Neues Denken und Handeln

Kein Experte für Mitarbeiter- und Unternehmensführung erzeugt nur annähernd so viel Aufmerksamkeit wie er. «Deutschlands meistgelesener Managementautor» (Der Spiegel) Reinhard K. Sprenger ist 60 geworden. Aus diesem Anlass hat ihm der Campus Verlag ein Buch gewidmet – mit den wichtigsten Ideen und Passagen aus seinen Werken.

Neues Denken und Handeln

 

 

 

Mit «Mythos Motivation» hatte es 1991 begonnen. Darin entlarvte der promovierte Philosoph Reinhard K. Sprenger die damals (und heute noch) gängigen Tricks und Kniffe zur Mitarbeitermotivierung als das, was sie tatsächlich sind: subtile Formen des Misstrauens und der Manipulation. Statt der erhofften Effekte zu höherer Leistung führen sie über kurz oder lang in die Sackgasse der Demotivierung. Über Nacht wurde das Buch zum Bestseller. Inzwischen ist der Klassiker in der 19. Auflage erschienen und, wenn man an Themen wie Boni und Gehaltsmanagement denkt, so aktuell wie vor 22 Jahren.

Wer sitzt am Steuer?

 

Sprengers Denken kreist um einen elementaren Begriff von «Freiheit». Und der geht über alle «äusseren» rechtlichen, sozialen und politischen Umstände hinaus. Gemeint sind die Autonomie und die Selbstbestimmung jedes Einzelnen: Die «innere» Freiheit jedes Individuums bestehe darin, die eigenen Möglichkeiten zu nutzen, um auszuwählen. In dieser «Wahlfreiheit» gründet seine Individualität. Sprenger: «Er setzt sich ans Steuer seines Lebensautos und entscheidet bewusst, wohin sein Leben führt.»

 

Sprenger macht klar: Diese Wahlfreiheit besteht auch dann, wenn all die Zwänge und Widrigkeiten, mit denen wir privat und beruflich tagtäglich konfrontiert sind, dagegen sprechen. Sätze wie «Ich hatte doch damals keine andere Wahl» lässt er nicht gelten. Sein klares

 

Es gibt keine Sachzwänge

 

Credo lautet: «Es gibt keine Sachzwänge!» Die Opferrolle, in die wir gern schlüpfen, bringt uns nicht weiter. Ob es uns gefällt oder nicht, die Lebensumstände, als deren Opfer wir uns fühlen, sind die Folge von Entscheidungen, die wir einmal getroffen haben. Wir mögen die Konsequenzen beklagen, aber wir hatten die Wahl – und können, wenn wir wirklich wollen, die eingetretene Misere auch wieder abwählen. Dafür müssen wir einen Preis bezahlen. Wie hoch er ist, darüber entscheiden nur wir selbst.

 

Das gilt selbst für das heikle Problem der Arbeitslosigkeit. Sprenger stellt die Klage in Frage, wen es trifft, sei nur «Spielball des Arbeitsmarktes», Opfer eines unfähigen Managements oder des gnadenlosen Wettbewerbs. Stattdessen sollten sich die Betroffenen fragen: «Wer hat sich dieses Unternehmen ausgesucht? Wer hat damals die Alternativen ausgeschlagen? Wer hat sich für diesen Job entschieden? Wer hoffte trotz Warnsignalen auf bessere Zeiten? Was wurde unternommen, um Alternativen vorzubereiten, sich fortzubilden, die Qualifikation zu erweitern?»

 

Natürlich, so Sprenger, sollte die Gesellschaft alles unternehmen, um den Menschen ein Leben in Würde, also mit sinnvollen Arbeitsmöglichkeiten, zu eröffnen. Aus Sicht des Einzelnen aber gelte: «Jammern hilft nicht!» Nach den Regeln unseres Wirtschaftssystems habe ein Angestellter die Möglichkeit mitgewählt, vom Unternehmen versetzt, befördert oder entlassen zu werden. Wer in ein Unternehmen eintritt, hat sich für diese «Fremdbestimmung» entschieden – ob gut oder schlecht, es hat seinen Preis. Genauso, wenn einer die Seiten wechselt und sich selbstständig macht. Hier wählt er andere Risiken.

