«Ökologische und soziale Risiken miteinbeziehen»

Peter Bakker ist Präsident des Unternehmerverbandes World Business Council for Sustainable Development (WBCSD), der sich global für eine nachhaltige Wirtschaft einsetzt. Anfang Oktober sprach Bakker an einem Anlass seines Schweizer Netzwerkpartners Öbu über die Trends in der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Im Interview erklärt er, warum die Risikoanalysen der Firmen in Zukunft vermehrt auch ökologische und soziale Risiken betrachten müssen.

«Ökologische und soziale Risiken miteinbeziehen»

 

 

 

Herr Bakker, wenn Sie einen Nachhaltigkeitsbericht über sich selbst schreiben müssten, was stünde da drin?

 

Wenn ich das tatsächlich müsste, würde ich sicher meine Flugmeilen erwähnen. Ich bin in meiner Funktion als Präsident des WBCSD sehr oft global unterwegs und fliege für eine Veranstaltung auch mal rund um die Welt. Meine CO2-Emissionen sind also sehr wesentlich. Ein zweiter wesentlicher Punkt sind die sozialen Auswirkungen meines Tuns. Was bedeutet meine Abwesenheit für meine Familie? In der Folge stelle ich mir die Frage: Kann ich dieses Ausmass an Emissionen und Abwesenheit mit meiner Tätigkeit rechtfertigen? Dadurch kommen wir zu einem aktuellen Problem, nämlich, wie ich die Auswirkungen meines Tuns messe. Diese Messbarkeit ist besonders bei sozialen Faktoren noch nicht gegeben.

Was heisst das für die Unternehmen?

 

Die haben genau dasselbe Problem. Die finanziellen Kennzahlen, die Ausmasse finanzieller Risiken sind genau definiert und die Berichterstattung darüber ist etabliert. Auch das Naturkapital lässt sich mittlerweile relativ gut messen. Doch beim sozialen Kapital, bei den Mitarbeitenden und den Menschen entlang der ganzen Wertschöpfungskette, da hinken wir noch hinterher.

Wo liegen bei der Berichterstattung die Unterschiede zwischen kleinen und grossen Unternehmen?

 

Grundsätzlich ist die Notwendigkeit, einen Nachhaltigkeitsbericht zu schreiben, für jedes Unternehmen, egal welcher Grösse, dieselbe. Denn sowohl kleine als auch grosse Unternehmen haben Vor- und Nachteile. Die grossen haben zwar mehr Kapazitäten, um einen Nachhaltigkeitsbericht zu schreiben. Dafür ist ihre Wertschöpfungskette viel komplexer und schwieriger zu kontrollieren als bei den kleinen. Diese wiederum klagen darüber, dass sie keine Ressourcen haben, einen Nachhaltigkeitsbericht zu schreiben. Doch über kurz oder lang werden sich alle Unternehmen dieser Sache annehmen müssen. Denn wenn Grosskonzerne über ihre Wertschöpfungskette berichten, werden die kleineren Unternehmen, welche vielleicht Teil dieser Kette sind, die wesentlichen Zahlen schliesslich ebenfalls erheben müssen. Wichtig ist dabei, Mass zu halten: Ein KMU muss nicht über 40 verschiedene Themen berichten, vielleicht reichen fünf bis zehn Indikatoren, um die Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt zu beschreiben.

Was sind die aktuellen Trends in der Nachhaltigkeitsberichterstattung?

 

Die Szene entwickelt sich rasant. Der externe Druck auf die Unternehmen, zum Beispiel durch die Klimaerwärmung und die Erschöpfung unserer Ressourcen, wächst. Das Problem ist nur, dass wir bisher noch keine optimale Sprache haben, um über die Auswirkungen von Unternehmen zu berichten. Dafür müssen wir sinnvolle Standards entwickeln, um die Vergleichbarkeit der Berichterstattung zu erreichen. Da es aber bereits mehrere Standards wie GRI (Global Reporting Initiative), SASB (Sustainability Accounting Standards Board) oder IIRC (International Integrated Reporting Council) gibt, müssen wir den Unternehmen hier Unterstützung anbieten. Es muss klar sein, welche Standards sich für welches Unternehmen eignen. Deshalb ist der WBCSD derzeit daran, eine Entscheidungsgrundlage dafür zu entwickeln.

Ein weiterer Trend ist, dass die integrierte Berichterstattung an Bedeutung gewinnt. Warum ist das so?

 

Die Trennung von finanziellem Geschäftsbericht und nicht-finanziellem Nachhaltigkeitsreporting ist bereits im Ansatz falsch. Denn die Entscheidungen, die ein Unternehmen trifft, sollten sowohl finanzielle, ökologische als auch soziale Aspekte miteinbeziehen.

Die Risikoanalyse bezieht sich heute aber bei den meisten Unternehmen nur auf finanzielle Risiken.

 

Genau, so wie der Aktienkurs eines Unternehmens auf den finanziellen Resultaten basiert. Das heisst also, dass diese Trennung nicht nur bei der Berichterstattung aufgehoben werden muss, sondern in der Unternehmensführung allgemein. Unternehmen müssen ihre Art, wie sie heute ihre Entscheidungen treffen, grundsätzlich ändern.

Können Sie aktuelle Beispiele nennen, wo soziale und ökologische Risiken für ein Unternehmen eine grosse Rolle spielen?

 

Denken Sie mal an Ebola. Wer weiss, vielleicht breitet sich das Ebolavirus auch in Europa aus und wird zu einer Epidemie. Was bedeutet es für eine Fabrik, wenn plötzlich die Hälfte der Mitarbeitenden ausfällt? Oder nehmen wir das Beispiel Klimaveränderung. In Regionen, die bisher eher trocken waren, fällt plötzlich viel mehr Regen, es gibt vermehrt Schlammlawinen. Fabriken werden beschädigt oder zerstört. Diese Art von Risiken muss ein Unternehmen wahrnehmen und verstehen lernen. Die Risikoanalyse sollte also vermehrt auch Fragen zu sozialen und ökologischen Faktoren stellen. So kann ein Unternehmen bessere Entscheidungen treffen, seine Auswirkungen besser analysieren und messen und schliesslich auch besser über die Auswirkungen des eigenen Tuns berichten

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