine Prozesserhebung, -analyse oder -gestaltung ist kein linearer Prozess.
  • «Alle» Betroffenen aus den Fachbereichen und der Linienorganisation müssen sich einbringen, müssen ihr Wissen kollektiv zur Verfügung stellen.

Beteiligte ins Zentrum

 

Das Prozessteam steht im Mittelpunkt, denn das Ergebnis ist immer so gut wie die Arbeit der Gruppe. Das Prozessteam ist für die Inhalte verantwortlich, also die zielführenden Tätigkeiten in optimaler Reihenfolge samt beigeordneten Zuständigkeiten und Hilfsmitteln. Das Team soll den ganzen jeweils zu modellierenden (Teil-)Prozess vertre

 

Die Arbeit der Gruppe zählt

 

ten und somit ein breites Sachthemenfeld abdecken, denn es existieren immer multiple Realitäten. Prozesskenntnis und Veränderungsbereitschaft (Fähigkeit und Willen) und somit Unvoreingenommenheit, zeichnen geeignete Mitglieder aus. Mit ins Team gehören auch Querdenker.

 

In der Gruppe entwickelte Ideen werden leichter akzeptiert, Risiken werden fundierter beurteilt, Ideen werden leichter gemeinsam weiterentwickelt. Auf der anderen Seite benötigt die Gruppe mehr Zeit; Gruppendruck, Vorgesetzte oder starke Persönlichkeiten können die Gruppe dominieren oder hemmen; Innovation wird evtl. durch Kompromiss ersetzt.

 

Der Berater wird als Methodenexperte zum Moderator, zum «Ermöglicher », und gewinnt Distanz vom Fachexperten. Er stellt sich in den Dienst des Teams. Der Moderator animiert und bremst, setzt vereinbarte «Spielregeln» durch, fördert durch Fragen die Richtigkeit, die Vollständigkeit und die Plausibilität. Er aktiviert die Teilnehmenden, sich auszudrücken und ihre Gedanken selber schriftlich festzuhalten. Er stellt das Positive in den Vordergrund, ohne das Negative zu unterdrücken.

Prozesserhebung und -gestaltung

 

Das Papier hat nicht ausgedient! Eine provokative Aussage – gewiss. Berechtigt jedoch, denn die gemeinsame Auseinandersetzung und das Niederschreiben der erkannten Prozesssachverhalte auf Papierkarten unterstützt das Herausbilden von Akzeptanz.

 

Papierkarten unterschiedlicher Form, Grösse, Farbe und ggf. mit Aufdruck werden für die Modellierung der Prozesse verwendet. Die Kartengestaltung richtet sich nach Best-Practice, nach dem Modellierungs- resp. Darstellungstool oder den bereits in der Unternehmung etablierten Prozessgestaltungsvorgaben. Sie lassen sich rasch und unkompliziert, selbst ad hoc vor Ort, erstellen.

 

Bereits mit vergleichsweise wenigen Kartentypen, in Bild 1 drei Farben und drei Formen, sind auch «ungeschulte » Personen nach kurzer Anleitung in der Gruppe oder alleine in der Lage, eine beachtliche Prozesskomplexität rasch auf den Tisch zu legen. Nebst der auf Ergebnisse ausgerichteten Tätigkeitsabfolge mit Optionen, mit Und-Oder-Verzweigung und Schleifen lassen sich auch die den Tätigkeiten zugeordnete Rollenträger und Hilfsmittel transparent und somit auch diskutierbar machen. Dies gilt nicht zuletzt auch bezüglich der Nahsttellen zu vorund nachgelagerten Prozessen.

 

Die GappBridging Bildkartenmethode BKM™ ist eine detailliert ausgearbeitete, auf speziellen Bildkarten basierende Geschäftsprozessgestaltungsmethode, die auf den Arbeitsprinzipien «Partizipation – Reflexion – Lösungsorientierung» aufbaut.

 

Mit der GappBridging BKM™ lassen sich Prozesse bezüglich der Ist- und der Soll-Situation erheben-, analysieren und gestalten (Bild 2). Verbesserungen lassen sich initiieren, die Umsetzungsplanung wird mit einbezogen, die kontinuierliche Prozessverbesserung (KPV) kann verfolgt werden. Darüber hinaus lassen sich Variantenvergleiche und Unternehmens- Prozesslandkarten gestalten (www.gappbridging.com).

