Organisationale Resilienz messen
Die Fähigkeit einer Organisation, mit Widrigkeiten und Rückschlägen erfolgreich umzugehen, wird als ihre Resilienz bezeichnet. Jedoch ist das Konzept relativ abstrakt. Eine Messung der Organisationalen Resilienz schafft Abhilfe. Durch einen Benchmark wird es möglich, praktische Konsequenzen zu erörtern und die Unternehmensfitness systematisch zu verbessern.
Auf Ebene des Individuums bedeutet Resilienz die Fähigkeit zur verbesserten emotionalen Regulierung und Impulskontrolle, zur vertieften Ursachenanalyse, den Glauben an Selbstwirksamkeit und zur Pflege und Aufbau von Empathie und individuellen Netzwerken. Organisationale Resilienz ist eine weitergreifende Systemresilienz und umfasst das selbstorganisierte Lernen zur Anpassung des Systems, gemeinhin hinsichtlich der Aspekte Diversität, Kreativität, Robustheit, Früherkennung sowie Ausdauer. Eine resiliente Organisation braucht wohl beides: Ein resilientes System und entsprechend gerüstete Individuen. Während man auf psychologische Instrumente für die individuelle Ebene zurückgreifen kann, gibt es auf der organisationalen Ebene weit weniger Tools.
Organisationale Resilienz erfassen
Obwohl Organisationale Resilienz schwer mess- und fassbar ist, hat es praktische Konsequenzen, wenn man eine Resilienzperspektive auf die Unternehmung wirft: Als Managementansatz bietet sich die ISO-Norm 22316 an, welche die grundsätzlichen Begriffe und Methoden beschreibt. Organisationale Resilienz wird hier anhand von neun Themen behandelt und mit einer Anleitung zum systematischen Management versehen. Leider bleibt die Norm als konkretes Management-Tool viel zu oberflächlich. Zur Autorengruppe der Norm gehörten auch neuseeländische Forschende, die an der Universität Auckland vor rund zehn Jahren das erste für Organisationale Resilienz ausreichend umfassende Konzept vorlegten. Sie taten dies vor dem Hintergrund der Krisenreaktion und -prävention neuseeländischer Naturkatastrophen, da insbesondere Erdbeben die regionale Wirtschaft mehrfach getroffen hatten. Das Konzept fusst auf den drei Eckkomponenten «Führung & Kultur», «Wandelbereitschaft» und «Netzwerke» (siehe Abbildung unten). Die entsprechenden Unterthemen je Komponente sind sehr unterschiedlich und pragmatisch zusammengesetzt, z.B. «Mitarbeitereinbindung», «Awareness» (Situationsbewusstsein), «Stresstests und Notfallpläne» oder auch «Silos überwinden » und «Wirksame Wissensnutzung».
Whitman und Kollegen ziehen hier den Interpretationsrahmen absichtlich sehr breit, um zu zeigen, wie sehr Resilienz als Systemfunktion zu verstehen ist, die jegliche Unterthemen von Organisationen und ihrem Management beeinflusst.
Instrumente zum Managen von Organisationaler Resilienz
Zum Modell entwickelten die Autoren auch ein erstes Benchmarking-Tool: Der «BRT 53» umfasst quantifizierende Fragebögen mit etwa 80 Frage-Items. So können die Antworten zu den Kategorien mittlerweile in grösseren Gruppen zusammengefasst und verglichen werden. Es liegen bei den Autoren umfangreiche Erhebungsdaten für unterschiedliche Organisationsgrössen vor, die für ein solches Benchmarking der Resilienzkompetenz verwendet werden können.
Führt man diese Umfrage unter allen Entscheidungsträgern der Organisation durch, so erhält man ein Gesamtbild, welches zur weiteren strategischen Steuerung der Organisation dienen kann.
Ein anderes, noch stärker auf die Unternehmensführung bezogenes Instrument zur Messung wäre der «Resilienzcheck» von Seidenschwarz/ Pedell (2011). Hier werden leitende Fragen formuliert, jedoch nicht als Benchmark konstruiert.
Die beiden Konzepte bieten also einen umfangreichen Fragenkatalog zur Erfassung resilienzrelevanter Aspekte in Unternehmen. Sie heben die Wichtigkeit vielfältiger Umgebungsfaktoren hervor, die zu kritischen Situationen führen können. Keins der Konzepte würde jedoch ein robustes Konzept zum Krisenmanagement ablehnen, jedoch sind diese für sich allein nicht hinreichend. Der Resilienzbenchmark fällt durch eine gewisse pragmatische Oberflächlichkeit auf. Hier drohen theoretische Verkürzungen, da die Abhandlungen zum Hochzuverlässigkeits- und Sicherheitsmanagement massgeblich auf ein tiefergehendes organisationspsychologisches Verständnis zurückgehen. Dies sollte man bei der Interpretation von Auswertungen stets berücksichtigen.
