Klarheit ist Mangelware
In jeder Karriere gibt es einen Punkt mit vielen Fragezeichen: Entspricht diese Position wirklich meinen Talenten? Wo will ich in zehn Jahren stehen? Warum bin ich unzufrieden, obwohl ich erfolgreich bin? Wie geht man mit solchen Situationen am besten um?
Bernd K. hatte jahrelang als Führungskraft in einem IT-Unternehmen gearbeitet und machte einen exzellenten Job. Trotz der grossen Wertschätzung, die ihm entgegengebracht wurde, nagte die Unzufriedenheit an ihm. Er funktionierte nur noch, Spass hatte er an seiner Tätigkeit schon lange nicht mehr. Wenig später wurde ihm die Stelle als Vorstandsvorsitzender angeboten. Natürlich war er voller Stolz und da die Beförderung in die Topebene der nächste logische Schritt in seiner steilen Karriere schien, nahm er das Angebot an. Glaubte er zu Beginn noch, seine Zweifel würden nun verschwinden, stellte er bald fest – das Gegenteil war der Fall. Die Unlust wurde noch grösser, dazu gesellte sich Überforderung. Die indirekte Kommunikation und das Über-Bande- Spielen, die Spielregeln im Vorstand, lagen dem von der Persönlichkeitsstruktur sehr gradlinigen 49-Jährigen überhaupt nicht.
An den eigenen Talenten vorbei …
Nie hatte dieser Mann sich gefragt, ob er überhaupt Führungskraft sein will und dies stets als selbstverständlich angenommen. So quälte er sich durch eine Laufbahn, die ihm gar nicht lag, immer mit dem Gedanken «Wenn ich erst mal den nächsten Karriereschritt getan habe, dann kann ich aktiver gestalten und das diffuse Gefühl, am falschen Platz zu sein, verschwindet. » Tatsächlich ist Bernd K., ein hervorragender Experte, der den Dingen auf den Grund geht und innovative Lösungen entwickelt, in einer Fachkarriere sehr viel besser aufgehoben. Herausgefunden hat er das allerdings erst in der Mitte seines Lebens, als er nah am Burn-out schliesslich externe Unterstützung suchte.
Ein Einzelfall? Als Führungskraft und Executive Coach habe ich vielfach in den unterschiedlichsten Variationen erlebt, wie Topperformer einer Karriere folgen, die an den eigenen Talenten und Möglichkeiten völlig vorbeigeht. Wenn der Frust irgendwann überhandnimmt, reagieren sie oft mit Ausstieg («Jetzt mache ich was ganz anderes» oder «Ich mache mein eigenes Ding») oder Aufstieg («Wenn ich erst mal …, dann …»). Tatsächlich greifen diese Lösungsvarianten in den seltensten Fällen.
Die eigene Karriereplanung wird vernachlässigt
In einer aktuellen Umfrage des Galileo. Institut für Human Excellence in Köln wurden Führungskräfte und Experten in Schlüsselpositionen nach Schwellen- und Krisensituationen in ihrer Karriere gefragt. Die Antworten lassen interessante Rückschlüsse auf aktuelle Stimmungstendenzen im Management zu und bestätigen die genannten Erfahrungen. Der Mehrheit (64 Prozent) fehlt oder fehlte demnach Klarheit über die berufliche Perspektive. Zu den häufigsten Nennungen gehört zudem der Wunsch nach mehr Souveränität in der eigenen Rolle (48,4 Prozent) und nach einem Karriereaufstieg (43,8 Prozent). Rund 42 Prozent der Befragten geben an, dass sie nur
Berufliches und Persönliches unter einem Hut
noch funktionieren und keinen Spass mehr bei der Arbeit haben.
Der von den Umfrageteilnehmern formulierte eklatante Mangel an Klarheit darüber, wie es weitergehen soll, mag überraschen. Aber auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade Topperformer über aller Leistung und Identifikation mit «ihrem» Unternehmen die eigene Karriereplanung stark vernachlässigen.