Das Beispiel «SMARTCARD subito»

 

Im Rahmen des Projekts «SMARTCARD subito» haben die beteiligten HR-, Logistik- und Informatikstellen gemeinsam die organisationsübergreifenden Prozesse «Eintritt», «Austritt » und «Übertritt von Lernenden» für das Generalsekretariat des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) mittels Gapp- Bridging BKM™ erhoben, abgestimmt und vereinfacht (Ist-, Analyse-, Visioning-, Soll- und Umsetzungsmodellierung gemäss Bild 2).

 

Dank der vom Prozessteam getragenen Erhebung und Analyse der Prozess (Phase 1 des Projekts) wurde eine organisatorische Klärung erreicht und gleichzeitig eine dokumentierte Wissensbasis geschaffen – in einer von Akzeptanz getragenen Arbeitsumgebung. Die Diskussion von Abläufen und Optimierungsmöglichkeiten führte zu einem tieferen Verständnis der Prozesse und auch der Anliegen der anderen Beteiligten und somit zu einer verbesserten Zusammenarbeit über Zuständigkeitsund Abteilungsgrenzen hinweg.

 

  • Im Sinne des Ganzen, zur Vereinfachung für den Prozesskunden, übernehmen Prozessrollenträger nun neue oder zusätzliche Aufgaben.
  • Entschlackung der Abläufe durch Beschränkung auf das aktuell Nötige unter Weglassung des früher Zweckdienlichen oder Üblichen.
  • Verständnis für das Handeln und die steuernden Sachzwänge der anderen Prozessrollenträger, wenn diese auch zu Beginn als «merkwürdig » wahrgenommen wurden.
  • Durch die Verbesserung der Abläufe und der Zusammenarbeit kann nun sichergestellt werden, dass für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch bei kurzen Fristen zwischen Einstellung und Arbeitsantritt rechtzeitig die benötigte Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden kann.

 

Gleichzeitig wurde mit der Prozessdokumentation (klassische Lösung in Form erweiterter Folgepläne unter Verwendung von Visio und Word) impliziertes zu explizitem Wissen und somit Transparenz und Nachvollziehbarkeit institutionalisiert.

Vom operativen zum Workflow-Modell

 

Die Varianten der drei Prozesse wurden IT-gestützt automatisiert (Phase 2): Insgesamt elf Workflows wurden auf der Microsoft SharePoint basierten Kollaborationsplattform aufgesetzt, eingeführt und geschult. Der Akzeptanz schaffende Transfer von den operativen Modellen zu Workflow- Modellen wurde durch ein adaptiertes Bildkartenmodell unterstützt.

 

Damit konnte das Automatisierungspotenzial ausgenutzt werden.

 

  • Die Workflow-Anwendung ermöglicht das Arbeiten mit einem durchgängigen System, verbunden mit der Integration und Nutzbarmachung individueller Datenbestände (gemeinsame Datenhaltung). Dies ermöglicht die wiederholte Verwendung von Daten (zum Beispiel Personalnummer, Name, Vorname etc.) für verschiedene Workflows. Einfache Plausibilisierung bei der Datenerfassung erhöht zudem die Datenqualität (spezifische Datenformate, Muss-/Kann-Daten). 
  • Gleichzeitig ist der Anwendung eine rollenspezifische Datensicht resp. Datenerfassung hinterlegt. (Es sind nur Daten sichtbar, die eine Rolle brauchen, es können nur Daten eingegeben werden, für die eine Rolle zuständig ist.)
  • Die Prozessqualität konnte gesteigert werden durch die nun automatisierte Benachrichtigung des nächsten Rollenträgers und den gleichfalls automatisierten Versand strukturierter Nachrichten mit Informationen an Drittstellen ausserhalb der Prozesse. Dabei kommen vor allem Gruppen-Mail-Adressen zum Tragen anstelle von personifizierten Adressen. Dies fördert die Idee des «Single-Point-of-Contact» und erleichtert die individuelle Arbeitsplanung (nicht noch umgeleitete Mails vom Stellzuvertretenden).
  • Durch eine simple grafische Fortschrittskontrolle einzelner Prozessinstanzen wird die Prozesssteuerung erleichtert, ohne bereits eine umfassende Prozessmessung eingeführt zu haben. Bereits gelebt wird die kontinuierliche Prozessverbesserung in Form regelmässiger Treffen der Super-User mit dem Prozesseigner. Dabei werden auch Verbesserungsanregungen der Prozessanwender beurteilt, die diese in einem in der Anwendung integrierten elektronischen Briefkasten unkompliziert deponieren können.

