Kunst der Innovation

Ideen finden, bewerten, finanzieren und umsetzen, das sind die Themen aller Lehrbücher rund um Innovation. «Personenkeimfrei» geht es dabei zu, meint Professor Gunter Dueck, bis 2011 Cheftechnologe bei IBM, und fragt, welche Barrieren eine Innovation im Unternehmen überwinden muss. Im MQ-Interview erläutert er, worauf es bei Innovationen tatsächlich ankommt.

Kunst der Innovation

 

 

 

 

Herr Professor Dueck, Sie haben 25 Jahre bei IBM versucht, immer mal etwas Neues auf die Beine zu stellen. Geht das in einem Konzern so einfach?

Ja, doch – es geht! Ich hatte einige Lehrjahre oder Ehrenrunden, die hätte man mit Intrapreneuring- Training sicher kürzer gestalten können.

 

Intrapreneure gelten als «Angestellten- Unternehmer», die kreativ zur Sache gehen …

Ja, aber das muss trainiert werden! Innovatoren müssen nicht nur unternehmerisch sein dürfen, wie immer laut gefordert wird, sondern sie müssen auch dazu fähig sein und Talent haben. Das wird oft vergessen.

 

Innovationsmanagement hilft dabei?

Innovationsmanagement «erlaubt» ja nur, etwas zu unternehmen, und dann verlangt es ganz banal-naiv den vollen Erfolg der Anstrengungen. Innovationsmanagement gestattet quasi einem Menschen, der die Idee zu einem neuen Kochrezept hat, die Zutaten zu diesem Rezept zu kaufen, also eine Art Investment, und dann nach der Idee das neue Gericht zu kochen. Das ist dann die Realisierung. Ob der Mensch mit der Idee überhaupt gut

 

Innovationsmanagement greift zu kurz

 

kochen kann, interessiert Innovationsmanagement in der Regel nicht.

 

Permanenter Wandel wird als Erfolgsfaktor für Unternehmen propagiert. Trotzdem, sagen Sie, geht nichts wirklich Neues voran …

Innovation hat etwas mit zuversichtlichem Willen zu tun. Man geht freudig und tatkräftig in die Zukunft. Später begreifen die anderen Unternehmen, wohin die Reise geht. Sie müssen jetzt nachziehen. Das ist zu diesem Zeitpunkt kein Spass mehr. Ich sage immer: Innovation ist wie Wollen, Wandel ist wie Müssen. Wandel ist von den Verhältnissen erzwungene Innovation, eine Reaktion auf beginnende darwinsche Auslese. Wenn zum Beispiel früher eine Eiszeit kam, besorgten sich die ersten Menschen Tierfelle. Andere warteten, bis sie halb erfroren waren, und schauten dann nach Tierfellen, aber es gab kaum noch welche …

 

Können Sie die wichtigsten Haltungen nennen, mit denen Innnovationen verhindert werden?

Innovationen werden ja nicht direkt verhindert, sie scheitern meist daran, dass sie wie normales bekanntes Tagesgeschäft gemanagt werden sollen. Da hat man Absatzschätzungen, Kostensätze und Gewinnvorstellungen. Alles ist mehr oder weniger genau bekannt, es gibt Regeln und Abläufe. Innovationen suchen erst nach ihrer endgültigen Form, man muss probieren und immer wieder verändern, je nachdem, was die ersten Interessenten und später Kunden sagen. Diese unternehmerische Vorgehensweise ist dem Verwalten des Tagesgeschäfts ganz und gar fremd und sogar «verdächtig» oder unangebracht. Weil das so ist, sind alle Manager gut im Tagesgeschäftsmanagement und fast keiner als Unternehmer.

 

Das heisst, man tritt lieber auf der Stelle …?

