Kreativität und Gesundheit

Mit Blick auf die zentrale Bedeutung von Kreativität und Innovation und die dramatischen Entwicklungen psychischer Erkrankungen hat eine aktuelle Studie die Zusammenhänge von Kreativität und Innovation mit der psychophysischen Gesundheit der Mitarbeiter untersucht.

Kreativität und Gesundheit

 

 

 

Als das Jahr 2009 von der Europäischen Union zum «European Year of Creativity and Innovation» ausgerufen wurde, wollte man damit das Bewusstsein der Bedeutung von Kreativität und Innovation für die persönliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung schärfen. Die Kern

 

Eine Frage des Überlebens

 

botschaft war klar: Vor allem im Wirtschaftsleben werden Innovationsfähigkeit und Kreativität zum zentralen Thema für die Überlebensfähigkeit von Unternehmen. Kreative Ideen statt standardisierter Produktionstechnologien sind für Unternehmen unerlässlich, um am Weltmarkt bestehen zu können.

Erfolg mit den «besten Köpfen»

 

Damit rückt der Mensch mit seinen kognitiven Fähigkeiten in den Fokus des Interesses. Muskelkraft und physische Leistungsfähigkeit werden immer mehr zum austauschbaren Arbeitskapital, wie die Verlagerung von Produktionstätigkeiten in sogenannte «Billiglohnländer» zeigt. Wettbewerbsvorteile lassen sich mit diesen klassischen Arbeitsfähigkeiten nicht erzielen – übrigens auch nicht mit hervorragenden Produktionsfaktoren, die heute an vielen Standorten reproduziert werden können. Erfolgreich in der Wissensgesellschaft sind vielmehr diejenigen Unternehmen mit den «besten Köpfen». Begriffe wie «Humankapital» oder «Human Resource Management» beherrschen seitdem jeden Kongress und die betriebswirtschaftliche Diskussion.

 

Fraglich bleibt jedoch, ob die propagierten Strategien zur Förderung des Humankapitals wirklich angemessen sind. Von den Menschen wird eine immer höhere zeitliche und örtliche Flexibilität erwartet, Routinetätigkeiten nehmen ab, der Zeitdruck nimmt zu, die Eigenverantwortung steigt. Im Sog moderner Informationstechnologien wird die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen rasch zur Überforderung. Multitaskingfähigkeiten und ständige Verfügbarkeit prägen viele Jobs. Und: Parallel wird immer mehr «Kreativität» eingefordert. All das lässt eine neue Lebens- und Arbeitswelt entstehen – geprägt von zunehmender Unsicherheit, erheblichem Stress und beeinträchtigten Möglichkeiten zur Erholung. Die Folge: Veränderte Leistungsanforderungen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmer.

 

Hinzu kommt der demografische Wandel. «Alternde» Industrienationen wie die Schweiz und Deutschland sind davon besonders betroffen. Der Kampf um qualifizierte Fachkräfte ist voll entbrannt. Unternehmen werden in naher Zukunft nur dann konkurrenzfähig sein können, wenn sie sich als «guter» Arbeitgeber und mit Arbeitsbedingungen auszeichnen, welche die Gesundheit und das Leistungsvermögen ihrer Mitarbeiter erhalten und fördern.

Psychische Erkrankungen

 

Doch während Unfallzahlen und Berufskrankheiten eher sinken, nehmen depressive Störungen und psychische Erkrankungen dramatisch zu. Genaue Angaben dazu fehlen in der Schweiz. Dennoch malen internationale Experten ein düsteres Bild. Laut Statistiken des Bundesverbands der deutschen Betriebskrankenkassen hat sich der Anteil der psychischen Erkrankungen an den Krankheitstagen in kurzer Zeit verdreifacht. Produktionsausfälle in Milliardenhöhe sind die Folge. Die Weltgesundheitsorganisation WHO prognostiziert für die nahe Zukunft der Industrieländer das Bild zunehmend psychisch kranker und depressiver Gesellschaften – ein Szenario, das angesichts der anspruchsvollen unternehmerischen Herausforderungen alles andere als optimistisch stimmt.