 

Lust auf Prozesse

 

  • Schlussendlich sind Nutzen und Möglichkeiten von Workflows auf der Kollaborationsplattform am praktischen Beispiel aufgezeigt und somit ist Lust auf mehr Prozessmanagement entsgestütztetanden.

IT-gestützte Automatisierung der Prozesse

 

Die Herausforderungen – besser die lösungsorientierten Lessons Learnt und der dadurch erzielte Mehrwert – des Schrittes vom Modell zu Automatisierung werden nachfolgend skizziert. Dabei bleiben die klassischen Herausforderungen des Projektmanagements ausgeklammert, vielmehr geht es fokussiert um die Schnittstelle Fachseite – IKT.

 

Verbunden mit dem Wechsel auf kürzere iterative Entwicklungsschlaufen (in Analogie zur agilen Entwicklung) und dem Einbezug der Prozessanwender beim Testen von Zwischenergebnissen (vorgezogene Anwendertests) wurde eine qualitative Verbesserung der Ergebnisse erreicht – nicht zuletzt durch Akzeptanz dank Beteiligung. Denn Prozessmodelle bleiben immer abstrakt. Mit einem Prototyp wird die Lösung greifbar und erlebbar. So wird schneller offensichtlich, was bei der Gestaltung unterging oder unausgesprochen als Selbstverständlichkeit angenommen wurde (Gefahr: mit der Anwendung kommt der Appetit).

 

Gleichzeitig erfolgte die Realisierung effizienter, weil divergierende Vorstellungen rascher zu Tage traten und im Dialog geklärt werden konnten: Was ist fachseitig wünschenswert und IT-technisch machbar, was war eigentlich gemeint? Zudem sank der Aufwand durch die gemeinsame Spezifikation anhand des Prototyps anstelle der aufwendigen individuellen Niederschrift als Dokument.

 

Mit der Erstellung eines auf die spezifischen IT-Bedürfnisse (Begrifflichkeit und Notation) abgestimmten Workflow-Modells basierend auf dem Prozessmodell wurde die Übersetzungsarbeit zwischen dem Geschäfts- Fokus und dem IT-Fokus ermöglicht (Akzeptanz durch Verstehen).

 

Aus diesem Transformationsschritt resultierte eine Erhöhung der Prozessqualität zum Beispiel durch eine schärfere Begriffsverwendung (Re

 

Geschäfts- und IT-Fokus

 

duktion von Synonymen), die verbindliche Definition «wer sieht was» und «wer bearbeitet was», die Optimierung des Datenbestandes (so wenig wie möglich, so viel wie nötig).

Fazit

 

Prozesserhebung und -gestaltung ist ein fundamentales Element des Prozessmanagements. Es wird nicht nur die inhaltlich sachliche Grundlage erarbeitet, es ist auch ein zentraler Begegnungsplatz, um Akzeptanz bei allen Betroffenen zu schaffen. Entscheidend ist, dass diese Chance durch eine Methodik genutzt wird, die Akzeptanz erlaubt und fördert.

 

Der Schritt vom Prozessmodell ITWorkflow hilft, das unbestrittene Potenzial der Prozessautomatisierung zu nutzen. Er verlangt zusätzlichen Effort und ein IT-kompatibles Prozessmodell, um die Geschäftssicht für die IT nachvollziehbar zu machen und somit die Basis für die Umsetzung von IT-gestützten Workflows zu schaffen. Er verlangt gleichfalls einen Effort auf Fachseite, um Verbindlichkeit und Präzision im Prozess zu schaffen – auch zum eigenen Vorteil. Mit einer MS SharePoint basierten Kollaborationsplattform ist es möglich, rasch einfache Prozesse als Workflows abzubilden und zeitnahe Workflow-Anpassungen, diktiert von einem volatilen Geschäftsumfeld, durchzuführen.

 

 

 

 

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