Hinzu kommt, dass Manager «Erfolg » sehen, wenn das Tagesgeschäft brummt. Dass Banken ins Internet verschwinden, Autoproduzenten bei allgemeinem Car- Sharing fast zumachen können etc. ist nicht Gegenstand des Tageshorizontes und der Gehaltstabellen. Die Zukunft mit ihren derzeitigen Herausforderungen ist gar nicht richtig im Bewusstsein, und wenn sie doch einmal aufblitzt, wird sie keinesfalls nüchtern mit allen ihren Problemen angeschaut, sondern mit erzwungenem Optimismus, so etwa in der Art: «Wir müssen doch mit vollem Herzen an unser angestammtes Business glauben, oder? Sonst könnten wir gleich zumachen!»

 

Sie bezeichnen Innovationen als «echtes Hindernisrennen». Warum tun sich alle so schwer damit?

Es wird nicht als Hindernisrennen gesehen! Die Erfinder erwarten eher rote Teppiche. Wenn man Profi ist, weiss man ja, was alles getan werden muss und wo die Hinder-

 

Eine Innovation muss begeistern

 

nisse liegen. Neulinge reagieren bei Hindernissen eher paranoid, so, als wären die Hindernisse für sie persönlich erfunden: Keiner gibt Geld, keiner will Risiko, es lässt sich nicht verkaufen, alle mäkeln! Eine Innovation muss eben begeistern, dann tun sich auch Türen von selbst auf.

 

Warum sollte man das, womit man jahrelang erfolgreich war, durch eine neue Idee infrage stellen?

Ich bin mir nicht sicher, dass die Innovationsträgheit daraus entsteht. Mehr so: Das Neue muss klein angefangen werden, so wie wenn man mit 60 noch einmal ein Baby bekommt oder einen Walnussbaum pflanzt – der Ertrag kommt viel später. Dazu kommt, dass das Neue einfach neue Fähigkeiten verlangt, die man erwerben müsste. Meist scheut man sich vor der Erkenntnis, dass diese neuen Fähigkeiten nicht da sind, auch weil man fühlt, dass man für das Neue wahrscheinlich oder vielleicht kein Talent hat.

 

Das tönt ja nicht gerade optimistisch …

Nehmen Sie so etwas Einfaches wie einen Englischlehrer von 1970 – der lehrte Englisch und konnte es nicht – das merkt heute jedes Kind, weil es Englisch an jeder Ecke mitbekommt. Jetzt muss der Englischlehrer wirklich selbst die Sprache mündlich beherrschen – schon allein dies ist schwer. Denken Sie das einmal in solchen Mikroumgebungen durch, dann spüren Sie, wie schwer es für grosse Unternehmen sein muss, in einem neuen Gebiet ohne Erfahrung und die nötigen Fähigkeiten wieder freudig unter brennendem Ehrgeiz Grundsteine zu setzen.

 

Jede Neuerung braucht einen Businessplan. Sie vergleichen den mit einem Kochrezept, bei dem der Schreiber keine Vorstellung vom Kochen hat …

Weil die Erfinder nur erfunden haben, aber fast nie Unternehmer sind, zwingt man sie, ihre Lage wenigstens einmal theoretisch zu überdenken. Dieser Besinnungsaufsatz ist dann der Business Case. Für Profis fühlen sich Business Cases eher wie Zwangsjacken an. Stellen Sie sich vor, ein Fünf-Sterne- Koch hat eine Wahnsinnsrezeptidee und Sie zwingen ihn aufzuschreiben, wie er das dann Schritt für Schritt kocht – mit Zeitplan und Kosten! Und danach muss er die erfolgreiche Erledigung jedes Kochschrittes dokumentieren!

 

Lernen, experimentieren und probieren: Innovatoren wird damit das

 

Erstklassige Entrepreneure

 

Leben in Unternehmen schwer gemacht. Woran liegt es?

