Mehr Sensibilität für unseren Boden
Der Boden ist zu einem raren Gut geworden – und die knapps-te nicht erneuerbare Ressource. Dabei erfüllen Böden zahlrei-che lebenswichtige Funktionen. Sie sind Grundlage für unsere Nahrungsproduktion, sie speichern und filtern unser Trinkwas-ser und vieles mehr. Grund genug, dazu Sorge zu tragen.
In der vierten und letzten Nummer des BAFU-Magazins «umwelt» vom Dezember 2017 stand das Schwerpunktthema ganz im Zeichen des Bodens. Im Editorial begann die BAFU-Vizedirektorin Franziska Schwarz mit der Frage: Wie viel Erde braucht der Mensch? Sie nahm Bezug auf den berühmten russischen Dichter und Schriftsteller Leo Tolstoi, der diesen Titel 1885 für eine weltbekannte Erzählung wählte. Sie meint, dass der russische Weltliterat nicht von ungefähr das Wort «Erde» wählte: «Wir spüren die Krume, die zwischen den Fingern hin-durchrieselt, und wir riechen, ob sie feucht oder trocken ist, minera-lisch oder durchsetzt mit organischem Material.»
Wovon Tolstoi schon erzählt
In Tolstois Erzählung geht es um einen Bauern, der möglichst grosse Landflächen besitzen möchte. Er veräussert mehrmals seinen Besitz und zieht jedes Mal weiter nach Osten, um seinen Boden zu vergrössern. Schliesslich kann er bei den Baschkiren billig gutes Steppenland kaufen – so viel, wie er von Sonnenaufgang bis -untergang zu Fuss umrunden kann. Er überschätzt seine Kräfte und bricht bei sinkender Sonne vor Er-schöpfung tot zusammen, wohl auch, weil er in seiner Gier zuletzt ver-zweifelt rannte. Der Ausdruck Boden wirkt oft etwas distanziert und abstrakt. Vielleicht ist das auch mit ein Grund, wieso wir vielfach fahr-lässig mit dieser kostbaren Ressource umgehen. «Wir nehmen zwar die Siedlungen wahr, in denen wir wohnen, und die grüne Landschaft, in der wir uns erholen. Dass der Boden beides trägt und noch dazu ein eige-ner Lebensraum ist, besiedelt von unzähligen Kleinstlebewesen, ist uns kaum je wirklich bewusst», sagt Franziska Schwarz. Persönliche und fi-nanzielle Interessen sind meist wichtiger als die Bewahrung des Bodens.
Gesetzlicher Bodenschutz erst seit 1983
Eine gesetzliche Grundlage für den qualitativen Bodenschutz gibt es in der Schweiz erst seit 1983, seit dem Inkrafttreten des Umwelt-schutzgesetzes (USG). Der Bund setzt sich auf verschiedenen Ebenen für einen besseren Bodenschutz ein. Bisher waren die Erfolge eher be-scheiden. Nicht zuletzt auch deswegen, weil auf kantonaler und kom-munaler Ebene die finanziellen und personellen Mittel noch immer knapp sind. Für den quantitativen Bodenschutz ist die Raumplanung zuständig. Mit der am 1. Mai 2014 in Kraft getretenen Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG) soll der Bodenverbrauch eingedämmt werden. Im Gegensatz zur EU fehlt der Schweiz eine integrale Strate-gie für einen nachhaltigen Umgang mit dem Boden.
Wie viel Kulturland geht verloren? Ein Fussballfeld pro Tag, fünf oder gar zehn? Das Bundesamt für Statistik gibt die Antwort: Zwi-schen 1985 und 2010 ist die Siedlungsfläche um fast 600 Quadratkilo-meter gewachsen, grösser als der Genfersee. Gemäss dem im Mai 2017 abgeschlossenen Projekt «Zersiedelung» im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) soll der Trend zu mehr Bodenverbrauch bis Mitte dieses Jahrhunderts anhalten.
In der Öffentlichkeit wird die Tatsache, dass mit dem Boden weit mehr verschwindet als Äcker und Wiesen, viel weniger wahrgenom-men als der Flächenverlust. «Wenn in der Politik über die Bedeutung des Bodens für unser Land diskutiert wird, steht der Kulturlandschutz oder die Ernährungssicherheit im Vordergrund», sagt Ruedi Stähli von der BAFU-Sektion Boden.
