Mensch und Systeme: Das war der Tag der Schweizer Qualität 2016
Unter dem Motto „Mensch und Systeme“ fand am 10. Mai 2016 im Kursaal Bern der diesjährige Tag der Schweizer Qualität statt, gemeinsam veranstaltet durch die Swiss Association for Quality SAQ und die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Managementsysteme SQS. Den rund 350 Gästen bot sich neben Impulsreferaten und fachspezifischen Sessions die Gelegenheit für Erfahrungsaustausch und Networking. Moderiert wurde die Tagung durch die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Beatrice Müller.
Referate-Impressionen: Ruedi Lustenberger, Prof. Dr. Joachim Bauer, Dr. Marc Holitscher, Prof. Dr. Hans Dieter Seghezzi, Pascale Etter & Band, Dr. Peter Kels (Fotos: thb)
Das Tempo, in welchem die technologischen Entwicklungen verlaufen, stimme nachdenklich, sagte SAQ-Präsident Ruedi Lustenberger in seiner Eröffnungsansprache. Gerade mal 250 Jahre seien seit der ersten Industriellen Revolution vergangen und heute spreche man bereits von der vierten, nämlich von Industrie 4.0. Gemessen an der gesamten Evolutionsgeschichte des Menschen bedeuten diese zweieinhalb Jahrhunderte „bloss einen Wimpernschlag“. Trotz aller technologischen Machbarkeit von Systemen, wie wir sie heute erleben, müsse das Primat gleichwohl immer noch beim Menschen bleiben, gab Ruedi Lustenberger zu bedenken. Doch die Zeichen sind nicht so schlecht: „In Unternehmen spielen glücklicherweise neuerdings Faktoren wie Motivation, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit eine grosse Rolle“, so der SAQ-Präsident.
Wie das „System“ Gehirn funktioniert
Wie unzuverlässig Systeme sein können, zeigte sich beim ersten Referat von Univ.-Prof. Dr. med. Joachim Bauer vom Uniklinikum Freiburg i. Br.: Er musste sich zunächst mit einem Wackelkontakt des Präsentationsbildschirms auf der Bühne herumärgern… Das Thema seines – dann im weiteren Verlauf pannenfreien – Vortrags lautete: Was treibt Menschen an? In seinen Ausführungen erläuterte er menschliche Grundmotivationen aus Sicht der Neurowissenschaften. Eindrücklich vermochte er zu zeigen, dass Wertschätzung und soziale Akzeptanz die „Belohnungszentren“ im Gehirn aktivieren. Auf der anderen Seite erzeugt Ausgrenzung Schmerz, das heisst, es werden dabei die gleichen Gehirnregionen aktiviert, wie beim Berühren eines sehr heissen Gegenstandes. Und eine weitere Eigenschaft unseres Gehirns: Schon allein das Beobachten einer Tätigkeit aktiviert jene Zentren im Gehirn, welche für die konkrete Ausübung dieser Tätigkeit notwendig sind. Das lässt sich auch in der Führung zu Nutze machen: Wenn man selbst motiviert ist, kann man damit Andere anstecken – man wird gleichsam zum nachahmenswerten Modell.
Ins Homeoffice „gezwungen“
Zur Nachahmung empfohlen sind flexible Arbeitsformen, um die Innovationsfähigkeit zu steigern. Dies war das Thema des anschliessenden Vortrags von Marc Holitscher von Microsoft Schweiz. Er stellte fest, dass heutige Organisationsmodelle im Prinzip aus dem Zeitalter von Industrie 2.0 stammen: Es gibt klare Entscheidungswege, alle Mitarbeitenden haben ihre Funktion und wissen im Prinzip, was sie zu tun haben. Doch wie sieht die Organisation 4.0 aus? Diesbezüglich müsse man mehr von „Plattform-Modellen“ ausgehen, von Netzwerken, in denen etwa durch Interaktion zwischen Produzenten und Konsumenten Mehrwert entsteht. Wie das in der Praxis aussehen soll, hat Microsoft Schweiz selbst in einem grossen „Feldversuch“ untersucht: Während des Umbaus des Firmenstandorts in Wallisellen wurden sämtliche Büros geschlossen und die Mitarbeitenden arbeiteten im Homeoffice oder von unterwegs. Die Erfahrungen waren durchwegs positiv: Unproduktive Zeiten gingen zurück, ebenso die Absenzen. Das Arbeitszeitmodell erwies sich zudem für alleinerziehende Mütter als attraktiv. Insgesamt konnte eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit erzielt werden. Ganz ohne Herausforderungen ging es aber gleichwohl nicht. Marc Holitscher verwies denn auch darauf, dass gerade die Teamarbeit sich als anforderungsreich herausgestellt hat. Voraussetzung, damit ein solches Modell weiter funktionieren kann, sei vor allem Vertrauen. „Es muss ein Systemwechsel von Regeln zu Werten stattfinden“, so Holitscher. Als möglichen Weg bezeichnete er die verstärkte Praktizierung von Management by Objectives.
