Keine Angst vor der Angst zu scheitern
«Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut!» Dr. Dietmar Grichnik, Professor für Entrepreneurship und Direktor des Instituts für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen, weiss aus seinen Forschungsarbeiten, wie stark dieses von dem Komödianten Karl Valentin beschriebene innere Spannungsverhältnis zwischen Möchten und Trauen auch den Schritt in die berufliche Selbstständigkeit blockiert. Doch er weiss auch, wer ihn gewagt hat, arbeitet in grösserer innerer Zufriedenheit.
Herr Professor Grichnik, was steckt hinter dieser Zögerlichkeit, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen?
Dietmar Grichnik: Die grosse Bremse ist die Angst zu scheitern. Sie ist die Ausrede Nr. 1 dafür, nicht entschlossen den Versuch zu wagen, sich beruflich auf die eigenen Füsse zu stellen. Hinzu kommt, auch der gut funktionierende Arbeitsmarkt trägt trotz aller am Arbeitsplatz und um ihn herum gelegentlich empfundenen Misshelligkeiten seinen Teil dazu bei, die Komfortzone der festen Anstellung nicht zu verlas-sen. Und schliesslich gibt es da ja auch noch die Bedenkenträger aus dem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Ihr bremsender Ein-fluss sollte nicht unterschätzt werden.
Und Sie sagen, sich von den widersprüchlichen inneren und auch äusseren Stimmen blockieren zu lassen, ist schlichtweg falsch. Warum?
Weil der Mensch ein Sinnsuchender ist, wie Götz Werner, Gründer und Aufsichtsratsmitglied des Unternehmens dm-drogerie markt so schön formuliert, dessen Geschäftsführer er lange Zeit war. Wird die Selbstständigkeit aus dieser Perspektive betrachtet, dann sind die Op-portunitätskosten der Sinnhaftigkeit, also mein ganzes Berufsleben einer für mich nicht wirklich Sinn stiftenden Beschäftigung nachzu-gehen, höher, als die finanziellen Opportunitätskosten, ein sicheres, aber wenig erfüllendes festes Anstellungsverhältnis zu verlassen. Bei meiner Arbeit treffe ich viele Menschen, die den Schritt in die Selbst-ständigkeit gewagt haben. Viele berichten davon, zunächst oder auch längerfristig weniger zu verdienen als vorher, viel mehr arbeiten zu müssen, aber bei weitem zufriedener zu sein. Diese Zufriedenheit, die ganz stark auch aus der gefundenen Sinnhaftigkeit des Tuns erwächst, wiegt für sie langfristig doppelt und dreifach die Mühen der Selbst-ständigkeit auf.
Und wie steht es mit dem Risiko?
Ratsam ist, dem Beispiel erfahrener Unternehmerinnen und Unter-nehmer zu folgen. Sie definieren einen ertragbaren Verlust, das heisst, sie legen monetär, psychologisch und sozial einen für sie maximalen Zeit- und Kapitalbetrag fest, den sie bereit sind zu verlieren. Das be-grenzt das Risiko auf ein erträgliches Mass und ermöglicht den Schritt ins unternehmerische Neuland, in das Ungewisse.
Professor Grichnik, Sie sind fest davon überzeugt, in jedem steckt ein Unternehmer. Was bringt Sie zu dieser Überzeugung?
Sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch Erfahrung aus mei-ner Arbeit! Sie haben mir gezeigt, niemand wird als Unternehmer ge-boren, aber jeder Mensch bringt die Voraussetzungen dazu mit. Kin-der demonstrieren das. Kinder gehören für mich zu den unternehme-
«Die grosse Bremse ist die Angst zu scheitern.»
rischsten Wesen schlechthin. Ihre unerschöpfliche Kreativität beim Spielen, ihre Kommunikationsfähigkeit, aber auch die Risikotoleranz in ihren Spielen sind unternehmerische Eigenschaften par excellence! Leider nur lassen sich viele im Laufe ihres Lebens diese Unterneh-mungslust und den Aktionsradius, in dem die Freude daran auspro-biert wird, abtrainieren. Das heisst aber nicht, sie ist gänzlich verlo-ren. Statistisch lässt sich die Selbstständigkeit als Karriereepisode nachzeichnen. Sie kann, genau wie eine Berufsausbildung oder ein Studium einen Teil des Lebens einnehmen, früher oder später in je-dem Berufsleben zur Realität werden.
Aber gibt es nicht auch unterschiedliche Mentalitäten, die die einen mehr, die anderen weniger an der Selbstständigkeit Geschmack finden lassen?
