Lean-Methoden und ISO 9001:2015 — Geht das zusammen?

Das Qualitätsmanagement (QM) wird häufig mit übermässigen Dokumentationsaufwänden und Aktivitäten, die der reinen Erfüllung der Anforderung für eine Zertifizierung dienen, assoziiert. Ein echter Mehrwert entsteht jedoch nicht durch die Erteilung des Zertifikats, sondern durch gelebte Prozesse auf allen Hierarchieebenen. Eine Kombination von auf Effektivität fokussiertem QM und auf Effizienz fokussiertem Lean Management kann diesen Mehrwert erhöhen.

Lean-Methoden und ISO 9001:2015 — Geht das zusammen?

Die ISO 9001 ist die wichtigste Norm des Qualitätsmanagements, was sich nicht zuletzt an den Zertifizierungszahlen zeigt [1]. Teilweise wird eben diesem Qualitätsmanagement jedoch nachgesagt, übermässig viele Dokumentationsaufwände zu betreiben und nur zusätzliche Aufwände und keine Mehrwerte zu schaffen. Studien zeigen, was viele Führungskräfte und Qualitätsmanagementbeauftragte bereits instinktiv wissen: Die Motivation für eine Zertifizierung ist entscheidend. Eine Erteilung des Zertifikats zur reinen Aussendarstellung verfehlt weitestgehend die erhofften Verbesserungen. Ein echter Mehrwert entsteht erst durch die Motivation, interne Prozesse zu verbessern [2].

Prozessorientierter Ansatz verstärkt
Das oberste Ziel eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) nach ISO liegt «[…] in der Erfüllung der Kundenanforderungen und dem Bestreben, die Kundenerwartungen zu übertreffen […]» [3]. Die seit Ende der Übergangsfrist verbindliche ISO 9001:2015 hat den prozessorientierten Ansatz weiter verstärkt, indem explizit Prozesskennzahlen gefordert werden. Daneben sind auch Forderungen zur Ausweitung der Analyse des Umfelds, zum Umgang mit Risiken und Chancen und zum Wissensmanagement hinzugekommen. Der Wegfall der expliziten Forderung eines QMBs verstärkt die Verantwortung der Führung [4]. Damit geht die Änderung einher mit Erkenntnissen, die die Bedeutung der Unterstützung der Leitung für ein erfolgreiches QMS hervorheben [2].

 

Gleichzeitig haben sich verschiedene Methoden des Lean Managements längst etabliert und werden in zahlreichen Unternehmen, auch abseits der Stückgüterindustrie [5], angewendet. Der positive Einfluss auf verschiedene Aspekte der Unternehmensperformance ist allgemein akzeptiert [6, 7]. Das übergeordnete Ziel der aus dem Toyota-Produktionssystem entwickelten Philosophie ist dabei die konsequente Erkennung und Vermeidung von Verschwendungen [8].

 

In Unternehmen sind beide Themen teilweise jedoch nach wie vor nicht integriert [9], obwohl der Zusammenhang oft beschrieben wird [vgl. 10, 11]. Auch wenn die Ziele sich leicht unterscheiden, handelt es sich um sich ergänzende Systeme, deren fehlende Integration eine Verschwendung darstellt. Um die Verbindung eines QMS nach ISO 9001 und dem Lean Management aufzuzeigen, werden zunächst die Grundsätze gegenübergestellt. Für eine praktische Umsetzung werden danach ausgewählte Forderungen der Norm mit etablierten Methoden des Lean Managements zusammengebracht.

Eine andere Form von Kundenorientierung
Der Grundsatz der Kundenorientierung der ISO 9001 findet sich, wie in der Abbildung dargestellt, auch in den Gestaltungsprinzipien Vermeidung von Verschwendung, Pull-Prinzip und im Null-Fehler-Prinzip. Entspre­ chend der Ziele des Lean Managements rich­ ten sich diese jedoch eher auf die Innensicht und somit die effizientere Gestaltung der Prozesse. Da Verschwendungen in der Lean-Denkweise als all das definiert werden, wofür der Kunde nicht bereit ist zu zahlen, spiegeln sie eine andere Form der Kundenorientie­ rung wider. Laut Pull wird nur auf Kunden­ bedarf reagiert, und das Null-Fehler-Prinzip besagt, dass keine Fehler an Kunden (auch interne) weitergegeben werden dürfen. Die QM-Grundsätze Führung und Einbeziehung von Personen finden sich ebenfalls im Lean Management wieder, da den Mitarbeitern in diesem eine essenzielle Bedeutung zukommt. Der prozessorientierte Ansatz des Qualitäts­ managements findet sich im Fliessprinzip, da hier Informationen zügig entlang eines Pro­ zesses fliessen und die Organisation an die­ sem ausgerichtet wird. Gleichzeitig haben der prozessorientierte Ansatz und die Stan­ dardisierung vieles gemein und bilden so die Basis für die in beiden Konzepten geforderte Verbesserung [12, 13].