 

Sprenger lotet höchst sensibel das ganze Feld der Arbeitslosigkeit aus. In manchen Passagen hat man den Eindruck, da sei ein Vordenker der «Agenda 2010» am Werk. Dennoch macht er Mut für die Zukunft – mit dem Leitsatz: «Wenn Sie die Verantwortung für Ihre Arbeitslosigkeit nicht übernehmen, übernehmen Sie auch nicht die Verantwortung für den Neubeginn.» Man sollte weder den Politikern noch den Unternehmern mehr vertrauen als sich selbst. Wer die Verantwortung von sich auf andere abwälze, lasse auch sein Leben von anderen leben. Und verpasse die Chance, die Kraft für einen Neubeginn zu finden. Viel praktischer sei es, sich zu fragen: «Was kann ich jetzt tun? Was sind meine Handlungsmöglichkeiten?»

 

Jeder hat die Wahlfreiheit. Sprenger erinnert daran, dass statistisch gesehen mehr Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber verlassen als umgekehrt. Wer seinen Chef oder die Firma abgewählt hat, spürt das Gefühl der Befreiung – «als würden Sie das Licht anknipsen». Denn er hat sich die Freiheit genommen, zu wählen und zu handeln – und so die Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.

Selbstbestimmt leben

 

«Nur Freiheit macht verantwortlich», lautet ein weiterer Schlüsselsatz in Sprengers Denken. Im «Reich der Selbstbestimmung» sitzen nicht mehr «die anderen», sondern jeder selbst am Steuer seines Lebensautos. Er hat die Kontrolle über sein Leben, er geht seinen eigenen Weg – im Bewusstsein, dass alles, was ist, er selbst gewählt hat.

 

Selbst gewählt ist ein stolzes Erklärungsmuster: «Sie übernehmen Verantwortung für das Gute und Schlechte in Ihrem Leben. Sie sind das, was Sie zu sein gewählt haben. Sie wollen es so.» Wenn einem etwas nicht gefällt, dann kann er es ändern. Grundsätzlich gehört dazu, stets die alternativen Möglichkeiten, neue Vorstellungen und Lebenssituationen im Blickfeld zu haben. Aber: Was andere von einem erwarten, sollte ausgeblendet werden. Es geht darum, sein Leben als sein eigenes zu erleben und die Verantwortung dafür zu übernehmen.

 

Natürlich sei dieses eigene Leben nicht frei von Problemen, Schwierigkeiten und Misserfolgen, sagt Sprenger. Aber alles, was einer als Leid erlebt, lähmt nicht mehr. Niemand sollte sich länger als Opfer fremder Mächte erniedrigen. Die Möglichkeit, sich täglich neu entscheiden zu können, ist einfach praktischer und spannender. Nur wer die Verantwortung für sein eigenes Handeln übernimmt, gestaltet sich als Persönlichkeit zur «IchAutonomie».

 

Sprengers Verständnis von Selbstverantwortung steht in krassem Widerspruch zu Management-Hits wie «Verantwortung delegieren» oder «zur Eigeninitiative ermächtigen». Wenn es in Führungsgrundsätzen heisst, Aufgabe der Vorge

 

Freiräume zur Ich-Autonomie

 

setzten sei es, Mitarbeiter zu «selbstständigem Arbeiten» anzuhalten, sei das, so Sprenger, «die Sprache der Kindererziehung». Und er läuft Sturm gegen diese Infantilisierung der Mitarbeiter.

 

Selbstverantwortung sei eine Einstellung. Aufgaben kann man delegieren, Verantwortung nicht. Man kann niemandem Verantwortung «geben». «Wenn Ihr Mitarbeiter nicht eigenverantwortlich Verantwortung übernehmen will, taucht er unter ihr weg.» Doch wenn er gewählt und zu der ihm gestellten Aufgabe «Ja» gesagt hat, trägt er auch die Verantwortung. Es bleibt seine Aktion. Klar, die Führungskraft kann ihm die Verantwortung wieder wegnehmen, aber dazu müsste er ihm die Aufgabe wegnehmen, was häufig geschieht, weil etwas zur «Chefsache» erklärt und damit den Mitarbeitern ihre Inkompetenz deutlich gemacht wird.