In der Umfrage wurde auch nach den ersten Lösungsideen gefragt, welche die Leistungsträger in der Situation entwickelten: Hier dominiert der Unternehmenswechsel (58,3 Prozent) vor dem kompletten Ausstieg aus der Karriere (40 Prozent), dem Gedanken, besser werden zu müssen (36, 7 Prozent) oder durch einen Karrieresprung (25 Prozent) die Situation zu verbessern. Dass fast die Hälfte der Befragten über einen kompletten Ausstieg nachdachte, ist doch sehr bedenklich. Zeigt es doch, dass berufliche und persönliche Erfüllung scheinbar für viele Menschen nach wie vor nicht unter einen Hut zu bringen sind.
Der tatsächliche Lösungsweg, den die Umfrageteilnehmer eingeschlagen haben, sah freilich doch sehr anders aus. Bei 98 Prozent lag die erste Lösungsidee ausserhalb des Unternehmens, tatsächlich sind aber 89 Prozent im Unternehmen geblieben. Ein Viertel hat immer noch die gleiche Position inne und hat an seiner Einstellung gearbeitet. 23,3 Prozent der Teilnehmer haben das Unternehmen gewechselt, 20 Prozent sind aufgestiegen, 15 Prozent haben sich selbstständig gemacht, nur 6,7 Prozent haben die beste Position im Unternehmen gefunden. Die Mehrheit allerdings – nämlich 38,3 Prozent – hat nichts unternommen und steckt immer noch in der gleichen Situation!
Nur wenige haben die beste Position inne
Ist das nun für die Unternehmen und die betroffenen Leistungsträger ein gutes Ergebnis? Immerhin bleiben fast 90 Prozent der Befragten ihrem Arbeitgeber letztlich treu. Trotzdem sind die Zahlen fatal: Nur 6,7 Prozent haben laut ei-gener Aussage die beste Position im Unternehmen inne. Das heisst, sie können – und wollen möglicherweise – gar nicht ihr volles Potenzial für das Unternehmen einbringen, Probleme sind vorprogrammiert. Häufig wechseln diese Führungskräfte irgendwann doch das Unternehmen, kommen aber nach einiger Zeit wieder an den gleichen Punkt, weil ihnen nach wie vor Klarheit fehlt.
Die wichtigste Empfehlung an Manager und Experten in Krisensituationen: für Klarheit sorgen, bevor man aktiv wird. Oft lassen wir uns in Krisensituationen dazu verleiten, einem Weg zu folgen, der gängig und daher bekanntermassen gangbar ist – doch Pauschallösungen wie ein Unternehmenswechsel als nächster logischer Karriereschritt haben einen entscheidenden Haken: Es bleibt die eigene Persönlichkeit auf der Strecke. Sie führen daher oft in die Irre und ins permanente Verbiegen.
Was ist Karriere?
Was ist «Karriere» eigentlich? Meiner Definition nach heisst das, für sich selbst die bestmögliche Rolle und Position zu finden. Viele Menschen lassen sich bei ihren Karriereentscheidungen aber von aussen leiten. Die meisten Menschen reagieren auf Angebote, die ihnen zugetragen werden. Dieses Reagieren auf äussere Gelegenheiten ist zwar gängig, birgt aber eine Gefahr: Da eine angebotene Position nur selten vollständig dem eigenen Profil entspricht, fängt man an, sich ein wenig anzupassen – schliesslich möchte man die Position ja bekommen. Dieser Vorgang wiederholt sich im Laufe eines Berufslebens immer wieder. Langsam, zunächst kaum merklich driften das eigene Profil und das Profil der Position auseinander. Wenn die Diskrepanz dann auffällt, ist es zum Gegensteuern oft schon sehr spät. Eine tief sitzende Unzufriedenheit tritt zutage, die schnell zu einer Negativspirale aus fehlender Motivation, Überforderung und abfallenden Leistungen führen kann.
Wie wäre es, wenn man es andersherum macht? Anstatt bei jedem Angebot neu zu entscheiden und sich dabei womöglich jedes Mal ein wenig mehr zu verbiegen, sollten Manager zunächst ein klares eigenes Profil entwickeln mit den persönlichen Stärken, Motiven, Werten und unbedingt nötigen Rahmenbedingungen. Dieses Profil ist von nun an die Grundlage für alle künftigen Karriereentscheidungen.