 

Der Anstieg arbeitsbedingter psychischer und psychosomatischer Erkrankungen rückt als Trend immer mehr in den Vordergrund des Interesses. Angesichts der hohen

 

BedrohlicheLage

 

Kosten krankheitsbedingter Absenzen und Produktionsausfälle wird er von der Wirtschaft inzwischen als ernste Bedrohung wahrgenommen. Immer deutlicher wird: Erfolgsfaktoren wie Innovation und Kreativität brauchen einHinzu komm Korrelat bei der psychophysischen Gesundheit der Mitarbeiter, sonst greifen sie nicht.

 

Die Zusammenhänge zwischen Arbeit und Gesundheit sind bekannt. Doch die Frage nach den «gesundheitskritischen» Aspekten im Umgang mit Kreativität als Arbeitsanforderung bleibt weitgehend ausgeblendet. Welche Formen der Arbeitsgestaltung fördern Kreativität und Gesundheit? Wo liegen die hemmenden Arbeitsbedingungen? Antworten darauf sollen die Entwicklung von betrieblichen Interventionen vorbereiten helfen. Mit ihnen hat sich ein Projekt, initiiert durch die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAU), befasst. Vor Kurzem wurde der Abschlussbericht vorlegt (siehe Kasten).

 

Neu, originell und nützlich

Kreativität in der Arbeit

 

Im Unterschied zur allgemeinen (neurobiologischen) Kreativitätsforschung gibt es für die Beschreibung und Erklärung von Kreativität in der Arbeit vergleichsweise wenig Theorien. Dabei ist man sich darin einig, dass für Unternehmen kreative Leistungen Produkte, Ideen oder Prozeduren umfassen, die zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen neuartig und originell sowie für die Organisation nützlich sein. Bei Kreativität handelt es sich um Leistungen auf einer individuellen Ebene, während die (erfolgreiche) Implementierung dieser Ideen auf organisationaler Ebene als Innovation bezeichnet wird. Innovation wird dabei als kontinuierlicher Prozess von der Ideengenerierung und Weiterentwicklung der Ideen bis zu ihrer Umsetzung und Stabilisierung verstanden, ein Prozess, der wesentlich durch die Kreativität der Mitarbeiter angestossen wird. Damit diese ihre kreativen Potenziale entfalten können, darüber entscheiden nicht nur, aber in hohem Masse die Arbeitsbedingungen.

 

Was zeichnet eine kreative Person aus? Neben Faktenwissen, technischem Können und der Fähigkeit, Probleme dank neuer Perspektiven lösen zu können, spielt die intrinsische, von innen her kommende Motivation oder der Wille, dies auch zu tun, eine entscheidende Rolle. Der Grad der Kreativität ist umso höher, wenn sich die persönlichen Fähigkeiten und Talente einer Person mit ihrer intrinsischen Aufgabenmotivation überlappen.

Was fördert, was behindert Kreativität?

 

Unternehmen können diese Haltung über die Organisationskultur und Arbeitsgestaltung am gezieltesten und am schnellsten fördern. Kreativitätsförderliche Arbeitsbedingungen sind dabei: herausfordernde Arbeitsaufgaben, Freiheit (im Sinne von Tätigkeitsspielräumen), ausreichende materielle und immaterielle Ressourcen, Unterstützung durch die Merkmale einer Arbeitsgruppe, Unterstützung des Vorgesetzten und durch die Organisation.

 

Umgekehrt wird Kreativität behindert durch organisationale Bedingungen wie Mikropolitik, also die vielen alltäglichen «kleinen» Machtspiele, durch harsche Kritik an neuen Ideen, Vermeidung von Risiken etc. sowie durch Arbeitsbelastungen (zum Beispiel Zeitdruck, unrealistische Erwartungen und Ablenkungen von kreativer Arbeit). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Arbeitsplatzmerkmale die deutlichsten Prädiktoren für Kreativität sind, insbesondere die Arbeitskomplexität, Autonomie bzw. Tätigkeitsspielräume und wahrgenommenen Kreativitätsanforderungen.

