Mehr Tierwohl im Regal
Bis im Jahr 2020 sollen alle importierten tierischen Produkte im Ladenregal der Migros Schweizer Tierstandards erfüllen. Für das Projekt hat der Detailhändler den diesjährigen «Swiss Ethics Award» erhalten.
Chapeau zu Ihrem Engagement. Die tonnenweise Fleischund Geflügelimporte in den M-Filialen kommen aus zahlreichen Ländern. Ist eine Kontrolle des Tierwohls überhaupt möglich?
Daniel Häfliger, Migros-Genossenschafts-Bund (MGB), Leiter Category Management Fleisch, Geflügel, Fisch, Charcuterie: Grundsätzlich sind wir daran interessiert, möglichst viel aus Schweizer Produktion zu verkaufen. Beim Schweinefleisch zum Beispiel sind es fast hundert Prozent. Doch bei Edelstücken wie Rindsentrecote oder Filet ist die Nachfrage deutlich höher als das Angebot. Deshalb sind wir auf Importe angewiesen. Mit unserem Tierwohl-Projekt im Rahmen der «Generation M» wollen wir auch auf tierischen Importprodukten der Fleisch-, Eier- und Milchproduktion die hohen Schweizer Tierstandards erreichen.
Wir haben eine partnerschaftliche Beziehung zu unseren Lieferanten im Ausland, mit denen wir das Projekt umsetzen. Trotzdem wird es für uns zur grossen Herausforderung, die unterschiedlichen Standards der einzelnen Lieferanten auf das Schweizer Tierwohl-Niveau zu heben.
Bernhard Kammer, MGB-Leiter Entwicklung Nachhaltigkeit Beschaffung Frische/Food: Die Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist ganz wichtig. Unsere Lieferanten haben womöglich noch Vorstufen, also bis hin zum einzelnen Mast- und Landwirtschaftsbetrieb. Wir arbeiten mit einem Audit-Konzept und die Transparenz wird dank strenger Kontrolle von externen und unabhängigen Fachleuten sichergestellt.
Der Konsument will letztlich wissen, dass das, was auf der Verpackung steht, auch drin ist.
Kammer: Die externe Zertifizierungsgesellschaft ProCert Safety AG stellt dies sicher. Zusätzlich berät uns der Schweizer Tierschutz STS bei Umstellungen vor Ort im Ausland. Der STS begleitet und begutachtet unsere Projekte, sei das für Huhn, Schwein, Kaninchen und weitere Tiergattungen. Die Organisation hat aber keine Kontrollfunktion. Dafür sind einzig Fachleute unter dem Lead der genannten Zertifizierungsgesellschaft zuständig. Jeder einzelne Landwirtschafts- und Mastbetrieb, von dem wir tierische Produkte beziehen, wird unter die Lupe genommen. Die Umstellung auf den hiesigen Tierstandard erfolgt Schritt für Schritt und soll spätestens im Jahr 2020 umgesetzt sein.
Sie arbeiten mit einer sogenannten Risikoanalyse für jede Tiergattung. Wo ist primär Handlungsbedarf angesagt?
Kammer: In einer ersten Phase haben wir eine Risikoanalyse zusammen mit dem Schweizer Tierschutz STS durchgeführt. Diese wird laufend aktualisiert. Fünf Kriterien des Tierwohls stehen im Vordergrund: die Tierhaltung, die Tiergesundheit, die Fütterung, der Transport und die Schlachtungsmethode. Je nach Tierart ist der eine oder andere Parameter wichtiger. Diesbezüglich arbeiten wir eng mit dem Schweizer Tierschutz STS zusammen.
Häfliger: Die Risikoanalyse hat uns gezeigt, dass der grösste Handlungsbedarf bei den Truten und Kaninchen liegt; da importieren wir 75 respektive 80 Prozent. Für diese zwei Tierarten konnten wir die Situation bereits im letzten Jahr verbessern. In Ungarn haben wir etwa 30 Trutenställe nach Schweizer Vorgaben umgerüstet oder neu gebaut. Die Tiere haben heute mehr Platz, Tageslicht im Stall und Zugang zu einer Art Wintergarten, um nur drei Aspekte zu nennen.
Als Nächstes müssen wir den Poulet-Bereich anpacken und anschliessend die Schweinemast. Bei den Importeiern ist die Situation der Legehennen anzupassen.