Und ob es die gibt! Selbstständigkeit verlangt die Bereitschaft, sich jenseits fester Arbeitszeiten zu engagieren und, bitteschön, sich auch zu strapazieren. Unter Mentalitätsgesichtspunkten verlangt Selbst-ständigkeit Durchhaltewillen und Verzicht. Und ein gerüttelt Mass an Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz. Man muss spannungsvolle, unklare Situationen aushalten und Rückschläge wegstecken können. Das verlangt eine beachtliche Willenskraft, Zähigkeit und Zielstrebig-keit. Und, auch Mentalitätssache, die Leidenschaft für ein Produkt und ein unternehmerisches Vorhaben. Nur diese mentale Verfassung trägt durch viele Stürme der Selbstständigkeit und ist fraglos einer ihrer zentralen Erfolgsfaktoren. Sich bei Widerständen nicht gleich entmutigen zu lassen, sondern beharrlich an deren Überwindung und an verbesserten Lösungen für die gewählte unternehmerische Aufga-be zu arbeiten, das bringt wertvolle Erfahrung, das ist das Erfolgsdo-ping in der Selbstständigkeit schlechthin.
Wovon hängt es letztlich ab, wirklich Wind unter die Unternehmerflügel zu bekommen?
Studien zeigen, die Wahrscheinlichkeit, sich in der Selbstständigkeit zu behaupten, wächst mit der Anzahl der Versuche. Diese bedingte Erfolgswahrscheinlichkeit wird also grösser, je mehr Erfahrungen ge-macht und verarbeitet werden. Wenn auch niemand Misserfolgserst-lebnisse besonders liebt, aus ihnen ist mehr zu lernen als aus Erfol-gen. Was immer wieder vergessen wird, in Misserfolgen und gemach-ten und erkannten Fehlern verbirgt sich ein enormes Weiterbil-dungspotenzial. Vorausgesetzt natürlich, man versinkt nicht in Frus-trationen und Selbstvorwürfen, sondern macht sich daran, zu analy-sieren und darüber nachzudenken, was warum schiefgelaufen ist. Durch diese Sondierungsarbeiten wird der Lernprozess intensiviert und die Handlungssicherheit erhöht. Erkennbar, schlussendlich er-folgreiche Selbstständigkeit gibt es nicht ohne überlegte, systemati-sche Beharrlichkeit, Selbstkritik, beständige unvoreingenommene Lernbereitschaft und den Mut zu sich selber.
Ihr Rat lautet folglich, ins Tun kommen?
Wie anders lässt sich der so wichtige Erfahrungsschatz aufbauen und das soziale Netzwerk aktivieren, um die Reichweite des Vorhabens zu erhöhen und wichtige Ressourcen für die Skalierung des Start-ups zu gewinnen, über die man selber nicht verfügt? Gründer sind notorisch mittellos, dafür aber häufig reich an Ressourcen in ihrem Netzwerk. Und im Weiteren bedeutet ins Tun zu kommen das frühe Testen der konzipierten Kundenproblemlösung am Markt. Das ist für den so wichtigen Product-Market-Fit am Kunden entscheidend, um eine
«Gründer sind notorisch mittellos, dafür aber häufig reich an Ressourcen in ihrem Netzwerk.»
Skalierung – ein Wachstum des Ventures – zu erreichen und es zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen. Wird für möglichst viele Kunden ein relevantes Problem besser als durch bestehende Angebote gelöst, stellt das den Product-Market-Fit her und eröffnet ein skalierbares Geschäftsmodell, dass allein als Solo-Entrepreneur mit einem guten Netzwerk oder als interdisziplinäres Team mit relevanter Erfahrung am Markt umgesetzt werden kann.
Professor Grichnik, ein Wort zum Schluss bitte.
Das «Walk the extra mile!» ist für Entrepreneure Arbeitsalltag! Und der Antrieb dazu ist die persönliche Gestaltungsfreiheit. Diese Frei-heit treibt sie zu Höchstleistungen an, aus denen sie hohes Selbst-wirksamkeitsempfinden ziehen, das für sie Quell von Zufriedenheit und Glück ist. Diese Zusammenhänge sind von der psychologischen Forschung bestens belegt. Der Kraft- und Zeitaufwand für ein unter-nehmerisches Leben darf nicht bagatellisiert werden. Jeder muss mit sich selber ausmachen, welchen Einsatz er zu leisten bereit ist und für welchen Lebensentwurf er sich entscheidet. Der amerikanische Nobelpreisträger Edmund Phelps konstatiert, dass insbesondere in Europa die Zufriedenheit mit dem eigenen Job nicht besonders aus-geprägt ist. Das muss umso nachdenklicher stimmen, als seine For-schungen auch zeigen, das persönliche Glück wird zu 95 Prozent vom Glück in der Arbeitswelt bestimmt. Und im Bezug darauf gibt es doch sehr zu denken, dass sich in den letzten Jahren der Anteil der glücklichen Arbeitnehmer weltweit nahezu halbiert hat. Als Profes-sor für Entrepreneurship weiss ich, zu diesem Dilemma gibt es eine Alternative. Und was ich auch weiss, sich als Unternehmer auf die eigenen Beine zu stellen, das kann man nachweislich lernen. Sofern man es will!