Das Evolutionsprinzip
Eine weitverbreitete Fehlinterpretation der Evolutionslehre liegt in der Annahme, dass der Stärkere gewinnt. Tatsächlich geht es beim «survival of the fittest» jedoch um denjenigen, der am besten um seine Stärken weiss und in der Lage ist, sich an die permanent verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Damit ist Evolution ein biologischer und sozialer Prozess, bei dem diejenige Art überlebt, die ihre besonderen Fähigkeiten am besten kennt und einsetzt – und zudem in der Lage ist, sich mit diesen Stärken ihrem Umfeld, das sich ständig verändert, erfolgreich anzupassen.
Überträgt man diese Erkenntnis auf das Agieren und Interagieren von Menschen, lässt sich daraus eine klare Botschaft ableiten. Mit einer erfolgreichen und persönlich zufriedenstellenden Entwicklung kann derjenige rechnen, der folgende Aspekte beherzigt:
- Er weiss um seine wirklichen Stärken, um das Besondere und Einzigartige, das in ihm angelegt ist.
- Er vertraut diesen Anlagen und sorgt dafür, dass sie sich entfalten können.
- Er ist sich der Tatsache bewusst, dass sich das Umfeld permanent ändert.
- Deshalb nutzt er seine Fähigkeiten auch dafür, sich an die ständig verändernden Rahmenbedingungen anzupassen.
Vorgänge aus der Natur können an vielen Stellen helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen und Lösungen für Führungs- oder Organisationsprobleme zu finden. Nach meiner Überzeugung lohnt es sich gerade bei der persönlichen Karrieregestaltung ganz besonders, die Natur und hier speziell das Muster der Evolution zum Vorbild zu nehmen. Es geht hier, wie gesagt, nicht um Überlegenheit durch Macht und Stärke. Vielmehr verlangt das Prinzip der Evolution, sich sehr genau mit sich selbst auseinanderzusetzen, sich auf die eigenen Potenziale zu besinnen – um so mit einem eigenen, klar definierten und unverwechselbaren Profil auf den Markt zu gehen. Das schafft nicht nur persönliche Zufriedenheit und eine gute Verhandlungsposition gegenüber möglichen Arbeitgebern. Ein solches Angebot ist gleichzeitig glaubwürdig und kompetent, weil es auf den ureigenen Stärken und Talenten des Anbieters beruht.
Tatsächlich verstossen jedoch die meisten Menschen gegen das Evolutionsprinzip, wenn es um die eigene berufliche Entwicklung geht. Anstatt ihren eigenen Anlagen den Vorrang einzuräumen, nehmen sie externe Vorgaben zum Massstab. Sie orientieren sich an Mitbewerbern oder Kollegen, ahmen diese nach und werden dadurch untereinander immer austauschbarer, während gleichzeitig die individuellen Besonderheiten immer mehr verblassen. Man wird immer passiver, ist nicht mehr aktiver Gestalter der eigenen Karriere, sondern Spielball. Wer hingegen mit dem glasklaren Profil im Hinterkopf auftritt, weiss sehr genau, welche Kompromisse er machen kann und welche nicht.
Verantwortung übernehmen
Die unbedingt notwendigen Rahmenbedingungen, die persönlichen Stärken, Motive und Werte zu definieren – das bedeutet, Verantwortung für seine eigene Karriere zu übernehmen.
Aber auch Unternehmen und Personaler sind in der Verantwortung: In der oben zitierten Galileo-Umfrage formulieren rund 77 Prozent der Teilnehmer, dass sie sich von ihrem Arbeitgeber in Krisensituationen alleingelassen fühlen. Hier liegt also noch sehr viel Potenzial brach. Unternehmen können mit geeigneten Unterstützungsmassnahmen ihre besten Leistungsträger binden, ihnen die Möglichkeit geben, ihre wirklichen Fähigkeiten für das Unternehmen zu entfalten, und sie zu Magneten für weitere High Performer machen.