Innovationsfähigkeit

Ist die Schweiz Innovationsführerin, wie viele Statistiken glauben machen? Bestimmt steht die Schweiz unter Druck. Die ausländische Konkurrenz holt auf und neue Innovationstrends geben den Takt vor. Betroffen sind Schweizer Industriefirmen, ja der Werkplatz als Ganzes. Was muss getan werden?

Innovationsfähigkeit

 

 

 

Im Deloitte Weissbuch zum Werkplatz Schweiz von 2013 haben 50 Prozent der befragten Unternehmen die technologisch verbesserten Produkte der Konkurrenz als Grund angegeben, weshalb der globale Wettbewerbsdruck auf die Schweiz stark zugenommen hat. Diese Einschätzung steht im Widerspruch zu interna-

 

EnormerWettbewerbsdruck

 

tionalen Rankings, in welchen die Schweiz regelmässig eine sehr hohe Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsführerschaft erzielt. Zum fünften Mal in Folge hat das Weltwirtschaftsforum (WEF) in seinem «Global Competitiveness Report» die Schweiz als wettbewerbsfähigstes Land der Welt aufgeführt. Der Innovationsindex der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) wird von der Schweiz schon seit drei Jahren angeführt. Sind der Werkplatz Schweiz und seine Industriefirmen wirklich so innovativ und konkurrenzfähig und gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten? Das Ranking der Schweiz ist mit Vorsicht zu beurteilen, zumal es in der Schweiz traditionell viele Headquarters gibt, welche geistiges Eigentum (intellectual property, IP) zentralisieren. Das heisst, nicht alle in der Schweiz registrierte IP ist auch in der Schweiz erfunden.

Verbesserungspotenziale des Innovationsstandortes Schweiz

 

Eine genauere Betrachtung der bekanntesten Innovationsrankings zeigt denn auch Schwachpunkte und Verbesserungspotenziale auf. Gemäss WIPO, WEF und Bloomberg verliert die Schweiz im Bereich Humankapital und Forscherdichte gegenüber der Konkurrenz an Boden (siehe Grafik 1). Gespräche mit Experten aus Unternehmen, Industrie, Behörden und Universitäten, die im Rahmen der aktuellen Deloitte-Studie «Innovation – neu erfunden» geführt wurden, bestätigen diesen Befund. Die praxisnahe Ausbildung von Wissenschaftlern wird als verbesserungsfähig betrachtet. Die Attraktivität der Schweiz für internationale Forscher müsse erhöht werden, lautet die Expertenmeinung. Die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Industrie müsse stetig weiter professionalisiert werden. Als wichtigsten Schwachpunkt erachten die Experten die langsame Umsetzung von Innovationen, die mit der Schweizer Mentalität der Risikoaversion und einem Hang zum Perfektionismus zusammenhänge.

 

Damit die Schweiz ihre Spitzenposition längerfristig erhalten kann, bedarf es wieder mehr Mut zu Risiko und Unternehmertum zur Erhöhung der Innovationsgeschwindigkeit. Programme für Technologietransfer müssen ausgebaut und mehr vertikale Netzwerke aufgebaut werden. Auch braucht es verstärkte «Open Innovation » sowie eine noch stärkere Positionierung der Schweiz als Top-Bildungsstandort.

Trends und Herausforderungen

 

Den Werkplatz und seine Industriefirmen sehen wir durch drei starke Trends herausgefordert:

 

1. Beschleunigte Innovationsprozesse der Konkurrenz setzen Schweizer Industriefirmen unter Zugzwang. Die Innovationsgeschwindigkeit ist nicht eine der Stärken der Schweiz. Innovationsprozesse bzw. Vorlaufzeiten von Produkten dauern oft länger als im Ausland. Schweizer Industriefirmen sind gut, wenn es um die Ideenfindung geht, sprich den kreativen Teil von Innovationsprozessen. Schwächen zeigen sie bei der Innovation selbst, also bei der Produktentwicklung. Verbesserungspotenzial gibt es gemäss Expertenmeinung zudem bei der Markteinführung. Die globale Konkurrenz ist schneller am Markt mit ihren Innovationen. Beispiele aus der Maschinenindustrie zeigen Entwicklungszeiten in Asien, die zum Teil halb so lang sind. Die «Langsamkeit» von Schweizer Industriefirmen beim Innovieren resultiert in hoher Qualität – mit dem Risiko, dass Schweizer Produkte damit veraltet sein können, wenn sie denn auf den Markt kommen.

