Mehrwert für den Kunden

Ron Kaufman ist Spezialist in zwei Disziplinen: Ein Motivator für hochstehenden Kundendienst und ein Lehrer und Coach in Erwachsenenbildung. Beide Disziplinen haben wenig miteinander zu tun. Doch Kaufman bringt sie zusammen, sodass wir fachlich etwas zum Thema Kundendienst lernen, während wir gleichzeitig unsere Denkweise ändern. Im MQGespräch nimmt er Stellung

Mehrwert für den Kunden

 

 

 

Ron Kaufman, was bewegt Sie zurzeit am meisten?

 

Es beschäftigt mich, wie viele Firmen, Industrien und Organisationen zurzeit mit der Frage beschäftigt sind, wie sie ihre Dienstleistungskultur und ihre Dienstleistungsqualität verbessern können. Der Grund dafür ist, dass der Preis oder die Produktequalität zu einer austauschbaren Massenware geworden sind, mit denen man sich nicht mehr unterscheiden kann. Firmen fragen sich heute, wie sie mehr Wert für ihre Kunden schaffen können. Dabei geht es aber nicht bloss darum, Kundenzufriedenheit zu erhöhen und Kundenloyalität zu stärken. Eine gute Servicekultur wirkt sich auch auf die Mitarbeitenden meiner eigenen Organisation, den internen Kunden, aus. Ein professioneller Kundenservice ist immer auch motivierend nach innen und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz steigt, wenn man in einer kundenzentrierten Organisation arbeitet.

Woran krankt zurzeit die Dienstleistungskultur in den USA oder weltweit?

 

In Zeiten der wirtschaftlichen Rezession fürchten sich die Menschen verständlicherweise vor der Zukunft: Sie haben Angst, ihren Job

 

Angst verhindert Interesse am Kunden

 

zu verlieren, sie fürchten die Konkurrenz. Das Problem ist, dass Angst nichts zu einer positiven Haltung beiträgt, die das Leben anderer Leute, unserer Kunden, verbessert. Es kann ein Klima innerhalb einer Organisation vergiften, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr damit beschäftigt sind, ihren Job zu erhalten als das Kundenerlebnis zu verbessern. Die Gefahr besteht, dass solche Organisationen in das überholte Paradigma zurückfallen von «Was habe ich von einer guten Kundenbeziehung?», anstatt sich zu fragen, «Was kann ich heute besser machen für meinen Kunden?» Wenn sich eine Organisation zu einem hervorragenden Kundenservice verpflichtet, kann die Freude und die Motivation im Inneren derselben Firma besser werden, ohne dass es sie einen Rappen kostet.

Gilt das generell für alle Unternehmen?

 

Ich sehe gute Zeiten für klassische Klein- und Mittelbetriebe. Denn der Wert, den solche Unternehmen für ihre Kunden schaffen können, kann sehr intim, sehr personalisiert sein. Grosse Unternehmen haben es nicht so leicht. Ausnahmen bilden Organisationen wie Google: Denn ihr ganzes Geschäftsmodell basiert darauf, sehr, sehr viel über ihre Kunden zu wissen. Oder nehmen wir die Grossunternehmen der pharmazeutische Industrie: Was können sie tun, um in unterschiedlichen Märkten auf der ganzen Welt Mehrwerte für

 

KulturelleSensibilität

 

Kunden zu schaffen? Zum Beispiel können sie lernen, dass das Kundenerlebnis nicht allein im Produkt besteht, sondern in der Aufklärung über dieses Produkt. Was nötig ist, um weltweit erfolgreich zu sein, ist eine kulturelle Sensibilität. Sie ist der Boden für eine hohe Servicekultur.

Was sind die Säulen eines hervorragenden Kundenservice?

 

In meinem Buch «Uplifting Service. The Proven Path to Delighting your Customers» nenne ich fünf Elemente: Warum? Führen. Aufbauen. Lernen. Antrieb.

 

«Warum» bedeutet, dass jedermann und jedefrau in einer Organisation verstehen muss, weshalbmeine Firma dem Servicegedanken diesen hohen Stellenwert einräumt. Wenn wir uns im Kundendienst verbessern wollen, ist es notwendig, dass wir verstehen, weshalb meine Organisation diese Wahl getroffen hat.

 

«Lead» bedeutet, dass eine Dienstleistungskultur Regeln und Führerschaft braucht. Wenn eine Dienstleistungskultur etabliert ist, dann können sämtliche Angehörige dieser Firma auf allen Stufen führen. Nicht nur der oberste Chef kann dann führen. Wenn Sie auf Ihren Firmenhelden, dessen Tagesform und Laune angewiesen sind, um einen guten Kundendienst zu erbringen, ist Ihr Service nicht nachhaltig.

Kundenservice braucht demnach Regeln für die gesamte Belegschaft…

 

Alle Beteiligten wissen jederzeit und im Schlaf, was sie zu tun haben. Jedermann übernimmt Verantwortung. Es entsteht eine Kultur des «Einer für alle, alle für einen». Deshalb ist eine Servicekultur so wichtig. Zu den weiteren Säulen einer Dienstleistungkultur, wie ich sie in meinem Buch beschreibe, gehören etwa die Rekrutierungspolitik, die interne Kommunikation, Prozesse zur Serviceverbesserung, Service Benchmarking und weitere. Ich nenne insgesamt 12 Säulen.