Na, eben daran, dass normales Management Schritt für Schritt die Arbeit vorgibt und vorher die Kosten und die Resultate plant und festlegt. Experimentelles Herantasten an das, was der Kunde später kaufen wird, ist nicht wirklich planbar, also auch nicht klassisch zu managen. Beim Management ist es sehr wichtig, einen guten Plan zu haben, bei Innovation braucht man einen erstklassigen Entrepreneur.

 

Steve Jobs galt als Innovator par excellence. Was hat Apple anders gemacht?

Steve Jobs ist so ein Entrepreneur gewesen, mit festen Überzeugungen und hartem Durchsetzungswillen. Er wird nun vergöttert, weil er Apple zum wertvollsten Unternehmen werden liess. Man sieht aber, dass sich auch Apple wieder «häuten» muss, weil nun Samsung im Verein mit Google am «Internet der Dinge» arbeitet, während Apple vielleicht zu sehr die Macht im rein Digitalen anstrebt. Samsung wird das Android-System bald in alle Haushaltsgeräte einbauen … Auf dieser Baustelle ist Apple nicht. Die wirkliche Bewährungsprobe hat ein Unternehmen, wenn es sich neu erfinden muss. Das ist die Kunst! Apples Aktienkurs wetterleuchtet ja schon.

 

Welche Talente und Fertigkeiten müssen Innovatoren mitbringen?

Das werde ich so oft gefragt! Gegenfrage: Welche Fertigkeiten muss ein Geigenstar oder ein Fünf-Sterne- Koch haben? Ich will sagen: Die benötigten Fertigkeiten sind an sich ja klar. Das Problem ist, das man echt gut sein muss, nicht einfach nur Fertigkeiten haben. Eine gute Komposition allein garantiert noch keine virtuose Aufführung, ein geniales Rezept noch kein Festessen. Das ist eigentlich jedem klar, aber bei Innovationen glauben die meisten, dass eine gute Idee schon die halbe Miete ist. Sie denken: «Ich habe die Idee, jetzt werde ich noch schnell Unternehmer.» Vielleicht ist eine gute Komposition wirklich schon eine halbe Miete, aber das Erlernen des Geigenspiels oder des Unternehmerseins dauert ein paar Jahre … Dieses Quartal wird es nichts mehr damit.

 

Kann die agile Softwareentwicklung zum Vorbild für Innovationen in Unternehmen werden?

Agile Softwareentwicklung ist eine Methode für Spitzenkönner. Verstehen Sie? Wieder das gleiche Problem. Die meisten Leute glauben, man müsse nur die «agile Methode » benutzen, und schon sei der Erfolg garantiert. Sie glauben also in unserem vorigen «Geigenkontext », dass sie allein schon dann wundervolle Geigensoli spielen könnten, wenn sie eine Stradivari hätten. Dass sie ausserdem Spitzenkönner sein müssen, wollen sie nicht hören. Bei Innovationen aber geht es eigentlich nur um Spitzenkönner. Und dann ist die «agile Methode » wirklich angebracht.

 

Etwas Neues kann sich oft nur durchsetzen, wenn es zur eingefahrenen Strategie und Struktur passt und möglichst wenig Ärger bringt …

Ja, klar! Ein guter Innovator sollte das Talent haben, sich in die Strukturen eines Unternehmens einzufühlen zu können und es irgendwie hinzubekommen, dass es doch passt, obwohl es nicht passt. Da fällt mir ein guter Schachzug ein: Sie fordern öffentlich den obersten Chef auf, Sie verdammt noch mal «machen zu lassen», und Sie würden einen Kasten Champagner wetten, dass Sie allein das Unternehmen erneuern. Oft lächeln die Chefs und sagen dann: «Okay, die Wette gilt, ich sehe es mir an.» Bei dieser «Methode» muss man keinen Business Case schreiben, der ist ja durch die Wette ersetzt … Ich weiss, es klingt jetzt abenteuerlich, aber bei manchen Kraftmenschchefs geht das. Warum aber? Weil es für Innovationen Mut braucht, der ist selten. Wer Mut hat und Durchsetzungsstärke zeigt, dem wird nicht wirklich viel in den Weg gelegt. Wenn man jemanden machen lässt, muss man es ihm doch zutrauen! Das ist wichtiger als Zahlenjonglieren und Marktzahlen.