Kommen dereinst alle importierten tierischen Produkte in den M-Regalen mit einem Zertifikat oder Label auf der Verpackung daher?
Kammer: Eine definitive Version der Deklaration liegt noch nichtvor. Heute steht auf unserem Trutenfleisch «Herkunft Ungarn, hergestellt nach Schweizer Tierschutzvorschrift». Auf den Verpackungen hat es nicht allzu viel Platz für eine dreisprachige Deklaration. Wir evaluieren zurzeit, welche Botschaft wir mitteilen wollen. Wichtig ist, dass der Konsument diesen Mehrwert sofort erkennt.
Weshalb fehlt der Name des Mastbetriebs?
Häfliger: Auch bei Fleisch aus Schweizer Produktion steht nicht immer der Produzent auf der Verpackung. Das gilt nur für ein bestimmtes Segment. Der Kunde will beim Importfleisch insbesondere wissen, welcher Standard erfüllt wird. Wer sich zusätzlich informieren möchte, erhält entsprechende Angaben auf unserer Website.
Zeigt das Beim Geflügel wäre der Herkunftsnachweis des einzelnen Betriebs vielleicht noch möglich, da jeweils grössere Mengen vom gleichen Mastbetrieb geschlachtet werden. Bei anderen Tiergattungen wäre das aber nicht mit vernünftigem Aufwand zu realisieren.
Zeigt das Projekt bereits Signalwirkung?
Häfliger: Durch das Truten-Projekt in Ungarn haben wir eine Diskussion angeregt und wir wissen, dass diverse Detailhändler am Thema interessiert sind unZeigt dasd ebenfalls nach Lösungen für Importprodukte suchen. Was wir angestossen haben, wird mittelfristig dazu führen, dass grosse Importmengen, die den Schweizer Tierwohl-Standard erfüllen, auf dem Markt sein werden.
Wie wirkt sich das auf die Konsumentenpreise aus? Wie viel teurer wird dadurch beispielsweise die Billiglinie?
Häfliger: Das Wohl der Tiere betrifft auch das »M-Budget»-Sortiment, wie unsere entsprechenden Trutenprodukte in den Filialen heute schon zeigen. Die Umsetzung hat die Produkte nicht verteuert. Ich muss aber ergänzen, dass wir als Unternehmen die Projekte finanzieren; es handelt sich um eine Anschubfinanzierung. Als kommerzielles Unternehmen müssen wir diesen Mehrwert aber zu einem späteren Zeitpunkt auf den Kaufpreis schlagen.
Weshalb wird nicht versucht, vermehrt im Inland zu produzieren?
Häfliger: Wie gesagt, wir sind bemüht, einen grossen Produktanteil aus der Schweiz ins Regal zu bringen. Wir könnten theoretisch hier mehr Edelfleisch wie das Filet produzieren lassen, allerdings müssten wir dann die weniger edlen Stücke exportieren, weil sie der Konsument hier nicht kauft. Der umgekehrte Weg ist einfacher.
Kammer: Bei Poulet- und Trutenfleisch wird die Produktion in der Schweiz zwar stetig erhöht, aber die gewünschten Mengen können nie und nimmer abgedeckt werden. Zudem: Die Rahmenbedingungen wie raumplanerische Aspekte usw. setzen hierzulande der Landwirtschaft teilweise Grenzen für grössere Mastbetriebe. Unabhängig davon würde es nicht unbedingt sinnvoll sein, etwa dann, wenn dafür mehr Futter importiert werden müsste.
Weniger «Food Waste» beim Fleisch würde weniger Schlachtungen bedeuten – das käme dem Tierwohl entgegen.
Häfliger: Fleisch, entlang der ganzen Wertschöpfungskette, ist Vertrauenssache. Im Laden setzt uns das Frischhaltedatum Grenzen. Läuft das Verkaufsdatum ab, bieten wir die Ware zum reduzierten Preis an. Bleiben die Produkte trotzdem im Gestell, offerieren wir sie am Ablauftag vor «zu verbrauchen bis» den Mitarbeitenden zu nochmals stark reduzierten Preisen an. Was dann nicht weggeht, müssen wir entsorgen. Wobei «entsorgen» heisst, dass wir die Ware zum Beispiel einer Biogasanlage zuführen. Wir versuchen damit stetig, den Bereich «Food Waste» zu optimieren.