Ein angepasstes Modell für Schweizer Unternehmen
Für Schweizer oder deutschsprachige Unternehmen gab es bislang kein spezielles Modell. Der Resilienzcheck ist nicht ausreichend operationalisiert und der BRT-53 Benchmark ist zu umfangreich und zudem durch das Englische nicht ganz hürdenlos anzuwenden. An der Hochschule Luzern wurde er übersetzt und entscheidend gekürzt. Eine Anwendung ist nun in 15 Minuten pro Fragebogen durchführbar. Zudem wurde ein Excel-Tool zur Auswertung erstellt. Hier können die Ergebnisse der Befragten effizient zusammengeführt werden. Als Resultat werden die Ergebnisse in einem Spinnendiagramm abgebildet. Der umfassende Überblick lässt erkennen, wo das Resilienzprofil der Unternehmung Schwächen enthält.
Ein Beispiel verdeutlicht diese Analysefähigkeit. Es beruht aus Vertraulichkeitsgründen auf mehreren durchgeführten Benchmarks im Dienstleistungsbereich bei Unternehmen bis 120 Pereonen. Hier wurden mit den Führungscrews im Rahmen ihrer Management- Retraites die Fragebögen ausgefüllt, anschliessend zusammengeführt, ausgewertet und gemeinsam diskutiert. Das abgebildete Spinnendiagramm (siehe Abbildung oben) verrät auf den zweiten Blick zwei entscheidende Details.
Das Spinnendiagramm zeigt auf einer prozentualen Skala an, dass der Bereich «Führung und Kultur» am besten bewertet wird. Insbesondere das Situationsbewusstsein wird positiv beurteilt, aber auch die Bereiche «Innovation & Kreativität» sowie die «Entscheidungsfindung ». Nun sind sich Geschäftsleitungen im Rahmen ihrer Retraites in der Regel sehr bewusst, dass Dinge entschieden werden müssen und dass das Geschäft nicht von selbst läuft. Dies könnte eine Verzerrung sein, aber dennoch sind diese Werte sehr ausgeprägt. Am geringsten wird die Mitarbeitereinbindung bewertet. Ein Wert, der aufhorchen lässt. Zwar sind 70% nicht schlecht, aber alles andere hier wird besser bewertet. Dahinter stecken die Items zur Motivation und zum Engagement der Mitarbeitenden, welche beide verbesserungswürdig erscheinen, aus Sicht der Managenden.
Im Bereich Veränderungsbereitschaft werden weit weniger hohe Werte angegeben. Insbesondere der Teil «Belastungstest von (Notfall-)Plänen» schneidet schlecht ab. Warum ist das so? Vermutlich jeder Mitarbeiter hat erfahren, was eine Evakuierungsübung bedeutet. Und wer an der Evaluation einer solchen bereits mitgewirkt hat, dem ist klar, dass hier nie genug geübt werden kann. Allerdings sind solche Übungen aufwendig und letztlich sehr teuer, sodass Unternehmen hier quasi nie vollkommen à jour sein können.
Im Bereich «Netzwerke und Partnerschaften » schliesslich werden die Partnerschaften selber und auch abteilungsübergreifende Arbeiten weit positiver beurteilt als die Verteilung der internen Ressourcen und des Wissenstransfers. Hinter diesen beiden Themen stecken die ausreichenden Finanzen und die Abhängigkeit von Schlüsselpersonen. Alle Organisationen sind besorgt über ihre Liquidität und sehen hier einen Dauermangel durch die Abhängigkeit von Schlüsselpersonen. In den Diskussionen ergab sich, dass die Schlüsselpersonen in den Governance-Gremien der Organisation verortet wurden, nicht aber im mittleren Management. Allerdings gilt auch hier: Die Unternehmensbasis wurde nicht befragt. Sie könnte die Dinge natürlich wiederum anders einschätzen.
Mit den Ergebnissen ist es nun möglich, in der Gesamtschau Massnahmen zu entwickeln, zu priorisieren und zu argumentieren. Beispielsweise mag man die Mitarbeitereinbindung fördern wollen, müsste aber zur Resilienzsteigerung eigentlich vorerst die Beübung der Notfallpläne fördern und an flacheren hierarchischen Strukturen arbeiten, sollte dies denn seitens der Eigentümer überhaupt erwünscht sein.
Schlussfolgerungen
In diesem Beitrag ist deutlich geworden, dass zur Steigerung der Systemresilienz zumindest zwei Ebenen gleichermassen berücksichtigt werden müssen: die individuelle und die Organisationale. Auf beiden Ebenen stehen gewisse Instrumente zur Verfügung, wobei sich dies im Fall der Organisationalen Resilienz noch weiter entwickeln muss. Die ISO-Norm reicht dazu nicht aus. Die Systemresilienz kann systematisch gesteigert werden, wenn die verschiedenen Aktivitäten eines Zusammenhangs modelliert und analysiert werden. Hier bietet sich unser Modell zum Benchmarking für Schweizer Unternehmen an.