Nutri-Score: Die Lebensmittelampel
Über den Sinn und Nutzen dieser Deklaration gibt es geteilte Ansichten. Was steckt also hinter diesem Nutri-Score? Ein fünfstufiges Skalasystem hilft dabei, Produkte, die auf den ersten Blick gleich erscheinen, miteinander zu vergleichen.
Das Nutri-Score-System kommt ursprünglich aus Frankreich. Das System dient zur Kennzeichnung des Nährwertprofils eines Lebensmittels. Auf der Verpackung von Produkten ist zu diesem Zweck eine fünfstufige Skala zu sehen, bestehend aus Buchstaben (von A bis E) und Farben (Dunkelgrün, Hellgrün, Gelb, Orange und Rot). Hinter der Kennzeichnung steht die Anwendung eines Berechnungsalgorithmus, der dazu dient, die Vor- oder Nachteile des Nährstoffprofils eines Lebensmittels in einer Gesamtbewertung darzustellen. Das ermöglicht den Verbrauchern zu entscheiden, welches Produkt besser für die Ernährung ist. Zu betonen ist, dass der Nutri-Score nur zur Vergleichbarkeit innerhalb derselben Kategorie dient und keine globalen Aussagen über die Gesundheit einer Gesamternährung erlaubt. Daher bedeutet ein Einkauf von ausschliesslich «grün» bewerteten Produkten nicht zwangsläufig eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Grün ist nicht automatisch ein gesundes Produkt und Rot ist nicht verboten.
Wie funktioniert der Nutri-Score?
Die Berechnung des Nutri-Scores erfolgt auf 100-Gramm-Basis:
- Dabei bekommen als positiv bewertete Nährstoffe und Inhaltsstoffe (Eiweiss, Ballaststoffe, Obst, Gemüse) Negativpunkte.
- Als negativ bewertete Nährstoffe und Zutaten (Energie, gesättigte Fettsäuren, Zucker, Salz) bekommen Positivpunkte. Beides wird miteinander verrechnet, je niedriger die Gesamtpunktzahl, desto höher die Gesamtbewertung.
Der Nutri-Score dient nicht als Leitfaden für eine ausgewogene Ernährung und ersetzt nicht die Lebensmittelpyramide, wie sie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) empfiehlt. Eine ausgewogene Ernährung erfordert eine Vielfalt an Lebensmitteln in den empfohlenen Mengen und in angemessenen Verhältnissen. Ausser dem Nutri-Score sind auch andere Tabellen auf den Produktverpackungen vorhanden. Diese sind zwar nicht so leicht zu lesen, bieten aber trotzdem mehr Informationen als der Nutri-Score allein. Der Nutri-Score ersetzt also nicht die bisherigen Angaben, sondern dient als zusätzliche Information und Hilfestellung.
Kritik am Nutri-Score
Viele Hersteller nutzen die Kennzeichnung noch nicht. Am meisten kritisiert den Nutri-Score der Verein Foodwatch. Für Foodwatch ist es ein Problem, dass so eine Kennzeichnung die Entscheidungen der Verbraucher manipuliere und dazu beitrage, dass die Menschen sich nicht mehr gut ernähren. Wissenschaftler haben aber gezeigt, dass Nährwertkennzeichnungen auf Lebensmittelverpackungen in Form von Ampelfarben auf der Vorderseite der Verpackung am leichtesten verständlich sind. Solche Kennzeichnungen können dazu beitragen, dass Menschen gesündere Einkaufsentscheidungen treffen. Aufgrund dieser Erkenntnisse haben Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorganisationen seit geraumer Zeit die Einführung einer Lebensmittelampel gefordert. Die Umsetzung einer europaweiten verpflichtenden Ampel stiess jedoch 2010 auf erheblichen Widerstand seitens der Lebensmittelindustrie. Seit 2017 hat sich der Nutri-Score, ausgehend von Frankreich, in Europa verbreitet. Neben Frankreich wird dieses Modell in Ländern wie Belgien, Deutschland, Spanien, den Niederlanden, der Schweiz und Luxemburg als freiwillige Kennzeichnung empfohlen. Andere Länder prüfen ebenfalls die Einführung des Nutri-Scores. Um sicherzustellen, dass der Nutri-Score effektiv dazu beiträgt, die Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher zu verbessern, ist eine freiwillige Kennzeichnung allein nicht ausreichend. Foodwatch setzt sich daher dafür ein, dass in der gesamten Europäischen Union eine verbindliche Kennzeichnung von Lebensmitteln mit dem Nutri-Score eingeführt wird.
Weiterentwicklung des Nutri-Scores
Zu Beginn des Jahres 2021 haben europäische Staaten, die am Nutri-Score interessiert sind oder bereits daran teilnehmen, gemeinsame Schritte unternommen. Ihr Ziel ist es, die Verwendung des Nutri-Scores in ganz Europa einheitlich zu gestalten und die Berechnungsmethoden auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu stützen.
Im Sommer 2021 haben ein Lenkungsausschuss in Deutschland und ein wissenschaftliches Gremium die Öffentlichkeit aufgerufen, Vorschläge zur Weiterentwicklung des Nutri-Score-Algorithmus einzureichen. Ziel dieser Initiative war es, dass die COEN (Countries officially engaged in Nutri-Score) aus verschiedenen Meinungen bemerkt, wo und wie der Nutri-Score weiterentwickelt werden kann. Im Juli 2022 kam der erste Vorschlag zum Anpassen von Nutri-Score für die Kategorie «Feste Lebensmittel». Der zweite Vorschlag kam im März 2023 für die Kategorie «Getränke». Die Anpassungen am Nutri-Score berücksichtigen die jeweiligen landesspezifischen Ernährungsempfehlungen besser. Dies hat dazu beigetragen, einen Kritikpunkt am bisherigen Algorithmus zu beheben.
