Internationale Spitzenkräfte: Schweiz bei Rahmenbedingungen im Hintertreffen

Können Unternehmen internationale Spitzenkräfte in die Schweiz holen, die sie für ein nachhaltiges Wachstum brauchen? In einem Vergleich der Rahmenbedingungen zwischen acht relevanten Wirtschaftsstandorten ist die Schweiz das Schlusslicht: Die Bewilligungsprozesse sind kompliziert und aufwendig, Unternehmen scheuen den Papierkrieg mit verschiedenen Ämtern und erfolgreiche ausländische Uniabgänger verlassen das Land in grosser Zahl.

Der Wirtschaftsstandort Schweiz gehört zwar nach wie vor zu den attraktivsten der Welt, verliert aber kontinu­ierlich an Boden. Gleichzeitig steigen die geburten-starken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben aus, und der Fachkräftemangel verschärft sich. Um den Wirtschaftsstandort attraktiv zu halten, braucht es deshalb zeitgemässere Regelungen für junge Hochtalentierte sowie einen privilegierten Behördenzugang für zertifizierte Unternehmen. Ausser¬dem müssen Vorschriften schrittweise schweizweit harmonisiert und Prozesse digitalisiert werden.

Die Kunden des Beratungsunternehmens Deloitte wie die Mitglieder der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer (Swiss AmCham) beobachten dies in vielen Bereichen. Besonders häufig sind aber Klagen über Hürden, die Anstellungen von internationalen Spitzenkräften im Weg stehen. Die beiden Organisationen haben sich zusammengetan, um den Einfluss dieser Menschen auf die Schweizer Wirtschaft zu messen und die Rahmenbedingungen von führenden Unternehmensstandorten für den Fachkräfteaustausch zu vergleichen. Nach mehreren Dutzend Gesprächen mit Expertinnen und Experten von Unternehmen und Verbän­den sowie mit Wirtschaftsführern und Politikern haben wir verschiedene Verbesserungsvorschläge erarbeitet.

Nur vier Prozent aller in der Schweiz ansässigen Firmen sind international tätig, sie schaffen aber einen Viertel aller Arbeitsplätze, erwirtschaften etwa ein Drittel des Schweizer Bruttoinlandprodukts und bezahlen fast die Hälfte aller Unternehmenssteuern in der Schweiz. Unter diese Kategorie fallen nicht nur Grosskonzerne, sondern auch viele innovative und auf den Weltmarkt ausgerichtete KMUs. Alle diese Firmen tragen mit ihrer Innovationskraft entscheidend zur Wettbewerbsstärke und zum Wohlstand unseres Landes bei. Und sie sind in einem grossen Ausmass auf die internationale Mobilität von Arbeitskräften angewiesen – auch von solchen von ausserhalb der EU und der EFTA.

 

Wenige Menschen mit grosser Wertschöpfung

Die internationalen Spitzenkräfte aus Drittstaaten bilden zwar aktuell mit drei Prozent der jährlichen Migration nur eine kleine Gruppe. Sie tragen aber überdurchschnittlich viel zur Wertschöpfung Schweizer Unternehmen bei. So erwirtschafteten die 3800 Personen aus Drittstaaten in hoch produktiven Branchen im Schnitt im Jahr 2017 knapp 240’000 Franken, der Schweizer Durchschnitt lag hingegen bei rund 150’000 Franken. Zudem gründen diese Leute häufig eigene Unternehmen und schaffen damit Arbeitsplätze.

 

«Unternehmen in der Schweiz sind global erfolgreich und dafür auf die besten Arbeitskräfte weltweit angewie­sen. Hochtalentierte internationale Spitzenkräfte tragen entscheidend dazu bei, den sich verstärkenden Fachkräftemangel zu mindern. Und sie wirken dem Einfluss der demographischen Alterung entgegen, fördern den Wissensaustausch, erhöhen Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen und steigern die Produktivität», erläutert Reto Savoia, CEO von Deloitte Schweiz.