 

Vertrauen – das sSprenger hält dagegen: Führung zur Selbstverantwortung kann nur heissen, den Mitarbeiter «in der Verantwortung lassen» – auch wenn Schwierigkeiten drohen. Für manche Führungskräfte sei das immer noch eine grosse Herausforderung. Sprenger macht ihnen klar: «Lassen Sie die Verantwortung dort, wo sie hingehört, bei dem, der die Aufgaben macht!» Die Stärkung der Selbstverantwortung sei die wichtigste Führungsaufgabe. Denn sie verändert das Handeln elementar. Wer die Freiräume und Spielräume hat, um eigene Antworten zu finden und zu verantworten, ist allemal kreativer als einer, der nur darüber nachdenkt, was der Chef möchte.

Vertrauen – das soziale Kapital

 

Vertrauen wird zur Schlüsselvariablen erfolgreicher Unternehmensführung. Damit befasst sich Reinhard K. Sprenger unter anderem in seinem jüngsten Bestseller «Radikal führen» (2012). Das Problem dabei: Vertrauen ist nicht planbar, es bleibt im traditionellen Management unhandlich und passt nicht zum instrumentellem Denken von Führungskräften.

 

Wer vertraut, macht sich auf subtile Weise verwundbar, ob privat oder im Job. Viele Manager aber fürchten nichts so sehr wie Verletzlichkeit und Machtverlust, meint Sprenger. Das sei der Grund, weshalb es so wenig Vertrauen in Unternehmen gebe.

 

Viele Unternehmen seien reine «Verdachtsorganisationen». Misstrauen kann organisiert werden, Vertrauen kaum. Führungskräfte glauben einfach nicht daran, dass Menschen im Betrieb gute Arbeit machen wollen. Sie vertrauen nicht dem selbstgesetzten Qualitätsanspruch ihrer Mitarbeiter. Und sie sind extrem zurückhaltend, wenn es darum geht, sie ihre eigenen Wege zum Ziel finden zu

 

Wer tut den ersten Schritt?

 

lassen. So bestimmt der Satz «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» das Menschenbild fast aller Führungskräfte.

 

Wer nicht vertraut, muss wohl oder übel kontrollieren. Doch das wird immer schwieriger. Entscheidungen und Handlungen in Unternehmen stehen heute in immer grösseren Wechselwirkungen. Der Grad an Unsicherheit nimmt zu. Die Handlungsspielräume der Mitarbeiter, vor allem der hochausgebildeten Kopfarbeiter, erweitern sich ständig und sind für eine Führungskraft nicht mehr bis ins Detail überschaubar. Die Aufgaben werden komplexer und auch für die Chefs unverständlicher. Wie will einer kontrollieren, was er kaum mehr beurteilen kann? Sprenger schliesst daraus: «Es bleibt ihnen daher gar nichts anderes übrig, als zu vertrauen.»

 

Jedes erfolgreiche Unternehmen ist auf Kooperationen angewiesen. Doch die kommen ohne wechselseitiges Vertrauen gar nicht oder nur zu sehr hohen Kosten zustande. «Vertrauen schafft – im Unternehmen wie im Alltag – soziales Kapital», folgert Sprenger. Deshalb werde eine durch Vertrauen geprägte Organisation langfristig immense Vorteile haben.

 

Doch die zentrale Frage bleibt, wie kann man Vertrauen schaffen, oder anders, was lässt Vertrauen entstehen? In vielen KMU wächst Vertrauen traditionell aus der Vertrautheit einer langjährigen Zusammenarbeit der Chefs und Stammmitarbeiter untereinander. In grösseren Unternehmen jedoch erdrückt die Hierarchie jede aufkeimende «Ehrlichkeit».