 

Kann man Innovation, die mit viel Unsicherheit verbunden ist, «planen », «steuern» und unter Kontrolle halten?

Glaube ich nicht! Man kann insbesondere nicht planen, wann eine Innovation den Durchbruch schafft. Oft ist eine Idee viel zu früh dran – ach, meistens ist sie zu früh. Denken Sie an den Tablet Computer «Newton» von Apple vor langer Zeit. Den wollte dann doch keiner, weil die Batterien zu schwach waren, die Speicher zu klein, der Bildschirm zu dunkel, wenn man auf der Parkbank sass – und da gab es noch kein Funkinternet etc., etc. Der Newton-PDA kam 1993 und wurde 1998 von Steve Jobs eingestellt. Aber die Strukturen veränderten sich damals, die Batterien und das Netz. Und siehe da: Plötzlich wollen es alle, das iPad …

 

Passiert so etwas oft?

Ja, ganz oft. Gute Innovatoren bekommen ein Gefühl, wann es soweit ist, die meisten träumen zu früh. Pläne helfen da nicht, man muss probieren und die Resonanz der Kunden fühlen. Ich will jetzt nicht sagen, dass man gar keinen Plan braucht! Klar muss man einen haben, und zwar in dem Sinne, dass man sehr gut weiss, was man tut. Ein Plan soll einem selbst zeigen, dass man an alles gedacht hat, er muss andere überzeugen, dass es geht und ihre Mithilfe wert ist. Man muss in allen Lagen ausstrahlen können, dass man es schafft. Das geht nicht ohne Plan.

 

Also eher eine Handlungsanleitung, wie man bei der Innovation vorgehen will?

Ja, aber heute wird unter Plan ein extrem detailliertes Durchführungsrezept verstanden, das gnadenlos angewandt wird, egal was passiert. Die Controller steuern ja gar nicht, sie überwachen die Ausführung und schimpfen bei Abweichungen. Das kann man tun, wenn es Rezepte gibt, also im Tagesgeschäft, sonst aber nicht. Sie sehen ja, was mit Plänen bei Stuttgart 21 oder der Elbphilharmonie in Hamburg geschieht … Es ist eine Kunst für sich, etwas beim ersten Mal gleich richtig zu machen.

 

Worin unterscheidet sich die Arbeit an und mit Innovationen von der sonstigen, normalen Arbeit?

 

Innovation ist «Metaarbeit»

 

Normale Mitarbeiter arbeiten nach Rezept ab. Vorgang für Vorgang, Kunde für Kunde. Innovation erschafft diese Rezepte neu. Innovation ist eine Art «Metaarbeit», wie auch jedes «Change Management». Arbeit ist Erledigung in einem festen System der Arbeit. Change und Innovation arbeiten an (nicht: in) einem neuen System, mal evolutiv, mal radikal zerstörerisch oder disruptiv.

 

Und worin besteht der Unterschied?

Ein bisschen Evolution können wir alle verkraften, aber wirklich nicht zu viel – bei etwas grösserer Veränderung fängt schon die echte «Metaarbeit» an. Im Management sind sich alle einig, dass Change Management die anspruchsvollste aller Disziplinen ist. Und vor dieser Tatsache stehe ich staunend: Ist nicht die nicht-evolutive Innovation viel schwieriger als «bloss» Change? Bei «Change» kenne ich doch vorher das Ergebnis – bei Innovation nur so ungefähr. Warum wird die Profession des Innovators so gnadenlos unterschätzt? Ja, und weil das so ist, hagelt es Misserfolge. Nicht nur, weil Innovation schwierig ist – sondern weil nicht verstanden wird, wie schwierig sie ist.

 

Herr Professor Dueck, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

 

 

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