 

2. Die zunehmende Internationalisierung von F+E, ursprünglich ausgelöst durch Produktionsverlagerungen, die von Schweizer Industriefirmen in den letzten Jahren vorangetrieben wurden, wird heute zunehmend geprägt durch die Notwendigkeit, Produkte für neue Wachstumsmärkte, und zwar vor Ort, zu entwickeln. Eine strikte geografische Trennung der Produktion von F+E gibt es jedoch kaum mehr. In Zeiten, in denen Wertschöpfungsketten international aufgestellt werden, ist auch F+E in ein globales System eingebunden. Wird die Produktion in neue Wachstumsmärkte verlagert oder neu aufgebaut, erfolgt oft das Gleiche mit der Produktentwicklung. Die Forschung folgt unmittelbar. Für die Verlagerung von F+E zu neuen Produktionsstätten ins Ausland gibt es verschiedene Gründe. Kostenvorteile waren nur ein Start (etwa billigere

 

Neues Verständnis von Innovation

 

Produktentwicklung in Indien als in der Schweiz), wichtiger sind oft Vorteile, die aus produktionsnahen F+E-Aktivitäten resultieren. Lokale Fertigungsanpassungen in Marktnähe, frühes Entdecken und Korrektur von Fehlern, notwendiger Know-how-Austausch mit lokalen Entwicklern bei der Entwicklung von Produktvarianten in neuen Wachstumsmärkten und spezifisch für «Billig-Märkte» entwickelte Produkte sind wichtige Treiber.

 

3. Entscheidend für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit ist ein neues Verständnis von Innovation, das über die üblichen Produktinnovationen hinausgeht. Traditionell wurde Innovation auf das Produktangebot bezogen. Innovation muss auch in unternehmensinternen Strukturen, Prozessen und Ertragsmodellen erfolgen. In Kunden zugewandten Funktionen, wie beispielsweise bei neuen Dienstleistungen und Vertriebskanälen, einer starken Marke oder einer unverwechselbaren Kundeneinbindung liegen weitere Zukunftspotenziale. Schweizer Industriefirmen sind heute meist fokussiert auf inkrementelle Verbesserungen. Echte Mehrwerte für Kunden erfordern jedoch ein umfassendes Verständnis der Kundenbedürfnisse und der Prozesstiefen. Der Fokus darf damit nicht nur auf der Funktionalität von neuen Produkten liegen, die Produktqualität kann oft nicht weiter ausgereizt werden. Nur teilweise betreiben Schweizer Industriefirmen innovative Lösungen im Servicebereich, verbesserte Einbindung von Abnehmern, neue Entwicklungskooperationen oder Prozessinnovationen.

Beachtliche F+E-Ausgaben von Schweizer Industriefirmen

 

Schweizer Industriefirmen sind gefordert, ihre F+E-usgaben gut zu investieren. Erfreulicherweise hat der Fokus auf Innovationen schon jetzt einen hohen Stellenwert. Im Deloitte Weissbuch zum Werkplatz Schweiz haben 79 Prozent der befragten Unternehmen die zentrale Bedeutung von Innovationen ihrer Unternehmensstrategie bestätigt.