Und die übrigen Elemente?

 

«Lernen» bedeutet, dass die Prinzipien einer Dienstleistungskultur erlernt und angewendet werden müssen. Und mit «Antrieb» meine ich schliesslich die Notwendigkeit der Einführung eines Fahrplans (einer «Roadmap») eben dieser Servicekultur. Eine Servicekultur aufzubauen braucht Zeit und geschieht nicht von heute auf morgen.

Sie sagen, dass die soziale Dynamik die Qualität von Organisationen steuert…

 

Die fundamentale Verschiebung, die heute in der Gesellschaft und in Organisationen vor sich geht, besteht darin, dass es nicht mehr genügt, sich zu fragen, wie ich heute erfolgreich sein kann, sondern was ich für jemanden anderen, im Falle einer Firma für den Kunden, tun kann. Nehmen wir das Beispiel von Bill Gates, Warren Buffet oder Philanthropen: Die Menschen haben erkannt, dass es nicht darauf ankommt, wie viel Geld wir besitzen, sondern darauf, was wir zur Allgemeinheit beitragen können. Das ist eine neue gedankliche Ausrichtung, ein neues Denken.

Und der Satz «der Kunde hat immer Recht»?

 

Das Problem mit solchen Allgemeinplätzen besteht darin, dass es Menschen am Nachdenken hindert. Was wäre zum Beispiel, wenn der Kunde einmal Unrecht hat? In Firmen, die von solchen Clichés leben, haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann keine passenden Antworten zur Hand. Aber es gibt sie. Zum Beispiel: Ein Kunde beklagt sich, dass unser Service langsam sei, obwohl er zur korrekten Zeit ausgeführt wurde. Faktisch gesehen hat der Kunde Unrecht, aber wir können ihn zufrieden stellen, wenn wir ihm sagen, dass er Recht hat, dass Geschwindigkeit wichtig, ja ein Dienstleistungs- undWettbewerbselement ist. Die Haltung, dass der Kunde immer Recht hat, ist eine falsche Kultur, aber wir können meist darin übereinstimmen und dem Kunden Recht geben, was für ihn wichtig ist und vielleicht sogar für uns beide. Ein klischiertes Denken verunmöglicht einen solchen gemeinsamen Prozess.

Was können die Industrie, Banken oder Regierungen lernen in Bezug auf Dienstleistungskultur?

 

Dienstleistungskultur in der Industrie kann zum Beispiel bedeuten, dass wir den Kunden über neue, ihm nicht bekannte Anwendungsoder Einsatzmöglichkeiten aufklären. Oder darüber, wie er ein Produkt besser lagern kann. Wie er es aufrüsten kann. Wie man zu einer Resultatsverbesserung gelangt. Das alles sind gute Kundenleistungen, die ihm einen Mehrwert schaffen.

 

Banken können mit ihren Kunden nicht nur über Geld sprechen, sondern über verantwortliches Investieren oder eine solide Lebensplanung für sie und ihre Familie. Und die Existenzberechtigung von Regierungen besteht fundamental darin, das Leben ihrer Kunden, also den Stimmbürgern, zu verbessern.

Singapore Airlines hat einen besseren Ruf als die Wettbewerber. Weshalb?

 

Singapore Airlines hat während den letzten 39 Jahren daran gearbeitet, einen ausgezeichneten Kundenservice aufzubauen. Diese Langzeitinvestition zahlt sich jetzt aus in Bezug auf Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität. Passagiere zahlen häufig einen höheren Preis als anderswo, um mit Singapore Airlines zu fliegen, weil das Kundenerlebnis es wert ist.

Ron Kaufman, was ist die nächste Stufe im Kundendenken?

 

Die gute Nachricht für mich lautet: Wir leben in einer sehr grossen Welt. In ihr gibt es viele Firmen und viele Kulturen. Was Wissen betrifft, wird die Welt täglich kleiner. Die Menschen interessieren sich dafür und lernen ständig weiter, was wertvolle Kundenerlebnisse sind. Aber die nächste Stufe im Kundendenken hat bereits begonnen: Sie trägt den Namen «Interaktion».

Was bedeutet das?

 

Einer unserer Kunden ist ein Telekommunikationsanbieter. Er hatte ein Problem mit einem ShoppingCenter-Kunden, bei dem das Telefonsignal schwach war. Das Telekomunternehmen hat sich darauf entschieden, über Facebook zu kommunizieren, wann seine Ingenieure das Problem lösen werden mit Bildern der Ingenieure, wie sie sich an die Arbeit machten und wie sie an einer Lösung arbeiteten. Das Resultat war eine grosse Kundenbegeisterung auf Facebook. Das einzige, was Anbieter und Kunde nicht taten, war, im Restaurant gemeinsam mit den Ingenieuren zu Abend zu essen und sich die Hände zu schütteln. In dieser Art Kundenerlebnis geht es nicht mehr einfach um ein Produkt oder eine Dienstleistung. Das Kundenerlebnis wird Teil einer Gemeinschaft, einer Community. Voraussetzung war eine packende Vision von Kundenservice: Lasst uns gemeinsam etwas Erstaunliches schaffen.

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