Ist unsere Logistik bereit für die «Industrie 4.0»?

Beschaffungsstrategien werden für Schweizer Unternehmen immer wichtiger. Schliesslich stehen nicht nur hiesige Konzerne, sondern auch KMU vor grossen rechtlichen und technischen Herausforderungen, was etwa Vernetzungen mit Lieferanten angeht.

Ist unsere Logistik bereit für die «Industrie 4.0»?

 

 

 

Die Zeiten sind turbulenter als auch schon, was die globalen Treiber, die politischen Ver-dikte und den Preisdruck gegenüber Schwei-zer Unternehmen angeht. So sind Schweizer Konzerne geheissen, ihre Preise anzugleichen wegen politischer Ereignisse. Eine Präsident-schaftswahl wie diesen Frühling in Frank-reich könnte ebenso Auswirkungen auf Be-schaffungssektoren haben wie der EU-Aus-tritt Grossbritanniens.

 

Parallel notierte der Schweizer Export-markt 2016 Rekordergebnisse. Der Export­ umsatz kletterte um 3,8 Prozent auf 210,7 Mrd. Franken (gegenüber 2015). «Ein neuer Höchst-stand», wie die Eidgenössische Zollverwaltung (EVZ) Anfang 2017 mitteilt. Für diese Hausse sorgte die chemisch-pharmazeutische Indus­ trie, indes verzeichnet zum Beispiel die Schwei-zer Uhrenindustrie immer höhere Verluste.

 

Nicht alle Schweizer Konzerne ver-zeichnen Rekorde. Ausserdem setzen rund 60 Prozent des Gesamtumsatzes des Schwei-zer Logistikmarktvolumens alleine schon zehn gestandene Betriebe um. Einige wenige Schweizer Unternehmen dominieren den hiesigen Beschaffungsmarkt. Schliesslich ste-hen hiesige KMU vor grossen Herausforde-rungen, was digitale Entwicklungen wie E-Commerce und mobile Vernetzungen mit Lieferanten angeht.

 

«Kosten- und Versorgungsdruck trei-ben die Beschaffungsaktivitäten von Schwei-zer Unternehmen mit mehr als 250 Beschäf-tigten massgeblich an», heisst es in einer Stu-dienreihe von FHNW. Die 10. Logistikmarkt-studie von GS1 unterstreicht ebenso: Unter-nehmen mit weniger als 500 Mitarbeitenden «sind aktuell nicht mit der digitalen Vernet-zung beschäftigt».

 

Was letztlich für Grosskonzerne un-denkbar scheint, steht bei Schweizer KMU kaum auf der Agenda: Wie «Industrie 4.0» das Supply Chain Management bereits heute um-formt.

Grundsätzliche Hürden
Es müsste einleuchten: Beschaffungsunter-nehmen können nur agiler auf ihren Ziel-märkten werden, indem sie rechtliche und technische Marktprinzipien analysieren und entsprechend bedienen. Sollten sie eine noch so gute Managementstrategie formu-lieren, Supply Chain Management (SCM) heisst, Unternehmensprozesse und -projek-te laufend an Marktverhältnisse anzuglei-chen.

 

Nichtsdestotrotz gibt es entlang der Supply Chain verschiedene Bedingungen und (Vertrags-)Beziehungen. So gibt es zum Beispiel schon einige regulatorische Hürden bei der Digitalisierung vieler papierbehafte-ter Prozesse.

Eingeschränkte Flexibilität
Inwiefern SCM im Kontext von «Industrie 4.0» digitale Bereiche durchgehend bedienen kann, unterliegt der logistischen Ausrichtung und hängt sicher auch von der quintessenziel-len Frage ab, ob eine interne oder doch exter-ne Software berücksichtigt wird. Hier beginnt die «Aufgabenübertragung» an weitere Part-ner respektive Dienstleister. – «Bei mehr als der Hälfte ist die Bereitschaft zur Auslagerung hoch oder eher hoch, wenn es um die Über-

 

«Nicht alle Schweizer Konzerne verzeichnen Rekorde.»

 

führung von Inhalten, Bestellungen oder Rechnungen in eine elektronische Form von Bestellungen geht», heisst es in der Studie «IT in der Beschaffung», die vom Institut für Wirt-schaftsinformatik der FHNW gemeinsam mit procure.ch jährlich durchgeführt wird.

 

Die Studie belegt auch, dass rund 90 Pro-zent aller Befragten einen externen Mehrwert und das passende Know-how des Dienstleis-ters begrüssen würden. Zurzeit zeigen viele Logistikbetriebe eine Bereitschaft zur Auslage-rung – einschliesslich der Archivierung von Geschäftsdokumenten – diverser Workflows.