Beanspruchungen im Fokus

 

Beanspruchungen wirken auf den Menschen einerseits positiv und gesundheitsfördernd. Der arbeitende Mensch baut durch sie Funktionen wie zum Beispiel seine Muskeln auf und erhält sie, er

 

Positive und negative Beanspruchung

 

schult das Gedächtnis oder übt Fertigkeiten ein – subjektiv und leistungsbestimmend. Durch Beanspruchung mobilisiert er Ressourcen und aktiviert Funktionen. Positive Beanspruchungsfolgen zeigen sich vor allem in Hinblick auf Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung, aber auch in der Arbeitszufriedenheit. Neben der erwähnten intrinsischen Arbeitsmotivation konnte die Stärkung bzw. der Erhalt der individuellen fachlichen Kompetenz und der intellektuellen Leistungsfähigkeit als Folge einer günstigen Konstellation von Anforderungen und Ressourcen gezeigt werden. Auch Selbstvertrauen, soziale Kompetenz, Engagement und spezifische Merkmale wie intellektuelle Flexibilität und Kreativität werden als positive Beanspruchungsfolgen bestätigt (Grafik 1). Andererseits setzt sogenannte «Fehlbeanspruchung» die Leistungsfähigkeit herab, schwächt die aktuell verfügbaren Ressourcen und mindert das Wohlbefinden. Es kommt individuell zu Leistungsschwankungen, Nachlassen der Konzentration und Fehlern. Lernprozesse bleiben aus. Frustration und Anspannung gehen mit Ermüdungs-, Monotonie- oder Sättigungsgefühlen einher. Psychische Ressourcen wie Konzentration, Aufmerksamkeit oder Ausgeglichenheit – als wichtige Voraussetzungen zur erfolgreichen Bewältigung von Arbeitsaufgaben – werden nicht mehr angemessen regeneriert. Mittelfristig treten psychosomatische Beschwerden, Resignation und Depressionen als negative Beanspruchungsfolgen in den Vordergrund, Dabei sind oft negative soziale Effekte wie Konflikte, Streit, Aggressionen oder sozialer Rückzug zu beobachten, die ihrerseits neue Problemlagen hervorbringen können.

 

Die moderne Hirnforschung hat gezeigt, dass psychischer Schmerz (etwa das Gefühl, sozial ausgeschlossen zu sein) dieselben Hirnareale aktiviert wie körperlicher Schmerz. Langfristig münden solche Gesundheitsbeeinträchtigungen in manifeste psychische und physische Krankheiten und führen – neben dem individuellen Leid – zu erheblichen Fehlzeiten durch Arbeitsunfähigkeit.

 

IntegriertesVorgehen

Empfehlungen für die Praxis

 

Die Ausführungen zur Kreativität und zu den positiven wie negativen Beanspruchungen in der Arbeit zeigen, wie elementar eine beide Aspekte umfassende Arbeitsgestaltung zukünftig wird. Erfolgreiche Arbeitsgestaltung sollte Kreativität und Gesundheit integriert angehen.

 

Im Projekt der BAU wurde ein Modell entwickelt, das zwei Folgenketten von Bedingungskonstellationen annimmt: Hohe Lernanforderungen und hohe Ressourcen führen vermittelt über positive Beanspruchungsfolgen zu längerfristigen hohen Leistungen wie Kreativität. Hohe Stressoren und geringe Ressourcen führen hingegen vermittelt über negative Beanspruchungsfolgen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen (Grafik 1).