 

Im Schnitt investierten führende Innovationsunternehmen der Schweizer Industrie im Jahr gut fünf Prozent ihres Umsatzes in F+E. Dabei gibt es Branchenunterschiede, wobei die Maschinenindustrie und die Branche Elektronik/ Elektrotechnik knapp über drei Prozent für F+E aufwenden und die Branchen Chemie und Präzisionsinstrumente im Schnitt 4,2 respektive 6,4 Prozent einsetzen. Diese Schweizer Werte lassen sich weitgehend mit internationalen Benchmarks zu F+E-Intensitäten vergleichen.

 

Ein höherer Mitteleinsatz für F+E garantiert nicht einen höheren Innovationsoutput. Grossunternehmen mit riesigen Forschungsbudgets sind relativ oft weniger innovationsfähig als kleine Unternehmen mit geringen finanziellen Ressourcen. Welche Massnahmen können die Innovations- und damit Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen stärken?

Verbesserung der Innovationsfähigkeit

 

Ein erster wichtiger Ansatz besteht im Fokus auf das Innovationsmanagement. Innovationsprozesse beschleunigen sich und Innovationszyklen werden nur kürzer wenn Strategie, Organisation, Projektportfolio-Management und Produktentwicklung synchronisiert sind. Der beste Schutz vor der Konkurrenz ist, Innovationen schneller auf den Markt zu bringen. Das hat strategische Bedeutung. Die Unternehmensführung muss nicht nur über Geschäftsbereiche hinweg orchestrieren, sondern auch die umfassende Strategie verantworten, die alle Innovationsaspekte adressiert, um als Unternehmen wettbewerbsfähig und differenzierbar zu bleiben. Aktuelle und zukünftige Markterfordernisse der Kunden müssen verstanden und mit den eigenen Unternehmensfähigkeiten abgeglichen werden, damit das eigene Know-how zur Differenzierung von der Konkurrenz eingesetzt werden kann.

 

In der Organisation der Innovationstätigkeit geht es um die klare Definition von Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Die zunehmende Internationalisierung von F+E macht eine Zuordnung der

 

Das ganze Unternehmen ist gefordert

 

Arbeitsabläufe und Entscheidungsstrukturen zwischen Headquarter und Regionen notwendig. Die Technologieentwicklung, die von Schweizer Industriefirmen oft noch in der Schweiz selbst betrieben wird, ist zu koordinieren mit der Produktentwicklung, die mehr und mehr produktionsnah in neuen Wachstumsmärkten geschieht. Priorisierungspläne für Budgets und Personal sind entlang klarer Kriterien festzulegen, wobei «Product Lifecycle Management»- und «Make or Buy»-Überlegungen einbezogen werden müssen.

 

Für den zukünftigen Unternehmenserfolg ist es entscheidend, beim Innovieren über die eigene Produktinnovation hinauszuschauen. Innovation darf keine eindimensionale Angelegenheit sein, sondern muss unterschiedliche Dimensionen eines Unternehmens umfassen (siehe Grafik 2).

 

Nebst neuen Produktangeboten muss Innovation unter Einbezug des Netzwerkes Ertragsmodelle, Strukturen und Prozesse (Konfiguration) adressieren. Wichtige Innovationstypen liegen im Bereich der Kundenanwendung (Erlebnis). Erfolgreichste Unternehmen beziehen eine umfassende Betrachtung von neuen Dienstleistungen, die Erweiterung und Verbesserung der Vertriebskanäle wie auch die Ausnutzung der Marke ein. Wichtig ist die Innovation der Kundeninteraktion. Hier steckte der Fokus von Industriefirmen häufig in den Kinderschuhen, da das Produkt im Zentrum stand. Dabei kann die Abhängigkeit von Produkten und Technologien verringert und «Kopierbarkeit » reduziert werden.

 

Unsere empirischen Erhebungen zeigen, dass die Kursentwicklung der Aktien von Unternehmen, die diesen Ansatz konsequent verfolgen, diejenigen ihrer Wettbewerber überflügeln und viel besser abschneiden als der S&P 500-Index.

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