 

Normforderungen «lean» umsetzen Doch wie können Lean Management und ISO 9001 auch operativ zusammengebracht werden? Ein Ansatz kann die Nutzung von Methoden des Lean Managements für die Um­ setzung der Normforderungen sein. Beispiels­ weise wurde bereits gezeigt, dass die Methode des Shopfloor Management (SFM) die erhöhte  Führungsverantwortung der Normrevision operativ unterstützen kann [14]. Daneben gibt es weitere etablierte Methoden, die bei der Umsetzung der Normforderungen unterstüt­ zen können. Beispielhaft soll im Folgenden auf einige davon eingegangen werden.

 

Eine der Normänderungen ist die Forde­ rung nach Prozesskennzahlen. Diese sind im Lean Management bereits als Steuerungs­ instrument vertreten. Methoden, die hier ge­ nutzt werden können, sind die Prozessstan­ dardisierung, das SFM und Andon. Eng damit in Verbindung steht die Methode Hoshin Kan­ ri, die ein übergeordnetes Ziel für eine erfolg­ reiche Prozesssteuerung vorgibt und so die einheitliche Ausrichtung im Unternehmen ­sicherstellt. Durch die Methode des Hoshin Kanri wird die Unternehmensstrategie entwi­ ckelt, auf die Einheiten heruntergebrochen und durch Massnahmen umgesetzt [16]. Da­ durch können Normforderung des Kapitels 6.2 «Qualitätsziele und Planung zu deren Errei­ chung» erfüllt werden. Da Hoshin Kanri den gesamten PDCA-Zyklus abdeckt, wird auch die Erreichung der Ziele überprüft und so werden bereits Teile von Kapitel 9 «Bewertung der Leis­ tung» erfüllt [17, 18]. Um hier ein zertifizier­ bares Niveau zu erreichen, müssen die entspre­ chenden Anforderungen an dokumentierte Informationen beachtet werden. Durch die Neueinführung dieses Begriffs in der Normre­ vision haben Organisationen nun jedoch mehr Freiheiten bei dessen Ausgestaltung.

 

Die neuen Forderungen zum Wissensmanage­ ment können ebenfalls sehr gut mit Methoden des Lean Managements umgesetzt werden, da eines seiner Hauptanliegen ist, die Mitarbeiter zu befähigen, das System zu verbessern. Im Me­ thodenkatalog bieten sich hier die den Gestal­ tungsprinzipien Selbstentwicklung und Coa­ ching zugeordneten Methoden Arbeitsstruktu­ rierung, Kompetenzprofil und Qualifikations­ matrix an. Dabei sollte auch der Zusammen­ hang zur Digitalisierung und den damit einher­ gehenden Veränderungen beachtet werden [19].

 

Durch die im Lean Management als Kun­ denorientierung bezeichnete Methode sollen die Anforderungen der Kunden (sowohl intern als auch extern) in den Unternehmensprozes­ sen berücksichtigt werden [16]. Um die neuen Anforderungen der Norm zur Erfassung der interessierten Parteien zu erfüllen, ist es denk­ bar, weitere Stakeholder in diese Methode ein­ zubetten. Hier kann also auch eine Ergänzung von Lean-Methoden durch das QM stattfinden.

QMS als Impuls für Lean Management
Die dargestellten Beispiele zeigen, dass eta­ blierte Methoden des Lean Managements Nor­ manforderungen erfüllen können und so die Integration von Lean und ISO 9001 erhöht und doppelte Aufwände reduziert werden kön­ nen. Es zeigt sich allerdings auch, dass nicht für jede Aufgabe aus der ISO 9001 eine Lean-Methode existiert. So kann ein QMS durchaus dazu beitragen, die Lean-Methoden im Unter­ nehmen zu verstetigen und durch geeignete Dokumentation festzuhalten. Gleichzeitig beziehen sich Lean-Methoden, trotz Bemü­ hungen der Verallgemeinerung auf ein soge­ nanntes Lean Enterprise, häufig noch auf die direkt an der Wertschöpfung beteiligten Be­ reiche. Die Norm hat diesbezüglich einen wei­ teren Fokus und zieht bereits Dienstleistungs­ erbringung und indirekte Bereiche mit ein.

 

Damit kann eine Kombination beider Ansätze genau das unterstützen, was einen Mehrwert ausmacht – durch die Nutzung eta­ blierter Lean-Methoden wird der Fokus auf die Verbesserung interner Prozesse gelegt, und die intensive Auseinandersetzung mit inter­ nen Abläufen kann gleichzeitig die Wirt­ schaftlichkeit und die Erfüllung der Kunden­ anforderungen sicherstellen. Die Methoden sollten sich dabei immer in den Gesamtkon­ text der Organisation einfügen und nicht nur aus dem Grund der Zertifikatserlangung durchgeführt werden.

 

 

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