Normative Managementsysteme migrieren

Normative Managementsysteme sind auch im deutschsprachigen Raum über alle Branchen und Unternehmensgrössen hinweg weit verbreitet. 2015 waren zum Beispiel 52 995 deutsche Unternehmen nach DIN EN ISO 9001:2008 zertifiziert. Die Zertifizierungen nehmen seit der Erstauflage der Norm 1987 stetig zu. Auch in Zukunft ist von einer steigenden Anzahl an Unternehmen auszugehen, die ein Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9001 einführen und betreiben [1]. Ein Forschungsprojekt der RWTH Aachen zeigt ein KMU-gerechtes Gestaltungsmodell.

Normative Managementsysteme  migrieren

 

 

 

Die erste Version der DIN EN ISO 9001 er-schien 1987 mit dem Ziel, Qualitätsmanage-ment in Unternehmen nachzuweisen und vertraglich festzuschreiben. Deutsche Unter-nehmen befürchteten zunächst eine Abwer-tung des «Made in Germany»-Gütesiegels so-wie eine Dokumentationsflut. Nach Einfüh-rung der Norm übernahm Deutschland je-doch mit der Zeit eine Vorreiterrolle. 1994, 2000, 2008 und zuletzt 2015 folgten Über­ arbeitungen der Norm. Die aktuellste Version wurde im September 2015 als DIN EN ISO 9001:2015 veröffentlicht. [1]

 

Damit Unternehmen keinen Zertifi-katsverlust erleiden, müssen sie sich bis Sep-tember 2018 nach der neuen Norm rezertifi-zieren lassen. Die Anpassung des QMS an die neuen Anforderungen stellt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen aufgrund fehlender personeller Ressourcen und Um-setzungskompetenzen vor grosse Herausfor-derungen. Externe Beratungsangebote haben jedoch – neben den damit eingehenden di-rekten Beratungskosten – den Nachteil, dass die individuelle Organisation der Unterneh-men bei der Umsetzung neuer Anforderun-gen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Infolge der ISO-9001-Revision im Jahr 2000 verloren zahlreiche Unternehmen ihre Zerti-fizierung, was auf eine unzureichende An-passung des QMS an die geänderten Anforde-rungen schliessen lässt [1].

Mit wenig Aufwand anpassen
Im Rahmen des Forschungsprojekts «KMU Move – KMU-gerechtes Gestaltungsmodell zur systematischen Migration von normati-ven Qualitätsmanagementsystemen» wird am Beispiel der ISO-9001-Revision eine allge-meingültige systematische Vorgehensweise zur Überführung von zertifizierungsfähigen Managementsystemen entwickelt. Damit soll es KMU ermöglicht werden, ihre Manage-mentsysteme eigenständig, aufwandsarm und normgerecht anzupassen. Dabei wird zum einen Migrationswissen aufbereitet, wel-ches den Zusammenhang zwischen normati-ven Anforderungen und unternehmensinter-nen Gestaltungsparametern (Prozesse, Doku-mente etc.) darstellt. Dieses Wissen unter-stützt KMU beim Aufbau entsprechender In-terpretations- und Umsetzungskompetenzen. Zum anderen wird eine generische Vorge-hensweise zur Anpassung des QMS auf Basis normativer Änderungen entwickelt. Diese be-inhaltet konkrete Vorgehensbausteine, welche KMU die Möglichkeit bieten, eine Anpassung des QMS systematisch und damit unter Scho-nung personeller Ressourcen zu planen und umzusetzen.

 

Die Migrationssystematik wird zusam-men mit geeigneten Werkzeugen in einem Wiki implementiert. Dabei dient das Wiki nicht nur zur Darstellung des Leitfadens, son-dern soll auch den Erfahrungsaustausch von Unternehmen fördern. Die Umsetzung der Forschungsergebnisse in Form eines Wikis ermöglicht interorganisationales Lernen und Benchmarking zur Identifikation von Best Practices in KMU. Zunächst steht das Wiki den Unternehmen des projektbegleitenden Ausschusses zur Verfügung, um den Leitfa-den zu nutzen; nach Abschluss des Projekts wird das Wiki auch öffentlich zugänglich ge-macht. Durch den Austausch von Erfahrun-gen auf der Wiki-Plattform kann eine ge-meinsame iterative Optimierung der Vorge-hensweise vorangetrieben werden.

