Neuartige und kommende medizinische Radionuklide

Nukleartherapie und molekulare Bildgebung werden in Krankenhäusern in grossem Umfang für neue, vielversprechende medizinische Verfahren eingesetzt. Sie können die Behandlungsergebnisse bei vielen Erkrankungen drastisch verbessern und ermöglichen insbesondere die Behandlung von streuenden Tumoren. Die eingeschränkte Verfügbarkeit von Radionukliden, die nicht kommerziell erhältlich sind, machte auch deren effektive Weiterentwicklung schwierig. Mit Prismpa – dem europäischen Programm für medizinische Radionuklide – wird sich dies nun ändern. Das Paul Scherrer Institut ist Teil davon.

Prismap
Paul Scherrer Institut: Injektor-2-separated-sector-Zyklotron (links) und die Spallationsneutronenquelle Schweiz SINQ (rechts). Foto: PSI

In der Nuklearmedizin wird dem Patienten eine radioaktive Substanz verabreicht, die dann zu bestimmten biologischen Zielpunkten im Körper gelangt. Je nach den radioaktiven Eigenschaften des Radionuklids kann die Substanz Strahlung aussenden, die mit externen Detektoren nachgewiesen werden kann, um die Verteilung des betreffenden Nuklids sichtbar zu machen (SPECT, PET-Bildgebung); alternativ kann die Substanz geladene Teilchen wie α- oder β-Teilchen aussenden, die ihre Energie lokal (innerhalb von Mikrometer bis zu einigen Millimetern, das heisst, von der Grösse einer Zelle bis zur Grösse einer Metastase) abgeben und dadurch nur Zellen in der Nähe zerstören, zum Beispiel zur Behandlung eines Krebses mit gezielter Radionuklidtherapie (TRNT).

Von den mehr als 3000 verschiedenen Radionukliden, die Forschende im Labor synthetisiert haben, wird nur eine Handvoll regelmässig für medizinische Verfahren verwendet, hauptsächlich für die Bildgebung, obwohl das Interesse an TRNT in den letzten Jahren zugenommen hat. Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Entwicklung neuartiger radio-medizinischer Produkte ist der Zugang zu Radionukliden während der Entwicklungs- und der frühen biomedizinischen Forschungsphasen. Im Rahmen von Prismap – dem europäischen Programm für medizinische Radionuklide – kann diese Entwicklungsphase durch den Zugang zu neuartigen Radionukliden von hoher Reinheit für die medizinische Forschung erleichtert werden.

Erzeugung von Radionukliden

Die radioaktiven Elemente, die in der Nuklearmedizin verwendet werden, sind in der Natur nicht vorhanden und müssen im Labor synthetisiert werden. Es gibt zwei Hauptwege: die Neutronenbestrahlung in einem Kernforschungsreaktor oder die Protonen-, Deuteronen- oder Alphabestrahlung mit einem Teilchenbeschleuniger. Die Grösse und die Energie des Teilchenbeschleunigers bestimmen, welches Radionuklid hergestellt werden kann: Kleine, kompakte Geräte stehen in vielen Krankenhäusern zur Verfügung und ermöglichen den Zugang zu den heute verwendeten Radionukliden. Für die Erzeugung neuartiger Radionuklide, die derzeit nicht verfügbar sind, werden jedoch Geräte mit höherer Energie benötigt.

Aufreinigung von Radionukliden

Bei der Herstellung dieser neuartigen Radionuklide treten neue Herausforderungen auf: die gleichzeitige Produktion unerwünschter Radioaktivität, die die Qualität des Arzneimittels beeinträchtigt, nachteilige Auswirkungen auf den Patienten haben könnte und die Abfallentsorgung in Krankenhäusern erschweren kann. Daher sind neuartige Reinigungstechniken erforderlich. Im Rahmen von PRISMAP werden Verfahren entwickelt, die auf physikalischer Massentrennung und Radiochemie basieren, um eine hochreine Radionuklidproduktion zu erreichen, die für Arzneimittel geeignet ist.

Zugang und translationale Forschung

Um die laufende Forschung in ganz Europa und darüber hinaus zu unterstützen, wird Prismap sofortigen Zugang zu neuen Radionukliden bieten. Über die Website wurde eine zentrale Zugangsplattform eingerichtet, auf der die Produktions- und Unterstützungsmöglichkeiten vorgestellt werden.

Ein Netz von weltweit führenden europäischen Einrichtungen, darunter Kernreaktoren, Mittel- und Hochenergiebeschleuniger sowie radiochemische Labors, wurde gebildet, um eine möglichst breiten Katalog von Radionukliden für die medizinische Forschung anzubieten. In der Cern Medicis-Anlage steht eine Massentrennung zur Verfügung, die die physikalische Trennung von Isotopen eines Elements ermöglicht. Ergänzt wird dies durch ein Netz biomedizinischer Forschungseinrichtungen, die externe Forscher aufnehmen können, um ihre Forschung in der Nähe der Produktionsanlage durchzuführen, wenn die Radionuklide nicht für einen langen Transport zu ihrer Einrichtung geeignet sind oder wenn die europäische Zulassung für neuartige Radionuklide noch nicht erteilt wurde.