 

Schweiz ist Schlusslicht

Ein von Deloitte Schweiz in Zusammenarbeit mit den lokalen Deloitte-Experten für Talentmobilität durchgeführ­ter, nicht abschliessender Vergleich von sechs Kriterien bei acht verschiedenen international attraktiven Standorten zeigt klar auf: Die Bewilligungs­prozesse gerade für junge hochtalentierte Arbeitskräfte und für firmeninterne Mobilität in der Schweiz sind zu aufwendig. Alle Unternehmen müssen die gleichen komplexen Prozesse durchlaufen, egal wie häufig sie um Bewilligungen nachsuchen. Anträge können in den wenigsten Kantonen vollständig online eingereicht, geschweige denn deren Bearbeitung durch den ganzen Bearbeitungsprozess verfolgt werden. Es ist besonders schwierig, Arbeitsbewilligungen für junge Hochtalentierte ohne lange Arbeitserfahrung zu bekommen.

 

Die politischen Rahmenbedingungen für junge Hochtalentierte sowie Start-ups sollen verbessert werden.  Deloitte hat hierfür 6 wichtige Verbesserungsbereiche formuliert. (Tabelle: Deloitte)

 

«Die Schweiz kann bei den Rahmenbedingungen für die Mobilität von internationalen Spitzenkräften nicht mit Standorten wie Irland, Singapur, Deutschland oder Luxemburg mithalten. In unserem Ranking von acht Ländern landet sie auf dem letzten Platz. Mit verbesserten Rahmenbedingungen liesse sich daher die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Schweiz wirksam steigern und so unseren Wohlstand mehren und Arbeitsplätze schaffen», führt Reto Savoia aus.

 

Swiss AmCham-CEO Martin Naville ergänzt: «Es braucht weder eine grundlegende Veränderung des bestehenden Einwanderungssystems noch eine Abschaffung der Kontingente für Arbeitskräfte von ausserhalb der EU und der EFTA. Wir schlagen vielmehr minimalinvasive Anpassungen vor, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz spürbar verbessern – und dies ganz ohne Nebenwirkungen wie Lohndumping, Dichtestress oder grösseren Wettbewerb um Arbeitsplätze.»

 

Verbesserungen für Absolventinnen und Absolventen

Die Rahmenbedingungen für junge Hochtalentierte sowie Start-ups sollen durch zwei Massnahmen verbessert werden: Einerseits erhielten Studierende von ausserhalb der EU oder der EFTA, die an einer Schweizer Universität mindestens einen Master abgeschlossen haben, während dreier Jahre eine Aufenthaltsbewilligung und könnten eine Arbeit aufnehmen, ohne dass sie dabei dem Inländervorrang unterlägen. Diese Massnahme würde nicht nur den Standort stärken, sondern auch die Attraktivität der Schweizer Hochschulen erhöhen.

 

Zum anderen sollen Absolventen von Masterstudiengängen in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) von ausgewählten Top-Universitäten weltweit in der Schweiz eine Arbeit suchen dürfen. Sofern sie ausreichende finanzielle Mittel nachweisen können, erhielten sie eine Aufenthaltsgenehmigung von bis zu drei Jahren, ohne bereits ein Jobangebot zu haben. Diese Lösung käme speziell Start-ups entgegen. Diese sind zwar Innovationstreiber, aber wenig versiert beim Navigieren durch komplexe bürokratische Anforderungen zu internationaler Mobilität.

 

Internationale Traineeprogramme vereinfachen

Die unternehmensinterne Mobilität von Mitarbeitenden über die Grenzen hinweg wird immer bedeutender, man denke hier nur an internationale Traineeprogramme, firmeninterne Weiterbildungen, Geschäftsreisen in die Schweiz oder temporäre Einarbeitung von Mitarbeitenden hier vor Ort. Zur Vereinfachung der unternehmens­internen Mobilität wird die Schaffung einer Zertifizierung für gewisse Firmen vorgeschlagen, die danach einfacher und schneller Bewilligungen erhielten oder allenfalls keine mehr benötigten. Selbstverständlich müssten diese Unternehmen die Einhaltung aller Vorschriften belegen können und würden bei Verstössen stark sanktioniert.