Vier Phasen
Die Methodik für die Migration von normati-ven Managementsystemen in KMU am Bei-spiel der ISO 9001 gliedert sich in vier Phasen: Analyse-, Konzept-, Implementierungs- und Anwendungsphase. Die Analysephase be­ inhaltet die systematische Ableitung der Un-terschiede in den Anforderungen der ISO 9001:2008 und der ISO 9001:2015. Es werden die bestehenden Anforderungen an das aktuel-le QMS den neuen Anforderungen an das zu verändernde System gegenübergestellt. Die identifizierten Unterschiede müssen visuali-siert und aufbereitet werden, um Unterneh-men die Möglichkeit zur Information und zum Austausch über neue Anforderungen und An-sätze zu deren Umsetzung zu geben. Die Ergeb-nisse werden in das Wiki überführt und somit KMU zur Verfügung gestellt.

 

Die Konzeptphase umfasst die Ent-wicklung eines generischen Vorgehensmo-dells durch Erforschung von Wissen, Metho-den und Werkzeugen zur Migration von Ma-nagementsystemen am Beispiel der ISO 9001, um KMU beim Aufbau entsprechender Inter-pretations- und Umsetzungskompetenzen zu unterstützen. Der Aufbau orientiert sich dabei an der Struktur, die auf Basis des Ver-gleichs allgemeiner Managementsysteme identifiziert wurde. Prozesse zu migrieren bedeutet konkret, neue Prozessspezifikatio-nen zu implementieren und/oder bestehen-de Prozesse hinsichtlich ihrer sachlogischen Abläufe umzustrukturieren sowie inhaltliche Beschreibungen von Prozessen, ihrer Schnitt-stellen und aufbauorganisatorischen Veran-kerung anzupassen. Dabei werden Migrati-onswerkzeuge identifiziert, die Bestandteil des QMS-Migrationsmodells sind, und deren Notwendigkeit durch die aktuell anstehende ISO-9001-Revision motiviert wird. Der ent-wickelte Prozess zur Migration sowie not-wendige Werkzeuge werden in das Wiki inte-griert und dienen als Informationsquelle für Unternehmen. Für zukünftige Revisionen ist anzunehmen, dass weitere Werkzeuge und Inventare für die gezielte Migration von Ma-nagementsystemen erforderlich sein werden. Bestehende Werkzeuge und Inventare lassen sich im Wiki jederzeit ergänzen und anpas-sen, sodass das zu entwickelnde Gestaltungs-modell auch für zukünftige QMS-Migratio-nen anwendbar bleibt.

 

Die Implementierungsphase dient da-zu, den im Wiki konzeptionierten Migrati-onsprozess in KMU zu implementieren. Für die Anpassung des Managementsystems soll-ten neben der Überprüfung und Schaffung geeigneter Organisationsstrukturen auch re-alistische Ziele definiert und entsprechende Prozesse eingerichtet werden. Ausserdem ist im Besonderen darauf zu achten, dass die Mitarbeiter, gegebenenfalls in Form eines «Changeprojektes», an die Neuerungen her-angeführt und für die neue Arbeitsform moti-viert werden.

 

Die Anwendungsphase umfasst im Wesentlichen die nachhaltige Aktualisierung des Wikis. Für den Erfolg des Systems ist ent-scheidend, dass die normgerechten Informa-tionen und Daten stets aktuell und verlässlich sind. Die Informationsqualität spielt dabei eine wesentliche Rolle, und das Wissen sollte adressaten-gerecht abgelegt sowie zugäng-lich sein. Der Fokus dieser Phase liegt auf der kontinuierlichen Verbesserung, um einer Mi-gration bei erneuten Veränderungen stets be-gegnen zu können.

Wissen managen dank Wiki
Die Herausforderung, der kleine und mittlere Unternehmen (KMU) begegnen, besteht dar-in, Managementsysteme im Falle sich än-dernder normativer Anforderungen anzu-passen. Im Gegensatz zu einer kontinuierli-chen Pflege von Managementsystemen wird unter dessen Migration eine grundlegende Überarbeitung und Neuausrichtung auf-grund externer Veränderung von Anforde-rungen verstanden. Mit der technischen Um-setzung in einem Wiki besteht die Möglich-keit, Wissen, Vorgehensweisen und Werk-zeuge für alle Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Ausserdem werden zukünftige Mi­ grationen weiterer Managementsysteme durch interorganisationalen Austausch zu neuen Anforderungen ermöglicht.

 

Initiatoren des Forschungsprojekts sind das Fraunhofer-Institut für Produktionstech-nologie IPT und das Werkzeugmaschinen­ labor WZL der RWTH Aachen. Betreut wird es von der FQS-Forschungsgemeinschaft
Qualität e. V.

 

 

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