 

Bei der Bestandsaufnahme kreativitäts- und gesundheitsrelevanter Arbeitsbedingungen wurden vier Bereiche identifiziert:

1. Autonomie in der Arbeit

 

Sie scheint den stärksten positiven Einfluss auf Kreativität und Gesundheit zu haben. Um die Autonomie zu erhöhen, sollten den Mitarbeitern weitgehende Tätigkeitsspielräume bei der Arbeit eingeräumt werden. Dazu gehören – in Anlehnung an den Zürcher Arbeitspsychologen Prof. Eberhard Ulich – ein Handlungsspielraum, der den Mitarbeitern erlaubt, Verfahren und Mittel sowie die zeitliche Organisation einer Aufgabe eigenständig auszuwählen; der Gestaltungsspielraum, der Möglichkeiten zur selbstständigen Gestaltung von Vorgehensweisen gibt; und als wesentlichster Aspekt der Entscheidungsspielraum, der Mitarbeitern Entscheidungskompetenzen in ihrer Tätigkeit einräumt. Empfohlen wird daher eine (möglichst) eigenverantwortliche Bestimmung von Ort, Zeit und Inhalt bzw. Art der Leistungserbringung durch den Mitarbeiter.

2. Anforderungsvielfalt

 

Diese hat laut Interviews und Fragebogenstudien eindeutig positive Effekte auf Gesundheit und Kreativität. Neben der Notwendigkeit, Mitarbeitern abwechslungsreiche Aufgaben zu bieten, etwa durch Job Enrichments, kann Anforderungsvielfalt auch indirekt erhöht werden, indem beispielsweise Bereichs-/Abteilungsgrenzen «weich» sind, demnach Kooperation und Unterstützung zwischen Bereichen gefördert oder die Auseinandersetzung der Mitarbeiter mit Problemstellungen anderer Tätigkeitsbereiche positiv gewertet werden.

3. Kreative Selbstwirksamkeit

 

Auch sie trägt massgeblich zu Kreativität und Gesundheit in der Arbeit bei. Wie kann das Erleben kreativer Selbstwirksamkeit gestärkt werden? Auf der Fortbildungsseite ist hier natürlich an die unterschiedlichsten Kreativitätstrainings zu denken, die es Mitarbeitern erlauben, ihre eigene Kreativität zu erleben und die Überzeugung zu erwerben, dass sie kreativ sein können. Aber auch im Betrieb kann kreative Selbstwirksamkeit unterstützt werden. Allgemein wird sie dadurch aufgebaut, dass Menschen Dinge ausprobieren können (Stichwort: Fehlertoleranz) und dass sie Feedbacks durch Führungskräfte über ihre Handlungen erhalten. Eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit erlaubt den Mitarbeitern ein angstfreies Erproben und Spielen mit Ideen, was oft direkt kreative Lösungen ermöglicht.

4. Teamklima, Kooperation und Kommunikation Auch dieser vierte Bereich kann so gestaltet werden, dass Kreativität wie Gesundheit positiv beeinflusst werden. Viele Möglichkeiten zur Stärkung eines positiven Teamklimas und einer guten Kooperation sind hier denkbar – von gemeinsamen Freizeitaktivitäten der Mitarbeiter über flache Hierarchien bis hin zu kommunikations- und kooperationsfreundlicher Gestaltung der Unternehmensräume. Zum Beispiel bieten moderne Bürokonzepte ein Umfeld, das die Kommunikation fördert und sowohl Team- wie auch konzentrierte Einzelarbeit ermöglicht. Mit gemeinsam genutzten Räumen (Archiven und Datenbanken) kann die Möglichkeit zu formeller und informeller Kommunikation und Kooperation gefördert werden. Wenig sinnvoll erscheint allerdings, solche Angebote mit verpflichtenden Regeln zu unterlegen, da im Sinne der Autonomie in der Arbeitstätigkeit dies der Selbstbestimmung der Mitarbeiter zuwiderläuft.

Fazit

 

Vor dem Hintergrund veränderter demografischer Rahmenbedingungen, der Kurzlebigkeit von Innovationen in einem globalisierten Markt und der horrenden einzelbetrieblichen und volkswirtschaftlichen Kosten, die psychische Belastungen verursachen, kann es nur im Sinne aller beteiligten Akteure sein, Arbeit so zu gestalten, dass sie auf Dauer Kre-ativität und Gesundheit fördert und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhält.

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