Der neue Algorithmus
Die Behörden in der Schweiz, Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden und Spanien haben sich auf eine koordinierte Einführung des überarbeiteten Algorithmus geeinigt. Ab dem 31. Dezember 2023 werden deutsche Unternehmen den aktualisierten Algorithmus zur Kennzeichnung ihrer Lebensmittel verwenden können. Für Produkte, die vor der Einführung des überarbeiteten Algorithmus hergestellt und bereits mit dem Nutri-Score-Logo versehen wurden, gilt eine Übergangsfrist von 24 Monaten, in der die Kennzeichnung auf den neuen Algorithmus umgestellt werden kann. In der Schweiz zuständig für die Informationen zum Nutri-Score und dessen Einführung ist das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.
Imagegewinn dank Nutri-Score
Der Nutri-Score ist sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance für die Hersteller. Wer den Nutri-Score auf den Produkten nutzt, gewinnt in der Kundengunst. Der Nutri-Score beeinflusst allmählich auch das Kaufverhalten von Kunden. Das ist eine Chance für die Hersteller, die Attraktivität von Produkten zu erhöhen und ein grösseres Interesse zu wecken. Doch die Herausforderung besteht darin: Was geschieht, wenn nicht alle Produkte mit dem Nutri-Score ausgezeichnet sind? Die Produkte ohne Nutri-Score könnten in der Verbrauchergunst sinken und an Image verlieren. Möglicherweise würden die Kunden mittelfristig erwarten, den Score auf den Produkten zu finden, erklärte etwa Alexander Holst, Experte der Beratungsfirma Accenture, gegenüber der «Lebensmittel Zeitung» im Januar 2020. Ein fehlender Nutri-Score könnte sich dann sogar schlechter auswirken als ein ungünstiger Nutri-Score.
Das Nutri-Score-Label eröffnet Herstellern die Möglichkeit, Produkte anzupassen, um eine bessere Bewertung zu erhalten, während sie den Geschmack und die Vorlieben der Verbraucher berücksichtigen. Die Sensorikforschung spielt eine entscheidende Rolle, indem sie effiziente Tests und spezielle Untersuchungsmethoden entwickelt, um die optimale Produktvariation zu finden. Das Institut für Sensorikforschung und Innovation in Göttingen (Isi) ist darauf spezialisiert und bietet Unterstützung bei der Reformulierung von Produkten, wobei moderne Tests und langjährige Erfahrung zum Einsatz kommen.
Isi-Managing-Director Robert Möslein erklärte in einem Interview (Institut für Sensorikforschung und Innovation), wie die Reformulierung der Produkte für Nutri-Score abläuft und welche Tests zum Einsatz kommen. «Ist es überhaupt möglich, jedes Produkt so zu verändern, dass es sich auf dem Nutri-Score verbessert?» Bei dieser Frage antwortete Robert Möslein so: «Bei manchen Produkten, etwa Süssigkeiten, wird das vielleicht keinen Sinn machen, aber eine grosse Zahl von Produkten – von Säften bis zu Fertigprodukten – kann durch gezielte Änderungen in der Rezeptur Sprünge auf dem Nutri-Score machen. Viele Unternehmen reduzieren bereits den Zuckergehalt in ihren Produkten.» Ein konkretes Beispiel des Nutri-Scores wäre dann dieses, wie Robert Möslein erklärt: «Ein Hersteller möchte den Nutri-Score seiner Pizza verbessern. Das ist beispielsweise möglich, indem er weniger Salz im Teig oder Belag verwendet, Mozzarella und Milchpulver mit weniger Fettgehalt nutzt, Zucker reduziert und Margarine durch Olivenöl ersetzt. Nimmt man die Originalpizza mit hinzu, würde dieses Beispiel zu 4×3×3×3 = 48 Pizzavarianten führen. Das sind zu viele, um sie alle gegeneinander zu testen. Mithilfe des Design-of-Experiment-Ansatzes können wir diese Zahl jedoch auf ein Minimum reduzieren und dank eines intelligenten Algorithmus trotzdem später mit den Ergebnissen der sensorischen Tests Rückschlüsse auf alle 48 Kombinationen ziehen. Schliesslich schicken wir 12 Pizzavarianten ins Rennen.»
Die Datenanalyse zeige dann, welche Veränderungen das sensorische Profil der Pizza auf welche Art beeinflussen. Inhaltsstoffe, die das sensorische Profil kaum oder gar nicht beeinflussen, werden dann gute Kandidaten sein, um den Nutri-Score zu verbessern, ohne den Geschmack zu beeinträchtigen. «Die Pizzen mit der vielversprechendsten neuen Rezeptur lassen wir dann in einer Blindverkostung testen», so Möslein.
Der Nutri-Score dient also nicht nur dazu, Konsumentinnen und Konsumenten für eine ausgewogene Ernährung zu sensibilisieren. Lebensmittelhersteller setzen dieses Instrument auch ein, um die Qualität ihrer Produkte zu verbessern und sie auf diese Weise für die Kundschaft attraktiver zu machen – weil sie dann geschmacklich «besser» und womöglich auch «gesünder» sind.
Autorin:
Adelisa Salaji Kalajdzini ist Trainee als Redaktorin bei Galledia Fachmedien AG. www.galledia.ch