ISO 9001: Mehr Leadership gefragt
In drei Workshops verteilt auf parallele Sessions wurde das Tagungsthema „Mensch und Systeme“ weiter „verfeinert“. Peter Pedross (Pedco, Zürich) sprach über Qualität im agilen Umfeld und stellte die Frage, wie man agile Prozesse in kleine und grosse Organisationen einbauen kann. Er stellte insbesondere das Scaled Agile Framework SAFe vor, das neben Scrum dabei ist, sich in der Industrie zu etablieren. Scrum funktioniert erfahrungsgemäss gut in Teams, die ein spezifisches Produkt entwickeln. Wenn es aber um komplexe Projekte geht, welche mehrere Teams involvieren, stösst Scrum an Grenzen. SAFe trägt dem Rechnung und skaliert das Ganze deshalb auf Ebenen mit grösserem Portfolio. Eva Jaisli (PB Swiss Tools, Wasen BE) stellte den Einfluss von Strategie ins Zentrum ihrer Ausführungen. Eine ideal formulierte Strategie erlaubt es, alle Verhaltensweisen so zusammenzufassen, damit man daraus Ziele ableiten kann. Dies zeigte sie am Beispiel ihres eigenen Unternehmens mit Verweis auf die revidierte Norm ISO 9001. Hubert Rizzi und René Wasmer schliesslich wiesen nochmals auf die Kernelemente dieser Revision hin. Sie richte sich insbesondere an die Führung; Führung und Leadership sind denn auch in der neuen Fassung stark ausgebaut. Eine Konsequenz daraus bestehe darin, dass diese Punkte bei einem Audit stärker hinterfragt werden.
Was MINT-Fachkräfte erwarten
Den Schluss der Veranstaltung bildete ein Referat, das einen weiteren Effekt der Digitalisierung zum Inhalt hatte: Den Fachkräftemangel, besonders bei MINT-Berufen. Prof. Dr. Peter Kels von der Hochschule Luzern gab in seinen Ausführungen den Besuchern einige Hinweise, nach welchen Kriterien Unternehmen ihre MINT-Fachkräfte besser finden und auch behalten können. Abwechslungsreiche Aufgaben, flexible Arbeitszeitmodelle, attraktive Entwicklungsmöglichkeiten in Form von neuen Projekten und durch Fachkarrieren sowie Teamarbeit sind dabei entscheidende Faktoren. Das Gehalt ist zwar ebenfalls wichtig, aber bestenfalls als Hygiene- und nicht als Motivationsfaktor. MINT-Fachkräfte wiederum finden ihre Arbeitgeber vor allem durch ihr persönliches Netzwerk, Stellenbörsen im Internet, Corporate Websites und durch Hochschulmarketing. Überraschenderweise spielen Soziale Netzwerke wie Xing oder LinkedIn (noch) keine grosse Rolle, wie der Referent mit Verweis auf eine Studie seines Instituts feststellte.
Ehrung und Förderung
Neben den Referaten gab es noch zwei weitere Programmpunkte. So wurde Prof. Dr. Hans Dieter Seghezzi für seine Verdienste bei der Entwicklung des Qualitätsmanagements und für sein langjähriges Engagement beim Aufbau der SAQ und der SQS geehrt. Ihm ist es zu verdanken, dass sich das Qualitätsmanagement von einer reinen „Kontrollfunktion“ zu einer ganzheitlichen Betrachtung gewandelt hat bis hin zum EFQM-Modell. Für ein musikalisches Intermezzo sorgten die junge Sängerin Pascale Etter mit ihren Begleitmusikern Yannick Aebischer (Gitarre) und Ghislain Ruprecht (Percussion). Die SAQ setzte damit eine Tradition fort, junge Berufsmenschen – dieses Mal Musiker – zu fördern.
Thomas Berner