Verdrängtes Problem Bodenversiegelung
Ein weiteres oft unterschätztes Problem sind die vielen Infrastruktur-anlagen und Wohn- und Industriesiedlungen. Produktions- und Ge-werbebauten, Wohnhäuser, Schulanlagen oder Sporthallen leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Gleichzeitig verhindern sie oftmals, dass der Boden seine natürlichen Funktionen erfüllen kann, denn das Gros dieser Flächen ist versiegelt. Über 60 Prozent der für Siedlungs- und Industriezwecke genutzten Flächen sind regen-wasserdicht verschlossen – im Mittelland bereits gut zehn Prozent der gesamten Landfläche. Besonders schwer wiegt, dass dabei die natürli-chen Funktionsmechanismen des Bodens unwiederbringlich geschä-digt sind. Die wertvolle Humusschicht ist vielen Gebieten seit der letzten Eiszeit in einem mehrere Tausend Jahre währenden Prozess entstanden. Der Boden stellt einen Lebensraum von gewaltigen Di-mensionen dar. In einer Handvoll Erde tummeln sich mehr Lebe wesen als Menschen auf der Welt.
Weil die Schweiz mit ihrem Boden viel zu wenig sorgsam um-geht, arbeiten das BAFU und andere Bundesämter gemeinsam an einer nationalen Bodenstrategie. Ruedi Stähli erklärt: «Ins Zent-rum möchten wir dabei die vielfältigen Funktionen des Bodens stellen.» Mit klaren Prioritäten will man seiner Zerstörung Gegen-steuer geben.
Dabei steht an erster Stelle die Reduktion des Bodenverbrauchs. In Zeiten des Klimawandels erfüllt der Boden eine weitere Funktion: Er wirkt kühlend auf das Mikroklima in Städten und dichten Siedlun-gen. Zudem hat dadurch der Boden in diesen Orten noch eine weitere Bedeutung. Ohne ihn gäbe es nämlich auch keine Kulturlandschaften, wie wir sie in unserem Land kennen und schätzen. Qualitativ hochste-hende Landschaften seien aber für unser Leben in vielerlei Hinsicht von zentraler Bedeutung, betont Matthias Stremlow, Sektionschef Ländlicher Raum des BAFU. Er nennt dabei Aspekte wie «Identität» sowie «räumlich emotionale Bindung» und spricht vom Trend der Re-gionalisierung. Eine für unser Land attraktive Umgebung stellt zudem das grösste touristische Kapital dar. Der Boden erfüllt also eine un-glaubliche Vielfalt an Aufgaben. Umso mehr gilt es, diese wertvolle Ressource wirksam zu schützen.
Bodenqualität muss punkten
Der 1992 in Kraft gesetzte Sachplan «Fruchtfolgeflächen» (FFF) gewährleistet, dass sich die Schweiz selber (ausreichend) mit Lebensmitteln versorgen kann. Dazu stehen knapp 440000 Hektaren Ackerland unter Schutz. Das ist knapp ein Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Böden. Es obliegt den Kantonen, diese Flächen zu erhalten. Trotz dem revidierten Raumplanungsgesetz bleibt indes bestehen: Der gesetzlich verankerte Schutz des Bodens fokussiert sich weitgehend nur auf die Flächen und lässt dessen Qualität ausser Acht. Mit dem Sachplan Fruchtfolgeflächen berücksichtigt die Raumplanung lediglich die Funktion der Böden. Dies vor allem deshalb, weil fast allen Kantonen bei der Planung zu wenig oder gar keine Bodenkarten als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stehen. Bei der Abwägung raumplanerischer Konflikte fallen so wertvolle Bodenleistungen wie Hochwasserschutz oder Trinkwasserreinigung kaum ins Gewicht.
Dabei wären Instrumente für eine umfassende Bodenbewertung vorhanden. In Deutschland und Österreich dienen Bodenfunktionskarten der integralen Raumplanung. So arbeitet die Stadt Stuttgart erfolgreich mit der Planungskarte «Bodenqualität». Diese bildet Eignung und Funktion der Böden auf einen Blick erkennbar in sechs verschiedenen, farbig gekennzeichneten Stufen ab. Auf dieser Grundlage können Bodenkontingente in Form von Indexpunkten ermittelt und bewertet werden. Die besten Böden erhalten mehr, die schlechteren weniger Punkte. Wichtig ist, dass die Planungsautonomie der Gemeinden in solchen Systemen erhalten bleibt.
So sind sie motiviert, gute Böden zu schonen und so über einen langen Zeitraum eine möglichst hohe Bodenqualität zu bewahren. Ruedi Stähli vom BAFU ist überzeugt, dass ein solches System auch in der Schweiz Zukunft hat: «Damit würde die heutige Bewertung von Böden, die nur die Produktionsfunktion in den Fokus nimmt, durch eine umfassendere Würdigung der Bodenqualität abgelöst.» Aber es sei noch viel Überzeugungs- und Informationsarbeit nötig.