 

Behörden müssen Digitalisierung wollen

Darüber hinaus sollen Behörden auf kantonaler und Bundesebene die weitgehende Digitalisierung und schrittweise schweizweite Harmonisierung der Bewilligungsprozesse vorantreiben, ohne dass dabei die kantonale Autonomie und Entscheidungsfreiheit unterlaufen wird. Dies würde es auch ermöglichen, Leistungskennzahlen wie die Bearbeitungsdauer zu messen und die Prozesstransparenz zu erhöhen. Besonders sichtbar wäre die Schaffung einer Kundenschnittstelle zur direkten Kommunikation zwischen Unternehmen und kantonalen Behörden.

 

«Unsere Gespräche mit Unternehmen und Behörden haben gezeigt, dass die Notwendigkeit stärkerer Digitalisierung allgemein anerkannt wird. Der Weg dahin kann ohne politische Entscheide begangen werden. Ich möchte daher alle Beteiligten auffordern, die Digitalisierung für die Anmeldung ausländischer Erwerbstätiger voranzutreiben, beispielsweise über das bestehende Unternehmensportal EasyGov», sagt Martin Naville.

 

Keine Abkehr von Kontingenten

Die Neuregelungen bedeuteten eine moderate Anhebung der jährlichen Kontingente für Personen aus Drittstaaten um etwa 1500: Die eine Hälfte wären längerfristige Aufenthaltsbewilligungen, die andere Hälfte Kurzaufenthalte. Diese Zahl entspricht grob gerechnet rund einem Prozent aller Menschen, die jährlich in die Schweiz kommen, um hier zu leben.

 

«Die vorgeschlagenen Anpassungen sind keine Abkehr vom bewährten System der Kontingente. Sie ändern auch nichts daran, dass wir das bewährte System der Bilateralen Verträge nicht gefährden und kontinuierlich auf ein Rahmenabkommen mit der EU hinarbeiten sollten. Die punktuellen Massnahmen zur Verbesserung der Mobilität hochtalentierter Arbeitskräfte sind sehr wichtig für den Standort Schweiz. Wir sprechen dabei von Menschen, die durch ihre Tätigkeiten Innovationen vorantreiben, das gesellschaftliche Leben bereichern und in der Summe neue Arbeitsplätze schaffen», erläutert Reto Savoia.

 

Realitätsnahe Beispiele aus der aktuellen Praxis zur Illustration der konkreten Handlungsfelder:

 

  • Nicht-EU/EFTA-Absolventen von Universitäten in der Schweiz: Nach ihrem Doktorstudium an der ETH Zürich in Angewandter Mathematik erhält eine Argentinierin ein interessantes Angebot eines Startups aus der Ostschweiz. Dieses wird aber abschrecket von der Komplexität, den Kosten und der Unvorhersehbarkeit des Bewilligungsprozesses und zieht das Angebot wieder zurück. Die junge Frau nimmt in der Folge aber ein Arbeitsangebot in London an und verlässt die Schweiz nach ihrer Ausbildung wieder.
  • Nicht-EU/ EFTA-Absolventen im MINT-Bereich von ausländischen Spitzenuniversitäten: Ein indischer Informatik-Absolvent aus Oxford arbeitet temporär in der Schweiz und erhält von einem anderen Arbeitgeber ein Angebot mit unbefristetem Vertrag. Der Arbeitgeber zögert wegen des komplexen Bewilligungsprozesses, nicht zuletzt angesichts der unsicheren Erfolgsaussichten. Während der Arbeitgeber noch überlegt, ob er Ressourcen investieren möchte, erhält der Mann ein Arbeitsangebot aus den USA und verlässt die Schweiz.
  • Geschäftsreisen: Die Arbeitskräfte einer internationalen Firma mit Hauptsitz Basel reisen regelmässig aus dem Ausland an, meist für weniger als 20 Tage pro Mitarbeitendem und Jahr. Heute beantragt die Firma für die Geschäftsreisenden 120-Tage-Bewilligungen um auf der sicheren Seite zu sein. Dies verursacht erheblichen Mehraufwand für Firma und Behörden.
  • Top talent traineeship: Eine grosse Schweizer Firma möchte an ihrem Hauptsitz in Biel ein Trainingszentrum für internationale Nachwuchskräfte eröffnen. Der Schweizer Bewilligungsprozess für die Nachwuchskräfte erweist sich aber als zu aufwendig. Die Firma eröffnet das Trainingszentrum daher in Irland.
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