 

Inmitten von Auftragsbeziehungen müssen laufend die Datenverwaltung und IT-Massnahmen angeglichen und Big-Data-Richtlinien­ eindeutig definiert werden (siehe Box obenstehend).

 

Viele KMU im Logistikbereich zeigen je-doch strategische Handicaps, weil zum Bei-spiel die Menge der angebundenen Lieferan-ten variiert. Ebenso könnten vertrauliche Lieferdaten Risiken bergen, wenn sie nur von einem Einzelnen oder gleich von mehreren Hundert Menschen gelesen oder elektronisch editiert werden.

 

Zwei Drittel der Schweizer SCM-Unter-nehmen operieren daher mit einem IT-Kon-zept, welches die Anbindungsflexibilität neu-er Lieferanten verschmälert, unterstreicht die Studie «IT in der Beschaffung». Auch die meisten Schweizer Verlader und Logistik-dienstleister haben noch keine umfassenden Lösungen oder Anwendungen in die digitale Vernetzung implementiert.

 

Quo vadis? – wohin geht es mit «SCM 4.0», wo liegen die Hürden und Potenziale der digitalen Umsetzung?

Technologische Effizienz
Die 10. Logistikmarktstudie der GS1 Schweiz unterstreicht, dass die Handlungsebenen «zur Vernetzung und Integration», «Vollauto-matisierung», «Selbststeuerung» durch die Logistikdienstleister kaum aufgegriffen we-der unternehmensweit umgesetzt wurden. Eher zögerlich gewinnt die Digitalisierung im Bestandsmanagement an Bedeutung. Zurzeit führen erste mit Sensoren ausgestattete, mo-bile Geräte und digitalisierte Maschinen, An-lagen, Fahrzeuge und Ladungsträger die «In-dustrie 4.0» voran. Logistikdienstleister (und öffentliche Einrichtungen) orientieren sich inzwischen an Business Process Reenginee-ring zur Verbesserung ihrer Prozessabläufe.

 

Ebenso setzen sie auf taktische Mittel wie die Logistikmethode «Just in Time / Just in Sequence» (zeitgerechte bzw. nach Produkti-onsablauf sortierte Lieferung) auf Schweizer Boden. Weitere Methoden der Digitalisie-rung wie «Efficient Customer Response» (Op-timierung der Versorgungskette) sowie Tra-cking- und Tracing-Systeme sind erste Inno-vationen, segmentierte Bereiche im Supply Chain Management elektronisch zu koordi-nieren respektive zu bedienen.

«Viele Verlader und Logistik­ dienstleister führen noch keine durchgehenden Systemlösungen.»

 

Trotzdem sind grosse technologische und finanzielle Investitionen erforderlich. Schätzungen der durch GS1 befragten Firmen zufolge entspricht die jährliche Investitions-quote etwa 15 bis 23 Prozent, um die Imple-mentierung von Industrie-4.0-Technologien und -Lösungen während dreier Jahre auf ein hohes Niveau zu bringen.

Wie gut ist «Good Practice»?
Seit geraumer Zeit verfolgen Supply-Unter-nehmen einen übersichtlichen Forecast-to-Fulfill-Cycle im Bestandsmanagement, wo-bei niedrigere Bestände und Kosten reduziert werden, hingegen eine höhere Servicequali-tät angezielt wird. Good-Practice-Unterneh-men besitzen zudem mehr Transparenz hin-sichtlich ihrer Bestände und Prozesskosten entlang der Supply Chain.

 

Sie können «anywhere, anytime» Part-nern wie Kunden Informationen liefern. Be-sonders deutlich wird der «Best»-Unterschied zu durchschnittlichen Lieferanten bei der Be-standsstrategie (+ 50 %) und Prozesseffizienz (+ 30 %). Kein wesentlicher Unterschied be-steht bei der Prozesssteuerung. Hier gibt es auch bei Good-Practice-Unternehmen einen grossen Handlungsbedarf.

 

Es geht also nicht nur darum, ob sich ein KMU im Speditionsbereich einzig über die durchaus wichtigen «Allgemeinen Be-dingungen des Verbandes schweizerischer Speditions- und Logistikunternehmer» (AB SPEDLOGSWISS) definiert, sondern um sub-tilere technologische Ausrichtungen.

 

Experteneinschätzungen zufolge ist nach wie vor die Lieferzuverlässigkeit (z. B. in der temperaturgeführten Logistik) evident. Vermehrt werden nicht nur Sicherheits- und Umweltaspekte, sondern auch die unterneh-merische Konnektivität in einem stets auf­ datierten Beschaffungsmarkt von Bedeutung
sein.

 

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