Der Zugang zu den Radionukliden und den zugehörigen Einrichtungen wird auf der Grundlage einer Exzellenz-Auswahl gewährt. Der Zugang zu den Radionukliden und gegebenenfalls zu den ergänzenden biomedizinischen Einrichtungen über die Prismap-Online-Plattform beantragt wird. Ein Auswahlgremium, das sich aus Experten auf den Gebieten der Radionuklidproduktion, der molekularen Bildgebung und der Radionuklidtherapie zusammensetzt, wird die besten Projekte unter den Bewerbern auswählen. Die erste Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen wird vor Ende des Jahres 2021 gestartet und soll im ersten Quartal 2022 veröffentlicht werden. Sie wird allen Interessenten offenstehen.

Ein Blick in die Zukunft

Auf dem sich schnell entwickelnden Gebiet der Nuklearmedizin ist Prismap auch auf die Zukunft ausgerichtet. Die Europäische Kommission hat sich verpflichtet, die gesellschaftlichen Auswirkungen von Krebs durch den Plan „Europe’s Beating Cancer“ und insbesondere durch den Anfang des Jahres vorgestellten Samira-Aktionsplan zu bekämpfen, zu dem auch die Einrichtung einer europäischen Radionuclide Valley Initiative gehört. Durch das Prismap-Konsortium aus 23 akademischen und forschenden Einrichtungen in ganz Europa wird die Entwicklung hin zur Hochskalierung der Produktion dieser neuartigen Radionuklide in Form von neuartigen Produktionstechnologien, neuen Reinigungsmethoden und Proof-of-Concept-Untersuchungen erkundet. Sie sollen die Entwicklung neuer Behandlungen vom Prüfstand bis zur Patientenversorgung aufzeigen und direkt in diesen europaweiten Plan einfliessen.

Prismap-Konsortium

Prisma ist ein Konsortium, das eine Gemeinschaft von Forschenden in der Anfangsphase betreut, und strebt danach, sich als Gemeinschaft zu etablieren und neue Einrichtungen aufzunehmen, um die Möglichkeiten des Programms zu erweitern. Neue Anlagen wie der Jules-Horowitz-Reaktor im CEA Cadarache (Frankreich), die ISOL@MYRRHA-Massenseparatoranlage im SCK CEN (Belgien), der neue SPES-Beschleunigerkomplex in den nationalen INFN-Laboratorien in Legnaro (Italien) zeichnen sich ab, die Europäische Spallationsquelle in Lund (Schweden) und schliesslich die neue SPIRAL2-Anlage in GANIL (Frankreich), die kürzlich ihre ersten Strahlen beschleunigt hat, sowie die FAIR-Anlage in der GSI (Deutschland), deren Bau voranschreitet. Diese neuen Einrichtungen werden unmittelbar von den Erkenntnissen aus Prisma profitieren und zur Steigerung der Produktionskapazität in ganz Europa beitragen.

Durch die Zusammenarbeit zwischen Forschungskrankenhäusern und Metrologie-Instituten werden neue Daten generiert und zusammengestellt, die eine sofortige und reibungslose Einführung der neuartigen Radionuklide in der Medizin ermöglichen. Alle neuen Erkenntnisse werden für die Erstellung von neuem Lehrmaterial für Fachleute in den verschiedenen Bereichen dieses multidisziplinären Gebiets sowie für die Ausbildung der nächsten Generation von Fachleuten und die Beratung der Europäischen Kommission zu diesen neuartigen Radionukliden verwendet. 

PSI ist Hauptpartner

Das Paul Scherrer Institut ist einer der Hauptpartner des Prismap-Konsortiums. Die Forschenden nutzen seine Grossforschungsanlagen Spallationsneutronenquelle Schweiz SINQ und Injektor 2 sowie die Bestrahlungsstation IP2, um Radionuklide für medizinische Zwecke herzustellen. Die Radionuklide sind an einen Molekülkomplex gekoppelt, docken selektiv an Tumorzellen im Körper an und können diese mit ihrer Teilchenstrahlung zerstören. Das Zentrum für Radiopharmazeutische Wissenschaften am PSI ist eine der wenigen Forschungsorganisationen in der Schweiz, die in der Lage ist, Radiopharmazeutika nicht nur für Forschungszwecke, sondern auch für klinische Versuche zu entwickeln. Derzeit läuft das Zulassungsverfahren für klinische Versuche mit dem vielversprechenden therapeutischen Radionuklid Terbium-161. Darüber hinaus ist im Rahmen des neuen BFI-Projekts IMPACT (Isotope and Muon Production with Advanced Cyclotron and Target Technology) für den Zeitraum von 2024 bis 2028 eine Aufrüstung der Hochintensitäts-Protonenbeschleunigeranlage HIPA vorgesehen, um die Produktion neuer Radionuklide für Diagnostik und Therapie zu ermöglichen.

Die nuklearmedizinische Forschung ist ein multidisziplinärer Ansatz, und um Fortschritte zu erzielen, müssen Brücken zwischen Physikern, Ingenieuren, Radiochemikern, anorganischen Chemikern, Strukturbiologen, Klinikern, Medizinphysikern, Dosimetrikern, Pharmakologen und Onkologen geschlagen werden. Prismap – das europäische Programm für medizinische Radionuklide – wird die Umsetzung eines multidisziplinären Arbeitskonzepts in die Praxis unterstützen.

Quelle: Paul Scherrer Insitut, Text auf der Basis einer Mitteilung des Cern

 

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