 

Beziehungen bestehen aus mindestens zwei Personen, aber es bedarf oft nur einer, um die Qualität zu ändern. Wer also sollte beginnen? Wer immer auf den anderen wartet, gibt das Steuer seines Lebens aus der Hand. Also fordert Sprenger die Führungskräfte auf: «Machen Sie den ersten Schritt!» Die Führung sollte in das Vertrauen «springen» wie ins kalte Wasser. Das schaffen nur Führungskräfte, die sich selbst vertrauen. Von ihnen muss die Eingangsaktion starten, um den Prozess anzustossen.

 

Sprenger: «Erst wenn Sie sich wirklich abhängig und verwundbar machen von der Zustimmung und Leistung Ihrer Mitarbeiter, dann ist Vertrauen möglich.» Macht abgeben, Führung als Dienstleistung begreifen, das sei der richtige Weg. Wobei sich Vertrauen und Kontrolle keineswegs ausschliessen. «Vertrauen zu geniessen, ist ein grösseres Kompliment, als geliebt zu werden», zitiert Sprenger den schottischen Schriftsteller Georg MacDonald.

In der Motivierungsfalle

 

Wer den Grundelementen Wahlfreiheit, Selbstverantwortung und Vertrauen folgt, für den erschliessen sich Sprengers Gedanken zur «Motivation» fast von selbst. Motivierte Mitarbeiter machen den Erfolg eines Unternehmens aus. Das wird jeder bestätigen. Deshalb ist Motivation auch zum Zauberwort des modernen Managements geworden. Und zwar umso eindringlicher, als sich trotz aller Motivierungsbemühungen über ausgeklügelte Incentives und Boni kaum etwas an der Motivationslage der Mitarbeiter in Unternehmen verändert hat. Einige wenige sind hochmotiviert, ein grosser Teil bleibt indifferent, die meisten machen eher Dienst nach Vorschrift.

 

Umso erstaunlicher, so Reinhard K. Sprenger, dass am Denkmodell, das dem Management-Credo der Motivierung zugrunde liegt, trotzdem immer noch festgehalten wird. Zwischen Motivation und Motivierung liegen Welten. Motivation kommt von innen. Wer versucht, die Mitarbeiter von aussen «anzuschieben», um sie dahin zu bringen, wo man sie gerne haben möchte, muss über kurz oder lang scheitern. Das Menschenbild, das hinter aller Motivierung steht, beruht auf tiefem Misstrauen: Mitarbeiter tun nicht von sich aus das, was sie tun sollten. Also braucht es Anreize und Anstösse, Zuckerbrot oder Peitsche.

 

Jeder Mitarbeiter ist für sich einzigartig, ein Individuum, und keine Schraube, an der mal so gedreht werden kann. Er verdient Respekt und Vertrauen, keine Fremdsteuerung. Leistungsbereitschaft liegt in der Selbstverantwortung des Einzelnen. Das ist nach Sprenger der entscheidende Punkt: Echte Leistung wird um ihrer selbst willen, aus Leidenschaft, aus Freude an der eigenen Arbeit und ihren Resultaten erbracht, nicht durch die Orientierung an Belohnungen oder Boni, die dazu führen, dass

 

Zuckerbrot oder Peitsche

 

wie bei Bankern das Tun nur «Mittel zum Zweck» wird. Nur selbstbewusste Menschen, die sich selbst herausfordern, sind auf Dauer zu exzellenten Leistungen fähig.

 

Aufgabe der Führungskräfte ist es daher, der Kreativität und Selbstverantwortung der Mitarbeiter Raum zu geben, realistische Chancen zu eröffnen und Bedingungen zu schaffen, in denen der Einzelne nach seinen Fähigkeiten sein Wollen und Können abrufen und entfalten kann. Es komme darauf an, sagt Sprenger, ihn «in seinem SoSein» ernst zu nehmen. Das beinhaltet auch, dass erwünschtes und erwartetes Verhalten durch klare Forderungen, Kommunikation, Vereinbarungen und letztendlich Vertrauen erreicht wird.

 

Sprenger spricht dabei von «Konsensmanagement». Statt machtgestützter Entscheidungen käme es darauf an, die Mitarbeiter mit ins Boot zu holen, Übereinkünfte herzustellen, die integrieren. Bei klaren Vereinbarungen über Ziele im Sinne gemeinsam erarbeiteter Einsichten gibt es keine Motivationsprobleme.

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